Lieber
Frank, ich fahre auf keinen Fall nach BudapestTilly Wedekind reiste dann doch mit nach Budapest, wo ihr Mann zu einem Ensemblegastspiel des Berliner Deutschen Theaters verpflichtet war (siehe unten). Frank Wedekind notierte am 9.5.1907: „Wir bringen das Gepäck aufs Schiff. [...] Fahrt zum Schiff. Wir legen uns in der Kajüte nieder zu Bett.“ [Tb] Und am 10.5.1907: „Donaufahrt nach Budahpest. Wir diniren mit Kapitän und Maschinenmeister. Einfahrt in Budapest.“ [Tb] Die Reise von Wien nach Budapest fand im Rahmen der Gastspielreise des Berliner Deutschen Theaters statt, das auch die Reisekosten trug, wie Wedekind am 15.5.1907 notierte (Felix Hollaender war Dramaturg am Deutschen Theater): „Abrechnung mit Holländer. Er bezahlt mir Kr. 780.‒ (4 Spielhonorare. Reise e.ct.)“ [Tb]. Frank und Tilly Wedekind reisten dann am 15.5.1907 von Budapest nach Graz, um Tilly Wedekinds Familie zu besuchen, traten die Rückreise von dort am 19.5.1907 zunächst nach Wien an und reisten von Wien am 21.5.1907 zurück nach Berlin [vgl. Tb]. mit. Ich will Dir nicht wieder
alles verderbenHinweis auf Spannungen zwischen Tilly Wedekind und ihrem Mann. Frank Wedekind hatte in Budapest im Lustspieltheater im Rahmen des Ensemblegastspiels des Berliner Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) am 11. und 12.5.1907 den vermummten Herrn in „Frühlings Erwachen“ zu spielen [vgl. Tb] sowie am 14.5.1907 in einer Matinee wohl auch im „Kammersänger“ oder jedenfalls bei dieser Matinee aufzutreten: „Klägliche Kammersängervorstellung. Ich lese Totentanz, singe zur Guitarre.“ [Tb]. Ich kann ja solange in Prag bleiben. – Falls ich je nochmals
schwanger werden sollte, bleibt mir nichts übrig, als entweder mir das Kind
abzutreiben, oder mich von Dir zu trennen. Denn ich habe keine Lust mir
fortwährend vorhalten zu lassen, ich sei immer krank. Und meine Krankheit hat nur daraus bestanden. Das Bischen ErkältungWedekind notierte am 27.4.1907 in Wien (seit dem 20.4.1907 waren er und seine Frau im Rahmen eines Ensemblegastspiels des Berliner Kleinen Theaters am Wiener Bürgertheater in der Stadt, wobei er in „Hidalla“ die Rolle des Karl Hetmann spielte, sie die Rolle der Fanny Kettler, sie außerdem in „Ghetto“ von Herman Heijermans auf der Bühne zu stehen hatte): „Hidallapremiere im Bürgertheater in Wien. [...] Tilly ist erkältet“ [Tb]. Seine Frau ist schon einmal auf ihre Erkältung ausgerechnet bei der „Hidalla“-Premiere zu sprechen gekommen [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.4.1907]. kann jedem
passieren, es ist Dir auch diesen Winter passiert, u. hattest Du vorigen |
Sommer öfter Erbrechen usw. Aber entschuldige, ich liebe es nicht, alte
Geschichten immer u. immer aufzuwärmen. Ich bin überzeugt, dass ich oft hässlich u. ungerecht war; ich war zuweilen eben auch
nicht Herr meiner selbst, wie Du’s jetzt bist. Sonst würdest Du einsehen, dass
es ungerecht ist mir immer die UnannemlichkeitenSchreibversehen, statt: Unannehmlichkeiten. vorzuwerfen, die ich Dir ja
gemacht habe. Denn ich habe diesen Winter auch mehr durchgemacht, als mein
ganzes, vorhereiges Leben, u. ich glaube, | andere Frauen machen noch
viel mehr Geschichten dabei.
Was meine Hüte u. Kleider anbelangt, so glaube ich auch das Recht zu haben, als Frau Frank Wedekind etwas auf mein
Äusseres zu halten. Und wenn man jung u. hübsch ist, putzt man sich eben gern,
ich halte dies für kein Verbrechen. Die Damen im kl. Theater haben mindestens ebensoviel Kleider u. Hüte. Um immer Vorwürfe darüber
zu hören, dazu hätte ich Dich nicht heiraten brauchen, dassSchreibversehen, statt: das. hatte ich schon
früher von meinen Verwandten zur Genüge. |
Es ist gewiss sehr viel zusammen gekommen, u. werde ich
nicht mehr soviel für mich ausgeben, das verspreche ich Dir.
Sei bitte nicht böse, dass ich Dir das alles sage. Es hat
mich sehr gekränkt. Aber ich weiß ja, Du bist so überarbeitet, Dir ist es nie
so schlecht gegangen, wie jetzt. Ich bitte Dich daher, jetzt ganz Dir selbst u.
Deiner Erholung zu leben. Ich bin zu allem bereit, u. will mich bemühen, Dir’s
recht zu machen.
Aber bitte, sprechen wir nicht mehr von all’ den Dingen,
sonst hab’ ich nicht den Mut zu glauben, dass es je besser wird.
Herzlichst Deine Tilly