München, 14.12.06.
Lieber & verehrter Herr Wedekind,
soeben teilt mir meine CousineTherese Rosenthal war die Witwe des am 9.8.1906 verstorbenen Münchner Rechtsanwalts Friedrich Rosenthal, den sie am 5.6.1876 in Fürth geheiratet hatte. Er war der Sohn von Wilhelm Rosenthals Onkel Jacob Rosenthal. Therese Rosenthal gratulierte ebenfalls zur Geburt von Pamela Wedekind [vgl. Therese Rosenthal an Frank und Tilly Wedekind, 15.12.1906]. Mit den Rosenthals war Wedekind seit 1896 bekannt. die Ankunft Ihrer TochterPamela Wedekind, das erste Kind von Tilly und Frank Wedekind, wurde am 12.12.1906 in Berlin geboren: „Um 6 Uhr weckt mich Tilly durch ihr geschrei, bald darauf kommt Dr. Bresin um 8 Uhr ist Anna Pamela geboren“ [Tb]. mit
& ich sende Ihnen & Ihrer
verehrten Frau Gemahlin für meine Frau & mich die herzlichsten
Glückwünsche für Sie
beide & Ihre Tochter; hoffentlich geht alles weiter gut!! – dies wünsche
ich auch im egoistischen Interesse des Münchener Publikums & | unseres
Neuen VereinsWilhelm Rosenthal war der 1. Vorsitzende des Ende 1903 in Nachfolge des Akademisch-Dramatischen Vereins gegründeten Neuen Vereins e. V. (Vereinslokal: Türkenstraße 28, Geschäftsstelle: Buchhandlung Heinrich Jaffe, Briennerstraße 54) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil III, S. 144]), der geschlossene Vorstellungen neuer Dramen veranstaltete, vor allem von Dramen Wedekinds. „Die von der Polizei verbotenen Stücke Wedekinds wurden vom ‚Neuen Verein‘ vor geladenem Publikum gespielt“ [Mühsam 2003, S. 137].; schreiben Sie mir, doch, bitte, recht bald, wann Sie & Ihre verehrte Frau Gemahlin
im Januar 07 bei uns spielen können; wir
wollen, Sie wissen ja schon, einen Wedekindabend veranstalten: TotentanzZu einer Aufführung des Einakters „Totentanz“ durch den Neuen Verein kam es nicht. Die Zensurbehörde hatte bereits am 11.6.1906 die vom Münchner Schauspielhaus geplante öffentliche Aufführung des Stücks verboten, dem Neuen Verein untersagte sie dies erneut am 22.12.1909 [vgl. KSA 6, S. 668]. &
Frühling’s Erwachen, – letzteres will BasilFritz Basil, Hofschauspieler und Regisseur am Münchner Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 510], plante für den Neuen Verein in München eine Inszenierung von „Frühlings Erwachen“ unter seiner Regie, die mit nur einer geschlossenen Vorstellung (eine zweite wurde von der Zensur nicht genehmigt) am 28.1.1907 im Münchner Schauspielhaus stattfand: „vor den Mitgliedern und geladenen Gästen des Vereins im Schauspielhause“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 60, Nr. 46, 28.1.1907, S. 4]. Wedekind hatte ihm aus Berlin Hinweise zur Inszenierung gegeben [vgl. Wedekind an Fritz Basil, 3.1.1907]. mit seinen Eleven einstudieren; für den Totentanz müssen
wir uns die außer Ihre Gattin & Ihnen | nötigen Kräfte im Einzelnen zusammensuchen, da die Direktoren
Stollberg. SchmedererGeorg Stollberg und Cajetan Schmederer, die beiden Direktoren des Münchner Schauspielhauses und des Theaters am Gärtnerplatz [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 514]. nicht eben vereinsfreundlich sind; aber es geht schon!! Empfehlen
Sie mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin & dem Fräulein Tochter, die sicher
sehr brav sein wird, & nehmen Sie selbst herzlichen Gruß
Ihres aufrichtig ergebenen
DWRosenthal