Mein
geliebter Frank Wedekind!
Heissen Dank für Deine lieben, lieben Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Berthe Marie Denk, 31.5.1905 (und mindestens ein weiterer nicht überlieferter Brief – vermutlich waren es aber mehrere Briefe).! Ich bin heute
für eine Stunde ausser Bett u. kann sie somit selbst beantworten! Ach, lieber
Frank Wedekind, | wenn das auch nur alles wahr wäre was Du schreibst! Aber
schliesslich lügst Du ja so reizend, dass ich so tun will als ob es die
Wahrheit wäre! ‒
Lieber, ich habe vorderhand auf dieser Welt keinen andern
Ehrgeiz z als Deine Frau (legitimegesetzlich anerkannte, rechtmäßige.!)
zu werden! Ich weiss zwar selbst nicht warum ich mir das in den Kopf
gesetzt habe! Aber es wäre so schön! Du hättest ein Leben wie Gott in
Frankreich! Zu|weilen meine ich! Ich will Dir in allen möglichen Gestalten
dienen: als Frau, als Geliebte und wenn es sein muss als Köchin,
u. wenn ich es im Stande bin als Muse! Für Abwechslung würde ich schon sorgen!
Sag, magst Du nicht? Du wirst mich nie als Fessel, höchstens als
Rosenkette empfinden, u. wenn Du mich satt | hast so lassen wir uns scheiden!
Läuft Dir noch nicht das Wasser im Munde zusammen? ‒ ‒ Wenn Du nach Wien kommstWedekind reiste dem Tagebuch zufolge am 13.6.1905 zur zweiten Vorstellung der „Büchse der Pandora“ in Wien von München ab („Abends Abfahrt nach Wien“), traf am 14.6.1905 in Wien ein und unternahm gleich etwas mit Berthe Marie Denk („Ankunft in Wien. [...] Spazierfahrt mit Bertha Denk nach Kloster Neuburg. [...] Generalprobe. Wir nachtmahlen mit Bertha Denk im Volksgarten. Ich lese Totentanz vor“), sah sie zumindest früh auch am 15.6.1905 („Berthe Denk weckt mich. [...] Vorstellung. Ich spiele zum zweiten Mal Jack“) sowie am Abreisetag, dem 16.6.1905 („Besuch bei Bertha Denk. Wir diniren im Volksgarten. [...] Rückfahrt nach München“). so gilt doch einer
Deiner ersten Gänge mir, ja? Und mach Dich für ein bischen länger frei, als das
letztemalWedekind war das letzte Mal vom 27. bis 30.5.1905 in Wien – zur Premiere seiner Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 29.5.1905, die Karl Kraus organisiert hatte. Er hat Berthe Marie Denk gleichwohl dem Tagebuch zufolge in Wien täglich gesehen, am 27.5.1905 („Ich besuche Marie Denk. Sie liegt krank zu Bett“), 28.5.1905 („Besuche mit Kraus bei Marie Denk“), 29.5.1905 („Vorstellung. Büchse der Pandora. Ich spiele Jack. Souper im Hotel Continental. Zwischen Marie Denk und Ottilie Newes“) und 30.5.1905 („Marie Denk holt uns ab. [...] Kraus und ich fahren zu Marie Denk, dann auf den Bahnhof. [...] Rückfahrt nach München“).! ‒ Bis
nach den Feiertagennach Pfingsten, ab dem 13.6.1905 (Pfingstmontag war am 12.6.1905). Berthe Marie Denk befand sich vermutlich in dem Wiener Sanatorium Dr. Anton Loew (Wien IX, Marianengasse 20), in dem sie auch Anfang 1906 behandelt wurde (siehe die Korrespondenz mit Wedekind aus dieser Zeit). geh ich aus dem Sanatorium wieder in meine Wohnung! | Die ersten Tage nach meiner OperationWann genau diese Operation durchgeführt wurde und weshalb Berthe Marie Denk operiert wurde, ist nicht ermittelt. Sie war krank gewesen, als Wedekind sie am 27.5.1905 besuchte: „Sie liegt krank zu Bett“ [Tb], konnte aber dann wieder ausgehen. war
ich recht elend. Jetzt erhole ich mich aber schon zusehends! ‒ ‒
Leb wohl, Geliebter u. schreibe mir sofort wieder!
Je m’abandonne en
toi(frz.) Ich gebe mich Dir hin..
Berthe Marie.