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Lenzburg,
Samstagder 28.9.1907..
Mein lieber Frank,
ich konnte Dir nicht ausführlicher antworten, weil wir bei
Henkell’sbei dem Lenzburger Konservenfabrikanten Gustav Henckell (Bruder des Schriftstellers Karl Henckell) und dessen Frau. zu Besuch waren. Sie lassen Dich auch vielmals grüßen.
Nun ist die schöne Zeit hier auch wieder bald zu Ende. Ich
hätte meine Abreise vielleicht noch etwas hinausgeschoben, denn Du scheinst |
auch noch nicht große Lust zu haben nach Berlin zu kommen. Aber am 1ten schickt Mama ihr Mädchen fort u. sind sie dann allein. Auch haben
sie die Absicht nach Baden zu gehen.
Wenn ich im Berliner Tageblatt lese was alles gespielt wird,
hab’ ich ja auch große Lust wieder dabei zu sein. Ich meine als Publicum. Dann
wird wohl auch Adele wieder da sein u. vor allem | Iduschka. Darauf bin ich
sehr neugierig! Hier hab’ ich entschieden an
Gewicht zugenommen u. sehe gut aus. Ich hab’ mich schon lange nicht so wohl
gefühlt wie hier. Das beleidigt Dich hoffentlich nicht, es ist eben das
Landleben. Ich glaube tatsächlich, ich habe meinen Humor wiedergefunden. Aber
ich will nicht zuviel sagen, hoffentlich findest Du es selbst, wenn wir wieder
zusammen sind. | Morgen packe ich u. Montag um 1.45/0/ glaub’
ich geht der Zug. Ich freu’ mich sehr Frank, Dich wieder zu sehen?/!/
Sag’ mir offen, ob Du Dich auch freust oder nicht.
Ich kann es kaum erwarten das neue StückWedekinds Einakter „Die Zensur“ – die „Rolle der Kadidja war Tilly sozusagen auf den Leib geschrieben“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 72]. zu hören u. wie Du
mich gezeichnet hast. Ich werde in Berlin gleich mit „So ist das Leben“ anfangen.
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Eben jetzt erhielt ich Deinen
Kartenbriefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 28.9.1907. u. breite die Arme nach Dir aus um Dich in sehnsüchtigem Jubel zu
umfangen! Mein Frank, ich liebe Dich mehr, wie ich es je für möglich gehalten.
Komm’ so bald wie möglich.
Von ganzem Herzen
Deine Tilly