(Leipzig), 1.IV.1908.
Meine innigstgeliebte Tilly!
Ich bitte Dich herzlich und inständig, sei doch nicht so
muthlos, wie ich es aus Deinen lieben Zeilenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 31.3.1908. herauslesen muß. Du hast doch
wirklich allen Grund, stolz auf Dich zu sein. Du weißt aus tausend Dingen, wie
glücklich ich durch Dich bin. Und was Dir zu Deinem Wohlbefinden fehlt, ist
doch nur Zeit und Ruhe. Ich meine nicht, daß Du stolz darauf sein sollst, daß ich
glücklich bin, sondern darauf, was Du selber bist und was Du in Deinen Jahren
schon alles zustande gebracht hast. Hab doch nur etwas mehr Geduld mit Dir
selber. Wir haben gar nichts vor uns, was eilt, was unbedingt dann und dann
geschehen muß. Das wichtigste ist jetzt Dein Wohlbefinden, Deine Gesundheit.
Bis Du Dich wieder frisch und munter fühlst, muß alles andere Nebensache
bleiben.
Du fragst mich nach den Schminken und Kostümen. Das Kostüm
zu Rabbi Esra steht auf beiliegender Kartenicht überliefert.. Die Kostüme zu So ist das Leben
aufzuzählen hätte keinen Zweck, da ich sicher etwas vergessen würde. Ebenso ist
es mit den Schminksachen, die voraussichtlich alle in der Blechbüchse sind.
Pack also bitte die Blechbüchse ein. Ich werde sie dann revidirenprüfen, durchsehen.. Außer Rabbi
Esra und So ist das Leben habe ich nur noch 3 Kostümsachen, Talar, spitzer Hut
und Schnallenschuhe. Ich würde Dich bitten, wenn Du Dich durchaus damit befassen
willst, alles, was ich an Kostümen habe,
in einen Korb zu packen und die Blechbüchse dazu. Ebenso die
Kammersängerperrückeeine Perücke – (frz.) perruque – als Requisit für den Einakter „Der Kammersänger“ (1899)., die Perrücke(frz.) perruque; veraltet für: Perücke. zu M. v. Keith und alles, was ich
an Stiefeln und Schuhen für die Bühne habe. Aber warum willst Du Dich mit alle
dem plagen? Das Einpacken ist ein Vergnügen, wenn man es gemeinschaftlich besorgt.
Für Dich allein ist es doch nur Plage und Hetzerei. Du sollst Dich doch
schonen, essen, trinken, schlafen und spazirengehen.
Am ersten Abendam 30.3.1908 in Leipzig; Wedekind verbrachte den Abend dort allein im Ratskeller [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.3.1908]. war ich, wie ich voraussah, allein. Gesternam 31.3.1908, an dem Wedekind seinen Besuch bei dem befreundeten Rechtsanwalt Kurt Hezel und das abendliche Beisammensein mit ihm, dem Rechtsanwalt Martin Drucker und dem Mathematiker und Schriftsteller Felix Hausdorff (und dessen Frau Charlotte Goldschmidt) im Leipziger Ratskeller notierte: „Besuch bei Hetzel [...]. Abends Ratskeller mit Drucker, Hausdorf und Frau und Hetzel. Nachher im Kaffeebaum. Hetzel fährt uns im Automobil nach Haus.“ [Tb] war
ich mit Hezel und Professor Hausdorf zusammen. Heuteam 1.4.1908, an dem Wedekind notierte: „Abends allein im Ratskeller Zensur studiert.“ [Tb] Er lernte die Rolle des Walter Buridan aus „Die Zensur“ (die Rolle spielte er dann stets selbst). werde ich wieder allein
sein und Buridan lernen. Die Rolle lernt sich so leicht, wie mir das Lernen
noch nie geworden ist. Küsse Anna Pamela herzlich von mir. Wenn Du mir nicht schreibst,
so nehme ich das als ein Zeichen, daß Du Dich schonst und pflegst.
In innigster Liebe küßt Dich Dein
Frank.