Kennung: 2949

Berlin, 20. Februar 1906 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Dienstagder 20.2.1906..


Mein lieber, guter Frank,

ich muss Dir doch ein paar Zeilen schreiben. Ich war heute Mittags bei GreveJulius Greve war Regierungs- und Baurat im Polizeipräsidium Berlin und wohnte in Charlottenburg (Rankestraße 31/32) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 664]. „Herrn und Frau Regierungsrat Greve (Berlin) hatte Tilly Newes 1904 während eines Sommeraufenthalts in Seiß (Tirol) kennen gelernt. Als Tilly nach Berlin kam, wurde sie von Greves gastfreundlich aufgenommen“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 48]. Sie erinnerte sich an das befreundete Ehepaar, an den „Regierungsrat Grewe und seine hübsche Frau“, sie „schloß mich ins Herz. Wieviel Freude sollte mir diese Freundschaft noch bringen!“ [Wedekind 1969, S. 24f.] u. hab’ mich so über Dich gefreut! Dein Briefvgl. Wedekind an Julius Greve, 18.2.1906. – Dem Brief vorangegangen waren turbulente Ereignisse, die in Wedekinds Tagebuch skizziert sind. Tilly Newes wünschte eine Heirat mit Wedekind und unternahm am 16.2.1906 einen Selbstmordversuch („Tilly springt in die Spree“), erholte sich am 17.2.1906 („Bringe Tilli nach Hause und bleibe den ganzen Tag bei ihr“) und am 18.2.1906 wurde sich verlobt, wie Wedekind dem Regierungsrat, der dann einer der Trauzeugen war, mitteilte („Benachrichtige Regierungsrat Greve von unserer Verlobung“). ist zu lieb! Ich verdiene Dich ja gar nicht Frank! Greve’s war ich zu wenig glückstrahlende | Braut, nun, sie wissen ja auch nicht so genau Bescheid u. dann kann ich leider, oder Gott sei Dank meine Gefühle vor fremden Leuten nicht herumtragen. Adele hab’ ich leider nicht getroffenAdele Sandrock wohnte seinerzeit noch im Central-Hotel in Berlin (Friedrichstraße 143-149) – zusammen mit ihrer Mutter Johanna Simonetta Sandrock (geb. ten Hagen) und ihrer Schwester Wilhelmine Sandrock. Wedekind hatte Adele Sandrock nach dem Selbstmordversuch von Tilly Newes am 16.2.1906 aufgesucht, um sich „Unterstützung und Rat“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 14] bei ihr zu holen, außerdem am 18.2.1906: „Besuch bei Adele.“ [Tb], ihre Mutter hatt mich gebeten ja sicher morgen zu kommen, u. so gieng ich mit meinem | übervollem Herzen zu IduschkaIda Orloff, „allgemein ‚Iduschka‘ genannt“ und eine der „besten Freundinnen“ [Wedekind 1969, S. 40] von Tilly Newes, wohnte mit ihrer Mutter Ida Siegler von Eberswald in einer Hinterhauswohnung in Moabit (Thomasiusstraße 15, 2. Gartenhaus) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 2154; vgl. Wedekind an Ida Orloff, 22.12.1905].. Da kamen denn endlich die erlösenden Tränen, sie hat sich so aufrichtig u. herzlich gefreut u. mir ist jetzt viel wohler.

Das Nähere erzähle ich Dir übermorgenam 22.2.1906. Wedekind ist dem Tagebuch zufolge am 21.2.1906 um 22 Uhr von Frankfurt am Main abgereist („10 Uhr Rückfahrt nach Berlin“), war am 22.2.1906 morgens zurück in Berlin und suchte Tilly Newes gleich auf („Ankunft in Berlin. Besuch bei Tilly“).. Hast Du die Nachricht wegen Dir. Reusch in HannoverHubert Reusch war Direktor des Deutschen Theaters in Hannover und führte dort die Oberregie [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 417]. Wedekind hatte bei ihm dann am 12.5.1906 ein „Hidalla“-Gastspiel: „Wir fahren nach Hannover. [...] Hidalla [...] im Deutschen Theater.“ [Tb] erhalten? Siehst Du, es soll schon sein, dass Du bald nach Han|nover fährst.

Ich hab’ jetzt furchtbar viele gute Sachen gegessen und lege mich gleich in’s Bett.

Gestern Nacht träumte ich wieder von uns u. von Deiner Schwester aus der SchweizFrank Wedekinds jüngste Schwester Emilie (Mati) Wedekind wohnte seinerzeit bei ihrer Mutter in Lenzburg.. Die war übrigens im Traum nicht sehr vorteilhaft.

Ich möchte Dir noch so viele, viele liebe Sachen sagen, will Dich aber nicht verwöhnen.

Deine Tilly

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 15 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat oben auf Seite 1 mit rotem Buntstift das Datum „21.2.06“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Schreibdatum 20.2.1906 ist durch den Briefinhalt und seine Kontexte belegt.

Das Empfangsdatum ist durch Wedekinds Datumsnotiz auf dem Brief belegt.

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
32-33
Briefnummer:
24
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 221
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.2.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

01.09.2023 13:20