Innigstgeliebte Tilly,
herzlichen Dank für Deinen lieben ausführlichen Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.9.1907.. Wie
kannst Du denken, daß mich das was Du schreibst nicht von ganzem Herzen in
Anspruch nimmt. Du hast mir das von Graz aus schon einmal geschrieben. Ich
bitte Dich, mir von Deinem Empfinden das beste zu geben und nicht das beste für
Dich zu behalten.
Sollte ich wirklich Tilly mit | mitSchreibversehen, statt: mit. einem i geschrieben
haben? Nun, ich werde es nicht mehr thun.
Es freut mich, daß Du Dich in Lenzburg nicht langweilst und
daß sich alles wohlbefindet. Mit mir steht es so. Die erste Scene habe ich gestern
fertig geschriebenWedekind, der an seinem Einakter „Die Zensur“ noch unter dem vorläufigen Titel „Das Kostüm“ arbeitete [vgl. KSA 6, S. 827], hielt am 20.9.1907 im Tagebuch fest: „Ich beende die erste Scene von Kostüm auf dem Hofbräuhauskeller.“. Ich werde jetzt hier noch den nötigen Stoff für die zweite
Scene sammeln. Übermorgenam 23.9.1907; an diesem Tag suchte Wedekind den Pater Expeditus (Carl Hermann Schmidt) im Franziskanerkloster St. Anna auf und sah ihn anschließend bei der Probe zu der Inszenierung von Johann Wolfgang Goethes „Iphigenie auf Tauris“ im Münchner Schauspielhaus, wie er im Tagebuch notierte: „Besuch bei Pater Expeditus. Probe von Iphigenie.“ treffe ich Pater
Expeditus auf der Probe
von Iphigenie im Schauspielhaus, vielleicht auch schon vorher im St.
Annakloster, wenn ich früh genug aufstehe. | Er hat mir eben geschriebenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Hermann Schmidt an Wedekind, 20.9.1907.. Ich
werde dann die folgende Woche noch hier bleiben.
Auf dem Rückweg muß ich wieder über FrankfurtWedekinds Schneider Johann Christoph Jureit hatte sein Geschäft in Frankfurt am Main – das Schneideratelier Johann C. Jureit (Roßmarkt 12) [vgl. Adreßbuch für Frankfurt am Main 1907, Teil I, S. 174]., da ich Jureit hier
versäumt habe. Er war schon Anfang September hier, während ich geglaubt hatte
er käme später. Wir könnten uns dann vielleicht in Frankfurt treffen, da die
Reise in einer Tour sowohl für Dich wie Anna Pamela wol zu anstrengend wäre.
Ich käme vielleicht einen Tag vorher hin und würde im Frankfurter Hof für
Unterkunft sorgen. Ich würde auch gerne mit | Dr. Heine sprechenCarl Heine – ehemals Leiter des Ibsen-Theaters, das 1898 in Leipzig im Auftrag der Literarischen Gesellschaft den „Erdgeist“ uraufgeführt hatte und mit dem Wedekind seinerzeit auf Tournee war – war Wedekind seit dieser Zeit freundschaftlich verbunden; er war seit Ende 1906 Oberregisseur und Dramaturg am Frankfurter Schauspielhaus., mit dem wir
dann zusammensein könnten.
Nun schreib noch/mir/ auch wie es mit Deinen Finanzen steht und was du voraussichtlich bis
Berlin noch brauchst. Wieviel die Fahrkarten Basel – Berlin kosten werde ich
hier erfahren. Schreib mir, ob du lieber bei Tag oder bei Nacht fährst.
Hast Du mit Mati gesprochen und was habt ihr ausgemacht?
Ich bitte Dich Mama und Mati für alle Liebe meinen
herzlichsten Dank zu sagen. | Wenn wir hier in München wohnen, dann besuchen sie uns hoffentlich auch. Es wäre wirklich eine Sünde in
Berlin wohnen zu bleiben.
Und sei herzlichst gegrüßt und geküßt, meine geliebte
Tilly! Schone Dich, in acht Tagen geht die Anstrengung mit dem Proben und
Reisen wieder an. Küsse Anna Pamela von mir, ich werde ihr noch eine Karte
schreibenvgl. Frank Wedekind an Pamela Wedekind, 21.9.1907.
Auf baldiges Wiedersehn
Dein
Frank
21.9.7.