REGINA-PALAST-HOTEL
MÜNCHEN
MAXIMILIANSPLATZ
Innigst geliebte Tilly!
meinen herzlichsten Dank für Deine lieben freundlichen Zeilenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 26.5.1908..
Aber warum hast Du mir nicht den anderen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.5.1908. auch geschickt. Ich bitte Dich,
schick ihn mir. Ich muß doch wissen, was in Deinem Inneren vorgeht. Und jetzt
weiß ich ja, daß bittere Dinge darin
vorkommen und werde nicht unangenehm ÜberraschtSchreibversehen, statt: überrascht. sein. Also bitte, schick ihn
mir.
Die Dinge liegen nun folgender | Maßen. Hier bei StollbergWedekind hat dem Tagebuch zufolge am 26.5.1908 („Unterredung mit Stollberg“) und 27.5.1908 („Unterredung mit Stollberg“) mit Georg Stollberg gesprochen, dem Direktor des Münchner Schauspielhauses. diesen
Sommer zu gastieren hat wenig Aussicht. Stollberg hat ganz andere Dinge im
Kopf. Frl. Erw. ist frei gewordenNachdem Wedekind und Georg Stollberg am 21.4.1908 persönlich bei der Münchner Polizeidirektion wegen einer öffentlichen Aufführung von „Frühlings Erwachen“ in München vorgesprochen hatten und der Münchner Polizeipräsident Julius von der Heidte noch am 21.4.1908 den Mitgliedern des Münchner Zensurbeirats Franz Muncker, Max von Gruber, Max Halbe, Anton Stadler, Johann Nicklas und Ernst von Possart ein Textbuch zur Begutachtung zugeschickt hatte und die Gutachten in den Tagen darauf eingegangen waren (für Freigabe votierten Gruber, Halbe, Stadler, Nicklas und Possart, dagegen Muncker), wurde die öffentliche Aufführung der Kindertragödie dem Münchner Schauspielhaus am 11.5.1908 von Julius von der Heidte genehmigt [vgl. KSA 2, S. 967-972]; Premiere war am 14.11.1908 unter der Regie Wedekinds. und zwar hauptsächlich durch Halbes
Befürwortung bei der ZensurIn Max Halbe Gutachten vom 24.4.1908 über die Freigabe von „Frühlings Erwachen“, die Antwort auf das Schreiben des Münchner Polizeipräsidenten Julius von der Heidte vom 21.4.1908, heißt es: „Ein durch und durch genialisches Werk! Ganz einseitig, aber darum auch ganz einheitlich in Tendenz, Stimmung, Beleuchtung, Details. Ein Wurf, wie er selten gelingt und wie er auch Wedekind nicht entfernt mehr gelungen ist, schwerlich auch je wieder gelingen wird. Aufrechterhaltung des Verbots würde nach meiner Ansicht eine schwere Bloßstellung vor der Nachwelt bedeuten. Ich bin unbedingt für Freigabe.“ [KSA 2, S. 969]. Außerdem hat Stollberg mehrere sehr gutgehende
Stücke auf dem Repertoir. Nun legt er es mir dringend ans Herz, doch mit hinaus
aufs Land bei Tegernseein der Nähe des etwa 50 Kilometer von München entfernt liegenden Tegernsees. zu ziehen. Er bot sich an selber dieser Tage mit mir
hinauszufahren, um Wohnung für den Sommer zu mieten. Ich
entgegnete ihm, ich müsse zuerst wissen was Du dazu sagst. Aus seinem |
Diensteifer schließe ich daß sich seine Frau und Schwesternicht ermittelt. mit ihren
Kindern da draußen entsetzlich langweilen und dich gerne zur Gesellschaft haben
möchten. Aber ich trage dir die Sache hiemit pflichtgemäß
vor. Nur glaube ich, daß wenn man einmal da draußen sitzt von Gastieren während
des Sommers nicht mehr die Rede sein wird, und daß sich auch das Rollenstudieren
da draußen nicht sehr behaglich gestalten würde. Dabei
hätte Stollberg den Vortheil daß er mich für alle Vorarbeiten für Frl Erw in
Anspruch nehmen könnte ohne natürlich etwas dafür zu bezahlen. | Heute früh
habe ich die Tapeten ausgesucht, alle so wie wir es besprochen haben, bis auf
die Rote meines ArbeitszimmersTilly Wedekind erinnerte sich, das Arbeitszimmer ihres Mannes in der Wohnung im 3. Stock der Prinzregentenstraße 50 war eingerichtet „mit rotem Teppich und roter Tapete, roten Vorhängen […] und rot gestrichenen Bücherregalen und Sesseln, auch möglichst rot“ [Wedekind 1969, S. 117f.]., wegen der ich morgen noch einmal zum Tapezierer
muß. Dann habe ich hier eigentlich weiter nichts mehr zu tun als eine
Unterredung mit LangeWedekind notierte am 31.5.1908: „Unterredung mit Langen.“ [Tb]n, Ich muß auch noch einmal zurSchreibversehen, statt: zum. ArztWedekind war bei Dr. med. Heinrich Bock, Spezialarzt für Atmungs- und Kreislaufstörungen (Richard Wagnerstraße 1, Parterre) [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil I, 51] in Behandlung, den er zuerst am 26.5.1908 konsultiert hat: „Besuch bei Dr. [...] Bock“ [Tb]. denn Dampf- und Lichtbäder würde ich dann in Berlin
weiternehmen, vorausgesetzt, daß wir nach Berlin gehen. Ich möchte nun nicht,
liebe Tilly, daß jetzt wo gar keine Nötigung vorhanden ist, Du Dich beklagst,
daß ich über alles bestimme ohne daß Dein Wille in Betracht käme. Du schreibst
| mir, Du giengest jetzt sehr gern wieder nach Berlin, vorausgesetzt daß Du
nicht sofort wieder packen müßtest. Dazu
sähe ich gar keinen Grund. Und zum Studieren ist es in Berlin doch am
bequemsten. Ich weiß nun nicht wann Martha frei wird. u/U/nd ob Du bei
diesem Wetter die Donaufahrt machen willst. Ist das der Fall dann wäre es wohl
am besten ich käme euch nach Wien entgegen. Aber dann fragt es sich wieder, ob für so viele Menschen Platz in der Kajüte
ist. Willst Du mir über diese Dinge schreiben, dann würde ich den Tag der Reise
von Dir zu bestimmen überlassen. |
Unsere Wohnung hier wird nicht vor 15 September frei und die
zweite Hälfte September will der Hausherr zum Herrichten der Wohnung benutzen.
Er selber zieht aus der ParterrewohnungWedekinds Vermieter Wilhelm Schröder wohnte in der Prinzregentenstraße 50 zunächst Parterre [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil I, S. 515], dann im 2. Stock [vgl. Adreßbuch für München 1909, Teil I, S. 530]. Den Mietvertrag mit ihm für die Wohnung im 3. Stock hat Wedekind am 18.4.1908 geschlossen, Einzug war am 1.10.1908. in den dritt zweiten Stock und
wohnt dann also unter uns. Er ließ heute Mittag so etwas fallen, daß, wenn wir vorher
nach München kommen wollten, wir ja dann derweil in der leeren Parterrewohnung
wohnen könnten. Ich weiß aber gar nicht wann er umziehen will. Ich werde morgen
noch einmal in sein Bureau gehen und ihn fragen. |
Geliebteste Tilly, heute, den 28der 28.5.1908. sind es wohl drei Jahre,
seit wir uns zum ersten Mal sahenWedekind und Tilly Newes haben sich erstmals am 27.5.1905 bei der ersten Probe zur Wiener „Büchse der Pandora“-Inszenierung (Generalprobe war am 28.5.1905, Premiere am 29.5.1905) gesehen: „Kraus holt mich am Bahnhof ab. Wir [...] fahren zur Probe.“ [Tb]. Ich danke Dir, geliebte Tilly, für diese
Zeit. Du hast Dich manchmal nicht sonderlich glücklich gefühlt. Aber das ist ja
das einzige womit ich nicht zufrieden bin, damit daß Du zu wenig Freude hast.
Aber bis jetzt ist doch auch das bis mit jedem Tag besser geworden.
Deshalb bitte ich Dich, geliebte Tilly, die Geduld noch nicht zu verlieren.
Küsse Anna Pamela von mir.
Mit herzlichstem Kuß
Dein
Frank.