[1. Briefentwurf:]
Lieber Frank,
Du wirst nun fünfzig Jahre alt. Es ist sehr hübsch, daß vor
zwei Jahren auf Anordnung einer höheren/r/ Stellen die Feier des fünfzigsten Geburtstages deutscher Schriftsteller
Dichter in den Hausgebrauch des deutschen Volkes aufgenommen worden ist. Sicher
ist sicher, und sechzig oder gar siebzig alt zu werden, wird nur den Wenigsten/en/ +++ von uns beschieden sein.
Auch weiß niemand, wie es er in zehn J oder zwanzig Jahren von
den vor dem dann grade herrschenden Geschmack
bestehen wird. Der Verbrauch an Richtungen, Strömungen und den verschiedenartigsten
Ismen wächst von Tag zu Tag. mit großer
Geschwindigkeit. Man tut gut, die Früchte an seinem/s/ Lebensbäumchens in seine
Körbe zu füllen auch wenn sie noch ein
bischen unreif sind, ehe sie der ehe der Hagel der Kritik +++ sie nicht ganz heruntergeschlägen/t/Schreibversehen (irrtümlich „ge“ nicht gestrichen), statt: herunterschlägt.. werden. So stellt sich jene Anordnung höherer Stellen,
die den Beginn der offiziellen Erntezeit für uns Literaten vom sechzigsten auf
das fünfzigste Jahr verlegt hat, als eine sehr weise Maßregel von hoher Weisheit dar, und gleicht eben jenen den Regungen im menschlichen
Organismus vergleichbar, die man als automatischen
Selbstschutz des Körpers bezeichnet, und kommt in der Folge wie auch
denen zugute, für die er vielleicht gar nicht berechnet war. |
Ich
sehe Dich bedeutungsvoll den Mund verziehen und weiß, daß wir uns verstehen.
Du
wirst nun also fünfzig Jahre alt, und selbst Deine Feinde, deren du ja wohl
einige Schock besitzen magst, selbst wenn man dreizehn davon auf’s Dutzend rechnet, werden
Dir zugestehen, daß in diesen fünfzig Jahren so viel Mühe und Arbeit gewesen
ist, wie bei manchem andern kaum in siebzig oder achtzig, nach dem bib/Bib/lischen
Wort, das uns allen geläufig ist. Wir können Dich also getrost so behandeln als
ob Du wirklich schon das Patriarchenalter erreicht hättest, und können ein bischen
das Fazit Deines Lebens ziehen. Nur mußt du mir erlauben, daß ich es nicht
planmäßig wie ein bestellter vereidigter Bücherrevisor tue. Ich möchte
vielmehr nur so nebenbei ein paar Posten aus Deinem Lebenskonto herausgreifen,
die dann als Probe auf’s Exempel eigentlich wieder die Richtigkeit der
Gesamtrechnung ergeben bestätigen müßten. Diese selbst aber
aufzustellen überlasse ich den dazu eingesetzten Beamten an den Großbanken der
öffentlichen Meinung die man Zeitungen nennt. Es möchte sonst dieses
Geburtstagsbriefchen leicht zu einem Feuilleton ausarten und hiezu langt
erstens die Zeit nicht mehr und zweitens müssen wir mit
unserer Arbeitskraft noch etwas notgedrungen haushalten, auch um auch
für andere fünfzigste, sechzigste und siebzigste | Geburtstage noch etwas übrig
zu haben behalten.
Du
wirst also wirklich fünfzig Jahre alt. Vierundzwanzig davon habe ich die Freude
(und manchmal auch den Ärger, doch davon sprechen wir heute nicht), Dich zu
kennen. Als wir uns zum erstenmal gegenüber saßen befanden und im Feuer
der Jugend Salutschüsse wechselten, hatte ich nach einer Stunde den Eindruck,
es mit einem Menschen von ganz ungewöhnlicher und fast unglaubhafter
Zielbewußtheit und inneren/er/ Geschlossenheit zu tun zu haben. Die deutsche Welt stand damals am Vormittag
des großen naturalistischen Revolutionstages. Man bereitete rüstete sich grade zum entscheidenden
Bastillensturm. Niemand von uns Jungen durfte beiseite stehen. Alle Kräfte
wurden gebraucht. Denn der Feind war sehr stark. Viel stärker, als die heutige
Jugend es ahnt. Das Thema des Tages sprang zwischen uns auf wie der Funke den
Kontakt. Da sprachst Du Deine entgegengesetzte Meinung aus, stelltest Deinen
eigenen Standpunkt, Deine persönliche Politik wider das Zeitgebot. Der Abend
schloß mit offener Feindschaft und vielem Bier. Aber am nächsten Abend saßen
wir wieder zusammen und der Wechselstrom der Kräfte, der Anziehungen und
Abstoßungen, begann von neuem sein Spiel, mit der gleichen Wirkung wie Tags
zuvor. So eine Reihe von Abenden.
lang. Das Resultat war doch eine von
eine Lebens-, Kampf- und Interessengemeinschaft, die auch in schlimmsten
Jahren der Entfremdung | immer noch unauslöschlich in uns eingeschrieben blieb.
Zweierlei
haftet mir bis heute von jenem Abend, beleuchtet vom ungewissen Kerzenflimmern,
das um unsere heißen Köpfe irrlichterte. Das eine sagte ich schon: die innere
Zielsicherheit, mit der Ich Du schon damals Dich und immer wieder Dich
an das Ende aller Beweisreihen stelltest, die eine Genialität des
Gehirns, des Intellekts, die in ihrer fast monomanischen Einseitigkeit oft
etwas gradezu Verbohrtes, etwas unbedingt zum Widerspruch Reizendes und dann doch wieder Verblüffendes und
manchmal Bezwingendes hatte.
Das Andere
– Ibsen hätte es das „Liebenswürdige an Jakob Engstrand“ genannt – war ein
gewisser jünglingshafter, beinahe noch gymnasiastischer Ueberschwang im
... wie soll ich sagen? ... im Freundschaftsgefühl. Er war es vor wohl
vor allem, der uns zusammenführte und alle die Hemmungen, das Knirschen der
beiden noch nicht mit einander abgepaßten Räderwerke überwinden half. Was uns
beiden freilich damals der Schleier der Maja verbarg: daß es im Grunde nur ein
Streit um Worte, um Formeln, um Ip I-Punkte zwischen uns war und daß der
Naturalismus, den der eine meinte und den der andere schlug, nur ein Trugbild
war, das sie beide narrte, und daß der Naturalist im Grunde ein Individualist
war und der Individualist ein Naturalist, wenn auch in einem ganz anderen
Sinne, als damals | die Schulauslegung des Wortes zulassen wollte.
Ich
sehe Dich bedenklich die Stirn runzeln, denn das Wort Naturalist hat immer ein bischen wie ein rotes Tuch auf Dich
gewirkt, und nun wird es Dir gar als ein freundliches Angebinde auf den
Geburtstagstisch des halben Jahrhunderts gelegt. Aber vergiß nicht, daß auch
Lenz und Wagner Büchner und der Goethe des Sturms und
Drangs Naturalisten waren, wenn auch in der ganzen Weite und Erdenfülle des
Wortes im Gegensatz zu der fast philologischen Enge und Spießbürgerlichkeit, in
das man es hineinpressen wollte zu
der Zeit, als wir beide mit heißen Köpfen
beim Flackerlicht der Kerzen zum erstenmal darüber debattierten. Und darum
hattest Du recht, als Du Dich mit Händen und Füßen dagegen wehrtest, aber auch
ich hatte recht, denn ich meinte etwas ganz anderes damit, als was es grade im
Augenblick bedeutete. Und die Hauptsache war, daß es nicht beim bloßen
Debattieren blieb, sondern daß auch etwas getan wurde und daß etwas geschah.
Das ist
nun vierundzwanzig Jahre her und das halbe Jahrhundert will sich Dir runden. Es
hat sich sehr vieles in dieser Zeit zugetragen und gewandelt, und die Welt hat sich
beinahe wieder einmal ungefähr
eine halbe Drehung um
sich selbst gedrehtmacht seitdem, denn sie befindet sich
so ziemlich auf dem entgegengesetzten Ende d wie damals. Was damals
unten | war, ist jetzt oben, und oben ist unten, aber da das Rad unaufhaltsam g
weitergeht, so kann auß wird nach abermals einem Vierteljahrhundert
unten vermutlich wieder oben sein. Du hast es Dir nicht leicht gemacht im Leben
und Dich nicht sozusagen nicht mit anmutiger Leichtigkeit Lässigkeit gleichsam von selbst
hinauftragen lassen. Du hast oft der Bewegung nach oben sogar eher Widerstand
geleistet, vermöge jenes Characterzuges, den ich wie gesa – wie schon
erwähnt – am ersten Abend unserer Lebensbeziehung an Dir zu entdecken glaubte,
vermöge jener ideologischen
Geschlossenheit, jener – verzeih das Wort! –
fast monomanen Einseitigkeit, und die das gemeinsame Kennzeichen von
Genie und Irrsinn ist, und hast doch vielleicht grade dadurch die Speichen des
Rades, das Dich mehr als einmal zermalmen wollte, immer wieder unter Dich
gezwungen.
Das Du stehst jetzt auf der Höhes
des Rades, das sich dreht, und bist jetzt auch für diejenigen sichtbar, die
immer erst Augen bekommen, wenn etwas verbrieft und besiegelt in den Zeitungen
zu lesen ist, womit es dann, unserem Freunde Franz Blei zufolge, auch schon so
gut wie begraben ist. Ich denke nicht wie Franz Blei und glaube nicht, daß der
Erfolg der Anfang vom Ende ist. Aber ich gehöre auch nicht zu denen, die erst,
wenn | der Erfolg Sieg schon in den Zeitungen steht, Hosianna rufen,
nachdem sie eben erst zu kreuzigen versucht hatten. Ich weiß, daß ich Deinem
Wesen und Wollen, Deinem Tiefsten und Eigensten schon nahegestanden habe und
dafür eingetreten bin, als es noch nicht ganz so bequem war dies zu tun, wie es
heute ist, und ich weiß auch, daß Du umgekehrt es genau ebenso mir gegenüber
gehalten hast und es ganz besonders auch heute so hältst, wo es vielleicht gar
nicht so besonders bequem ist, dies zu tun.
Das
Bewußtsein muß zwischen uns beiden genügen. Es fließt aus dem andern
Hauptwesenszuge, den ich an jenem ersten Abend beim flackernden Kerzenlicht an
Dir zu entdecken glaubte, aus dem tief quellenden Freundschaftsdrang, der wenn mich nicht alles trügt, noch geheim
in dem schon ein wenig ergrauenden Manne lebt, wie er einst mit Macht
jünglingshaft, fast noch gymnasiastisch aus dem Zwanziger hervorbrach.
In
diesem und jenem Sinne, als den Dichter, der sich selbst treu
blieb, und als den Menschen, der dem andern treu blieb, trotz aller W Irrnisse
und Wirrnisse, die sie entfremdeten und trennten, grüße ich Dich heute
als Dein Dir ebenso getreuer
Max Halbe
München
am 15 Mai 1914Max Halbe hat den als Brief an Wedekind aufgesetzten Beitrag für das „Wedekindbuch“ (1914) überwiegend am 15.5.1914 geschrieben, abgeschlossen, ihn Eduard von Keyserling vorgelesen und spät abends noch Wedekind getroffen: „Den ganzen Tag am Wedekind-Artikel gesessen u. ihn abends auch glücklich beendigt. [...] bei Keyserling [...]. Ich lese ihm den W.-Aufsatz vor, der ihm sehr gut gefällt. [...] Den Abend mit Kutscher bei Michel beschlossen, wo wir Wedekind trafen.“ [Tb Halbe] Wedekind wurde der offene Brief erst am 24.6.1914 auf der vorgezogenen Feier zu seinem 50. Geburtstag im Bayerischen Hof in München bekannt, wo Max Halbe ihn vorlas: „Rede für das heute abend stattfindende Wedekind-Bankett etwa überdreht. [...] Kurzer Abendspaziergang. Dann Wedekind-Bankett im Bayer. Hof. Etwa 100 Personen. Meist Litteratur u. Theater. Ich saß neben dem Generalintend. von Frankenstein, sprach als zweiter zunächst für den Schutzverband gegen die Censur, dann zu eigenen Themen, indem ich den Brief an W. vortrug. Wedek. selbst sprach für die Schriftsteller“ [Tb Halbe].
[2. Typoskript:]
Lieber Frank!
Du
wirst nun fünfzig Jahre alt. Es ist sehr hübsch, dass vor zwei Jahren auf
Anordnung höherer Stellen die Feier des fünfzigsten Geburtstages deutscher
Dichter in den Hausgebrauch des deutschen Volkes aufgenommen worden ist. Sicher
ist sicher, und fünfsechzig oder gar siebzig alt zu werden, wird nur wenigen von
uns beschieden sein. Auch weiss niemand, wie er in zehn oder zwanzig Jahren vor
dem dann gerade herrschenden Geschmack bestehen wird. Der Verbrauch an
Richtungen, Strömungen und den verschiedenartigsten Ismen wächst von Tag zu
Tag. Man tut gut, die Früchte seines Lebensbäumchens
in Körbe zu füllen, ehe der Hagel der Kritik sie ganz herunterschlägt. So
stellt sich jene Anordnung höherer
Stellen die den Beginn der offiziellen Erntezeit für uns Litteraten vom fünfsechzigsten auf
das fünfzigste Jahr verbracht/legt/ hat, als eine Massregel
von hoher Weisheit dar, der den Regu/Vorgä/ngen
im menschlichen Organismus vergleichbar, die man als automatischen Selbstschutz
des Körpers bezeichnet, und kommt in der Folge auch denen zugute, für die er
vielleicht garnicht berechnet war.
Ich
sehe Dich bedeutungsvoll den Mund verziehen und weiss, dass wir uns verstehen.
Du
wirst nun also fünfzig Jahre alt, und selbst Deine Feinde, deren Du ja wohl
einige Schock besitzen magst, selbst wenn man dreizehn davon aufs Dutzend
rechnet, | werden Dir zugestehen, dass in diesen fünfzig Jahren so viel Mühe
und Arbeit gewesen ist, wie bei manchem andern kaum in siebzig oder achtzig,
nach dem biblischen Wort, das uns allen geläufig ist. Wir können Dich also
getrost so behandeln als ob Du r wirklich schon das Patriarchenalter
erreicht hättest,
und können ein bischen das Fazit Deines Lebens ziehen. Nur musst Du mir
erlauben, dass ich es nicht planmässig wie ein vereidigter Bücherrevisor tue.
Ich möchte vielmehr nur so nebenbei ein paar Posten aus Deinem Lebenskonto
herausgreifen, die dann als Porbe/Probe/
auf’s Exempel eigentlich
wieder die Richtigkeit der Gesamtrechnung bestätigen müssten. Diese selbst aber
aufzustellen überlasse ich den dazu eingesetzten Beamten an den Grossbanken der
öffentlichen Meinung, die man Zeitungen nennt. Es möchte sonst dieses
Geburtstagsbriefchen leicht zu einem Feuilleton ausarten und hiezu langt
erstens die Zeit nicht mehr und zweitens müssen wir mit unserer Arbeitskraft
notgedrungen haushalten, um auch für andere fünfzigste, sechzigste und
siebzigste Geburtstage noch etwas übrig zu behalten.
Du
wirst also wirklich fünfzig Jahre alt. Vierundzwanzig davon habe ich die Freude<masch> (und manchmal auch den
Aerger, doch davon sprechen wir heute nicht), Dich zu kennen. Als wir uns zum erstenmal gegenüber
befanden und im Feuer der Jugend Sab/l/utschüsse
wechselten, hatte ich nach einer Stunde den Eindruck, es mit einem Menschen von
ganz ungewöhnlicher und fast unglaubhaften/r/ SelbstbZielbewusstheit und innerer Geschlossenheit zu tun zu haben.
Die deutsche Welt | stand damals am Vormittag des grossen naturalistischen
Revolutionstages. Man rüstete sich gerade zum entscheidenden Bastillensturm.
Niemand von uns Jungen durfte beiseite stehen. Alle Kräfte wurden gebraucht.
Denn das/er/ Feuer/ind/ war sehr stark. Viel stärker,
als die heutige Jugend es ahnt. Das Thema des Tages sprang zwischen uns
auf wie der Funke den/am/ Kontakt. Da sprachst Du Deine entgegengesetzte
Meinung aus, stelltest Deinen eigenen Standpunkt, Deine persönliche Politik
wider das Zeitgebot. Der Abend schloss mit offener Feindschaft und vielem Bier.
Aber am nächsten Abend sassen wir wieder zusammen und der Wechselstrom der
Kräfte, der Anziehungen und Abstossungen, begann von neuem sein Spiel, mit der
gleichen Wirkung wie Tags zuvor. So eine Reig/h/e von Abenden. Das
Resultat war doch eine Lebens-, Kampf- und Interessengemeinschaft, die auch
in schlimmsten Jahren der Entfremdung immer noch unauslöschlich in uns
eingeschrieben blieb.
Zweierlei
haftet mir bis heute von jenem Abend, beleuchtet von/m/ ungewissen
Kerzenflimmern, das vor/um/ unseren heissen
Köpfen irrlichterte. Das eine sagte ich schon: Die innere
Zielsicherheit, mit der Du schon damals Dich und immer wieder Dich an das Ende
aller b/B/eweisreichen stelltest,
eine Genialität des Gehirns, des Intellekts, die in ihrer sonst fast
monomanischen Einseitigkeit oft etwas geradezu Verbohrtes, etwas unbedingt zum
Widerspruch Reizendes und dann doch wieder Verblüffendes und manchmal Bezwingendes hatte.
Das
Andere – Ibsen hätte es das „Liebenswürdige an | Jakob Be/En/gstrand“ genannt – war ein gewisser, jünglingshafter,
beinahe noch p/g/ymnasiastischer Ueberschwang im
... wie soll ich sagen? ... im Freundschaftsgefühl. Er war es wohl vor allem,
der uns zusammenführte und alle die Hemmungen, das Knirschen der beiden noch
nicht miteinander abgepassten Räderwerke erwidern/überwinden/ half. Was uns beiden freilich
damals der Schleier der Maja verbarg: dass es im Grunde nur ein Streit um
Worte, um Formeln, um I-Punkte zwischen uns war und dass der Naturalismus, den
der eine meinte und den der andere schlug, nur ein Trugbild war, das sie beide
narrte, und dass der Naturalist im Grunde ein Individualist war und der
Individualist ein Naturalist, wenn auch in einem ganz anderen Sinne, der/als/ damals die Schulauslegung des Wortes zulassen wollte.
Ich
sehe Dich bedenklich die Stirn runzeln, denn das Wort Naturalist hat immer ein
bischen wie ein rotes Tuch auf Dich gewirkt, und nun wird es Dir gar als ein freundliches
Angebinde auf den Geburtstagstisch des halben Jahrhunderts gelegt. Aber vergiss
nicht, dass auch Lenz und Bücher/ner/ und der Goethe des Stroms/urms/ und Di/r/angs Naturalisten waren, wenn
auch in der ganzen Weite und Erdenfülle des Wortes im Gegensatz zu der fast
philologischen Enge und Spiessbürgerlichkeit, in das man es hineingi/pr/essen wollte, zu der Zeit als wir beide mit heissen Köpfen
beim Flackerlicht der Kerzen zum
erstenmal darüber debattierten. Und darum hattest Du recht, als Du Dich mit
Händen und Füssen dagegen wehrtest, aber auch ich hatte recht, denn | ich
meinte etwas ganz anderes damit, als was es grade im Augenblick bedeutete. Und
die Hauptsache war, dass es nicht beim blossen Debattieren blieb, sondern dass
auch etwas getan wurde und dass etwas geschah.
Das ist
nun vierundzwanzig Jahre her und das halbe Jahrhundert will sich Dir runden. Es
hat sich sehr vieles in dieser Zeit zugetragen und gewandelt und die Welt hat
ungefähr eine halbe Drehung um sich selbst gemacht seitdem, denn sie befindet
sich so ziemlich auf dem entgegengesetzten Ende wie damals. Was damals unten
war, ist jetzt oben, und oben ist unten, aber da das Rad unaufhaltsam weiter
geht, so wird nach abermals einem Vierteljahrhundert unten vermutlich dann
wieder oben sein. Du hast es Dir nicht leicht gemacht im Leben und
Dich nicht mit anmutiger Lust/äss/igkeit gleichsam von selbst
hinauftragen lassen. Du hast oft der Bewegung nach oben sogar eher Widerstand
geleistet, vermöge jenes Charakterzuges, den ich – wie schon erwähnt – am
ersten Abend unserer Lebensbeziehung an Dir zu entdecken glaubte, vermöge jener
ideologischer Geschlossenheit, jener – verzeih das Wort! – fast monomanen
Einseitigkeit, die das gemeinsame Kennzeichen von Genie und Irrsinn ist, und
hast doch vielleicht gerade dadurch die Speichen des Rades, das Dich mehr als
einmal zermalmen wollte, immer wieder unter Dich gezwungen.
Du
stehst jetzt auf der Höhe des Rades, das sich dreht, und bist jetzt auch für den/ie/jenigen sichtbar, die immer erst Augen bekommen, wenn
etwas verbrieft und besiegelt in | den Zeitungen zu lesen ist, womit es dann,
unserem Freunde Franz Blei zufolge, auch schon so gut wie begraben ist. Ich
denke nicht wie Franz Blei und glaube nicht, dass der Erfolg der Anfang vom
Ende ist. Aber ich gehöre auch nicht zu denen, die erst wenn der Sieg schon in
den Zeitungen steht, Be/Ho/sianna rufen, nachdem sie eben
erst zu Wennzü/Kreuzi/gen versucht hatten. Ich weiss,
dass ich Deinem Wesen und Wollen, Deinem Tiefsten und Eigensten schon
nahegestanden habe und dafür eingetreten bin, als es noch nicht ganz so bequem
war dies zu tun, wie es heute ist, und ich weiss auch, dass Du umgekehrt es
genau ebenso mir gegenüber gehalten hast und es ganz besonders auch heute so
hältst, wo es vielleicht gar nicht so besonders bequem ist, dies zu tun.
Das/Dies/ Bewusstsein
muss zwischen uns beiden genügen. Es fliesst aus dem A/a/ndern Hauptwesenszü/u/ge,
den ich an jenem ersten Abend beim flackernden Kerzenlicht an Dir zu entdecken
glaubte, aus dem tief quellenden Freundschaftsdrang, der, wenn mich nicht alles
trügt, noch geheim in dem schon ein wenig ergrauenden Manne lebt, wie es/r/
einst mit Mark/cht/
jünglingss/h/aft, fast noch gymnasiastisch aus dem Zwanziger
hervorbrach.
In
diesem und jenem Sinne, als den Dichter, der sich selbst treu blieb, und als
den Menschen, der dem andern treu blieb, trotz aller Do/Ir/rnisse und Wirrnisse, die sie entfremdeten und trennten,
grüsse ich Dich heute
als Dein Dir ebenso getreuer
Max Halbe.
München,
am 15. Mai 1914.
[3. Druck:]
Lieber Frank!
Du
wirst nun fünfzig Jahre altWedekinds 50. Geburtstag am 24.7.1914 wurde am 24.6.1914 auf einer vorgezogenen Feier, dem „50 Geburtstagsbankett“ [Tb], im Hotel Bayerischer Hof in München (Promenadeplatz 19) begangen, wo ihm das von Joachim Friedenthal im Georg Müller Verlag in München herausgegebene „Wedekindbuch“ (1914) in einem ersten Exemplar als Ehrengabe überreicht wurde, in dem der vorliegende Brief gedruckt ist, den Max Halbe vorlas: „Als Freund Wedekinds las er [...] einen Brief an Wedekind vor, der in einer bei Georg Müller erscheinenden Wedekind-Publikation enthalten sein wird. Halbe schildert darin eingehend sein persönliches Verhältnis zu Wedekind, mit dem ihn seit 24 Jahren starke Freundschaft verbindet. [...] Dr. Friedenthal überreichte dem Dichter das erste Exemplar seines Wedekind gewidmeten Gedenkbuches“ [Vorfeier von Wedekinds 50. Geburtstag. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 321, 26.6.1914, Vorabendblatt, S. 3].. Es ist sehr hübsch, daß vor zwei Jahren auf
Anordnung höherer StellenZusammenhang nicht ermittelt; möglicherweise ironische Anspielung auf die zahlreichen öffentlichen Würdigungen zu Gerhart Hauptmanns 50. Geburtstag am 15.11.1912. die Feier des fünfzigsten Geburtstages deutscher
Dichter in den Hausgebrauch des deutschen Volkes aufgenommen worden ist. Sicher
ist sicher, und sechzig oder gar siebzig alt zu werden, wird nur wenigen von
uns beschieden sein. Auch weiß niemand, wie er in zehn oder zwanzig Jahren vor
dem dann gerade herrschenden Geschmack bestehen wird. Der Verbrauch an
Richtungen, Strömungen und den verschiedenartigsten Ismen wächst von Tag zu
Tag. Man tut gut, die Früchte seines Lebensbäumchens in Körbe zu füllen, ehe
der Hagel der Kritik sie ganz herunterschlägt. So stellt sich jene Anordnung höherer
Stellen, die den Beginn der offiziellen Erntezeit für uns Literaten vom
sechzigsten auf das fünfzigste Jahr verlegt hat, als eine Maßregel von hoher
Weisheit dar, den Vorgängen im menschlichen Organismus vergleichbar, die man
als automatischen SelbstschutzGifte könnten zu einem „automatischen Selbstschutz des Organismus“ [Zentralblatt für die gesamte innere Medizin und ihre Grenzgebiete (Kongresszentralblatt). Berlin 1913, S. 159] führen, also immunisieren. des Körpers bezeichnet, und kommt in der Folge
auch denen zugute, für die er vielleicht gar nicht berechnet war.
Ich
sehe Dich bedeutungsvoll den Mund verziehen und weiß, dass wir uns verstehen.
Du
wirst nun also fünfzig Jahre alt, und selbst Deine Feinde, deren Du ja wohl
einige SchockMaßeinheit für Stückmengen: 1 Schock = 5 Dutzend = 60 Stück. besitzen magst, selbst wenn man dreizehn davon aufs Dutzendhumoristisch gemeinte Übertreibung; ein Dutzend bezeichnet eine Stückzahl von 12, nicht 13.
rechnet, werden Dir zugestehen, daß in diesen fünfzig Jahren so viel Mühe und
Arbeit gewesen ist, wie bei manchem anderen kaum in siebzig oder achtzig, nach
dem biblischen Wortvorangehend das Bibelzitat, ein geflügeltes Wort: „Psalm 90, 10 steht der oft citirte Vers: Unser Leben währet siebenzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ [Büchmann 1879, S. 14], das uns allen geläufig ist. Wir können Dich also getrost
so behandeln als ob Du wirklich schon das Patriarchenalterein sehr hohes Alter; sprichwörtlich nach den biblischen Patriarchen im Alten Testament [vgl. 1. Mose 5, 3-32]. erreicht hättest,
und können ein bißchen das Fazit Deines Lebens ziehen. Nur mußt Du mir
erlauben, daß ich es nicht planmäßig wie ein vereidigter Bücherrevisor tue. Ich
möchte vielmehr nur so nebenbei ein paar Posten aus Deinem Lebenskonto herausgreifen,
die dann als Probe aufs Exempel eigentlich wieder die Richtigkeit der
Gesamtrechnung bestätigen müßten. Diese selbst aber aufzustellen, überlasse ich
den dazu eingesetzten Beamten an den Großbanken der öffentlichen Meinung, die
man Zeitungen nennt. Es möchte sonst dieses Geburtstagsbriefchen leicht zu
einem Feuilleton ausarten, und hierzu langt erstens die Zeit nicht mehr, und
zweitens müssen wir mit unserer Arbeitskraft notgedrungen haushalten, um auch
für andere fünfzigste, sechzigste und siebzigste Geburtstage noch etwas übrig
zu behalten.
Du
wirst also wirklich fünfzig Jahre alt. Vierundzwanzig davonvon 1914 zurückgerechnet Hinweis auf das Jahr 1890. Max Halbe hat Wedekind im Sommer 1890 in München kennengelernt, „im Münchner Regensommer 1890. Wedekind zählte sechsundzwanzig, ich etwa fünfundzwanzig.“ [Halbe 1935, S. 303] habe ich die Freude
(und manchmal auch den Aerger, doch davon sprechen wir heute nicht), Dich zu
kennen. Als wir uns zum erstenmal gegenüberbefanden und im Feuer der Jugend
Salutschüsse wechselten, hatte ich nach einer Stunde den Eindruck, es mit einem
Menschen von ganz ungewöhnlicher und fast unglaubhafter Zielbewußtheit und
inneren Geschlossenheit zu tun zu haben. Die deutsche Welt stand damals am
Vormittag des großen naturalistischen RevolutionstagesAnspielung auf um 1890 verbreitete Vorstellungen vom Naturalismus als einer literarischen Revolution, gebündelt etwa im Titel der einschlägigen Broschüre „Revolution der Literatur“ (1886) von Karl Bleibtreu.. Man rüstete sich gerade
zum entscheidenden BastillensturmFortführung der Revolutionsmetapher für den Naturalismus (siehe oben) durch Bezug auf den Sturm auf die Bastille 1789 als Auftakt der Französischen Revolution.. Niemand von uns Jungen durfte beiseite
stehen. Alle Kräfte wurden gebraucht. Denn der Feind war sehr stark. Viel
stärker, als die heutige Jugend ahnt. Das Thema des Tages sprang zwischen uns
auf wie der Funke am Kontakt. Da sprachst Du Deine entgegengesetzte Meinung aus,
stelltest Deinen eigenen Standpunkt, Deine persönliche Politik wider das
Zeitgebot. Der Abend schloß mit offener Feindschaft und vielem Bier. Aber am
nächsten Abend saßen wir wieder zusammen, und der Wechselstrom der Kräfte, der
Anziehungen und Abstoßungen, begann von neuem sein Spiel, mit der gleichen
Wirkung wie tags zuvor. So eine Reihe von Abenden. Das Resultat war doch eine
Lebens-, Kampf- und Interessengemeinschaft, die auch in schlimmsten Jahren der
Entfremdung immer noch unauslöschlich in uns eingeschrieben blieb.
Zweierlei
haftet mir bis heute von jenem Abend, beleuchtet vom ungewissen Kerzenflimmern,
das um unsere heißen Köpfe irrlichterte. Das eine sagte ich schon: die innere
Zielsicherheit, mit der Du schon damals Dich und immer wieder Dich an das Ende
aller Beweisreihen stelltest, eine Genialität des Gehirns, des Intellekts, die
in ihrer fast monomanischen Einseitigkeit oft etwas geradezu Verbohrtes, etwas
unbedingt zum Widerspruch Reizendes und dann doch wieder etwas Verblüffendes
und manchmal Bezwingendes hatte.
Das andere
– Ibsen hätte es das „Liebenswürdige an Jakob EngstrandZitat aus Henrik Ibsens Drama „Gespenster“ (1. Akt): „Das ist das liebenswürdige an Jakob Engstrand, daß er so vollständig hülflos zu Einem kommt und sich selbst anklagt und seine Schwächen bekennt.“ [Henrik Ibsen: Gespenster. Ein Familiendrama in drei Akten. Deutsch von A. Zinck. Berlin 1890, S. 25]“ genannt – war ein
gewisser jünglingshafter, beinahe noch gymnasiastischer UeberschwangMax Halbe war der Ansicht, dass Wedekind „in der Freundschaft ein ewiger Gymnasiast blieb“ [Halbe 1935, S. 324]. im ... wie
soll ich sagen? ... im Freundschaftsgefühl. Er war es wohl vor allem, der uns
zusammenführte und alle die Hemmungen, das Knirschen der beiden noch nicht
miteinander abgepaßten Räderwerke überwinden half. Was uns beiden freilich
damals der Schleier der MajaBild für Täuschung, Illusion und verhüllte Wahrheit aus der indischen Philosophie; Arthur Schopenhauer zufolge „ist der Schleier der Maja durchsichtig geworden“ [Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. 6. Aufl. Bd. 1. Leipzig 1887, S. 441], ein Wedekind bereits durch Olga Plümacher vertrauter Gedanke, die ihm seinerzeit ihren Traum vom „Riß im Schleier der Maja“ [Olga Plümacher an Wedekind, 30.6.1884] erzählte. verbarg: daß es im Grunde nur ein Streit um Worte,
um Formeln, um I-Punkte zwischen uns war, und daß der Naturalismus, den der
eine meinte und den der andere schlug, nur ein Trugbild war, das sie beide
narrte, und daß der Naturalist im Grunde ein Individualist war und der
Individualist ein Naturalist, wenn auch in einem ganz anderen Sinne, als damals
die Schulauslegung des Wortes zulassen wollte.
Ich
sehe Dich bedenklich die Stirn runzeln, denn das Wort Naturalist hat immer ein
bißchen wie ein rotes Tuch auf Dich gewirkt, und nun wird es Dir gar als ein
freundliches Angebinde auf den Geburtstagstisch des halben Jahrhunderts gelegt.
Aber vergiß nicht, daß auch Lenz und Büchner und der Goethe des Sturmes und
DrangesSturm und Drang, in der Literaturgeschichte Bezeichnung für eine Gruppe von Schriftstellern der 1770er Jahre, zu denen der genannte J. M. R. Lenz, Heinrich Leopold Wagner (von Max Halbe im Briefentwurf genannt, dann gestrichen und durch Büchner ersetzt) und der junge Goethe gehörten, nicht aber Georg Büchner, der durch sein Prosafragment „Lenz“ aber in der Nachfolge des Sturm und Drang verortet wurde. Naturalisten waren, wenn auch in der ganzen Weite und Erdenfülle des
Wortes, im Gegensatz zu der fast philologischen Enge und Spießbürgerlichkeit,
in das man es hineinpressen wollte, zu der Zeit, als wir beide mit heißen
Köpfen beim Flackerlicht der Kerzen zum erstenmal darüber debattierten. Und
darum hattest Du recht, als Du Dich mit Händen und Füßen dagegen wehrtest, aber
auch ich hatte recht, denn ich meinte etwas ganz anderes damit, als was es gerade
im Augenblick bedeutete. Und die Hauptsache war, daß es nicht beim bloßen
Debattieren blieb, sondern daß auch etwas getan wurde und daß etwas geschah.
Das ist
nun vierundzwanzig Jahre her, und das halbe Jahrhundert will sich Dir runden.
Es hat sich sehr vieles in dieser Zeit zugetragen und gewandelt, und die Welt
hat ungefähr eine halbe Drehung um sich selbst gemacht seitdem, denn sie
befindet sich so ziemlich auf dem entgegengesetzten Ende wie damals. Was damals
unten war, ist jetzt oben, und oben ist unten, aber da das Rad unaufhaltsam
weitergeht, so wird nach abermals einem Vierteljahrhundert unten vermutlich
wieder oben sein. Du hast es Dir nicht leicht gemacht im Leben und Dich nicht
mit anmutiger Lässigkeit gleichsam von selbst hinauftragen lassen. Du hast oft
der Bewegung nach oben sogar eher Widerstand geleistet, vermöge jenes
Charakterzuges, den ich – wie schon erwähnt – am ersten Abend unserer
Lebensbeziehung an Dir zu entdecken glaubte, vermöge jener ideologischen
Geschlossenheit, jener – verzeih das Wort! – fast monomanen Einseitigkeit, die
das gemeinsame Kennzeichen von Genie und IrrsinnAnspielung auf ein zeitgenössisch populäres Deutungsmuster künstlerischer Produktivität (‚Genie und Wahnsinn‘), das auf die Rezeption von Cesare Lombrosos Buch „Genio e follia“ (1872) zurückgeht, 1887 in deutscher Übersetzung als „Genie und Irrsinn“ erschienen. ist, und hast doch vielleicht
gerade dadurch die Speichen des Rades, das Dich mehr als einmal zermalmen
wollte, immer wieder unter Dich gezwungen.
Du
stehst jetzt auf der Höhe des Rades, das sich dreht, und bist jetzt auch für diejenigen
sichtbar, die immer erst Augen bekommen, wenn etwas verbrieft und besiegelt in
den Zeitungen zu lesen ist, womit es dann, unserem Freunde Franz Blei zufolge,
auch schon so gut wie begraben ist. Ich denke nicht wie Franz Blei und glaube
nicht, daß der Erfolg der Anfang vom Ende ist. Aber ich gehöre auch nicht zu
denen, die erst, wenn der Sieg schon in den Zeitungen steht, Hosianna rufenAuftakt des Bibelzitats zum Einzug Jesu nach Jerusalem – das ‚Hosianna‘ [vgl. Matthäus 21,9] – zum Aufruf zur nachfolgenden Kreuzigung – ‚kreuziget ihn‘ [vgl. Matthäus 27,22-23; Johannes 19,6; Lukas 23,21] – in umgekehrter Reihenfolge imaginiert, den Schriftsteller als Christusfigur mit ihrer Leidensgeschichte ins Bild setzend.,
nachdem sie eben erst zu kreuzigen versucht hatten. Ich weiß, daß ich Deinem
Wesen und Wollen, Deinem Tiefsten und Eigensten schon nahegestanden habe und
dafür eingetreten bin, als es noch nicht ganz so bequem war, dies zu tun, wie
es heute ist, und ich weiß auch, daß Du umgekehrt es genau ebenso mir gegenüber
gehalten hast und es ganz besonders auch heute so hältst, wo es vielleicht gar
nicht so besonders bequem ist, dies zu tun.
Dies
Bewußtsein muß zwischen uns beiden genügen. Es fließt aus dem anderen
Hauptwesenszuge, den ich an jenem ersten Abend beim flackernden Kerzenlicht an
Dir zu entdecken glaubte, aus dem tief quellenden Freundschaftsdrang, der, wenn
mich nicht alles trügt, noch geheim in dem schon ein wenig ergrauenden Manne
lebt, wie er einst mit Macht jünglingshaft, fast noch gymnasiastisch, aus dem
Zwanziger hervorbrach.
In
diesem und in jenem Sinne, als den Dichter, der sich selbst treu blieb, und als
den Menschen, der dem anderen treu blieb, trotz aller Irrnisse und Wirrnisse,
die sie entfremdeten und trennten, grüße ich Dich heute
als Dein Dir ebenso getreuer
Max Halbe.