Kennung: 2737

Salzburg, 24. Mai 1914 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Strindberg, Friedrich

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Mein lieber Frank!

Vor wenigen Tagen erhielt ich von Kurt Wolff, Leipzig NachrichtDer Brief Kurt Wolffs an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. Friedrich Strindberg hatte beim Leipziger Kurt Wolff Verlag wegen einer Publikation seines Stücks „Menschenrecht“ angefragt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 29.4.1914]., daß er infolge vollständiger Überfüllung mich vorläufig nicht verlegen kann. Von einem Wiener BesuchDie Identität des Ehepaars ist nicht ermittelt, vermutlich die Eltern von Friedrich Strindbergs Wiener Mitschülers [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914]. hörte ich von Deinem SpielWedekinds „Simson“ hatte am 11.5.1914 Premiere am Johann Strauß-Theater in Wien und wurde dreimal aufgeführt. Wedekind spielte den Og von Basan. Das Gastspiel war von der Presse angekündigt worden: „Frank Wedekinds Schauspiel ‚Simson‘ wird am 11. Mai in Wien zur Aufführung gelangen. Der Direktor der Volksbühne Dr. Rundt hat bekanntlich das Johann Strauß-Theater zu diesem Zweck gepachtet. Frank Wedekind spielt den Og von Basan, Tilly Wedekind die Dalila, den Simson spielt Albert Steinrück.“ [Wedekinds Gastspiel. In: Neues Wiener Abendblatt, Jg. 48, Nr. 116, 28.4.1914, S. 6] „Frank Wedekind inszenierte seine Dichtung selbst. Es ist dies das erstemal, daß der Dichter sich in Wien als Regisseur eines seiner Werke betätigt.“ [Frank Wedekinds „Simson“ im Johann-Strauß-Theater. In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 48, Nr. 128, 10.5.1914, S. 18] am Johan Straußtheater „Simson“, das den lebhaften Beifall jenes Ehepaares erwirkte, gepaart mit Bewunderung Deiner Kunst.

Nunmehr werde ich mich – aber erst mit Deiner Erlaubnis – an R. M. Meyer, Berlin wenden, an den gepriesenen VerlegerGemeint ist hier der Schriftsteller und Verleger Alfred Richard Meyer, dessen Initialen Friedrich Strindberg mit denen des Berliner Germanisten Richard Moritz Meyer verwechselte. Meyer führte seit 1907 den A. R. Meyer Verlag in Berlin-Wilmersdorf. Dort erschienen 1913 die „Hebräischen Balladen“ von Else Lasker-Schüler, die auf den Umschlagseiten der „Fackel“ wiederholt mit Annoncen beworben wurden. von Else Lasker-Schüler. Da Kraus ihn einst im Zusammenhang günstig für „Anfänger“ besprachÄußerungen von Karl Kraus über den A. R. Meyer Verlag ließen sich nicht nachweisen., | stach er mir in die Augen. Jedoch kann ich und werde es eventuell tun, „Menschenrecht“ Dir anheimstellen, bis es vielleicht durch die Dauer der Zeit jeden Anstrich des Persönlichen verloren hat. Ich bitte Dich mir dies nicht übelnehmen zu wollen, besonders, da ich über Deine Meinung ununterrichtetWedekind hatte nach einem Erpresserbrief den Kontakt zu seinem Sohn abgebrochen, da er ihn für mitverantwortlich hielt [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]. bin.

Gleichzeitig habe ich in den letzten Tagen den Plan eines Stückesvon einer Ausführung dieses Vorhabens ist nichts bekannt. gefaßt, das aber objektiv sein soll – im höchsten Grad! Epiphaniachristliches Fest von der Erscheinung des Herrn am 6. Januar..“ Die Ruhe einer jungen Ehe scheitert an der Frau, deren „Menschwerdung“So auch der Alternativtitel von Friedrich Strindbergs nicht überliefertem Dramenmanuskript „Triton“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.12.1913], das „das Übergehen von Gott zu Mensch von Natur zum Leiden“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 25.11.1913] thematisierte. Friedrich Strindberg hatte seinem Vater das Stück am 26.12.1913 vorgelesen [vgl. Tb]. im 2. Akt den Höhepunkt bildet. Den dritten Akt schließt eine Bluttat des wahnsinnig gewordenen Mannes, der erst durch den Mord seiner Frau die Besinnung und Ver|nunft erhält und so als „gesunde Bestie“zeitgenössisch verbreitetes Schlagwort für die animalische Natur des Menschen. sich verantworten muß über das, was er als Wahnsinniger angestellt.

Mit der Ausarbeitung warte ich, unterdrücke sogar das heiße „Muß“, da wir in den jetzigen Tagen viel zu lernen haben. Anfangs Juli haben wir PrüfungDie Prüfung am Ende des Schuljahres war in österreichischen Mittelschulen obligatorisch [vgl. Erlaß des Leiters des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 2. Jänner 1909, Z. 51190 ex 1908, an alle Landesschulbehörden, betreffend die Prüfungen der Privatisten an Mittelschulen. In: Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht, Jg. 1909, Stück 2, Nr. 2, Wien 1909, S. 32] über den ganzen Stoff eines Jahres; darum beginne ich nun schon mit den Wie/d/erholungen, die eine bittere Medizin sind. Aber man tuts, muß es doch sein! Sogar recht heftig.

Ich hätte gerne Lust im „Kain“Die erste Seite der von Erich Mühsam begründeten Zeitschrift „Kain“ trug seit ihrer ersten Nummer vom April 1911 den Hinweis: „Die Beiträge dieser Zeitschrift sind vom Herausgeber. Mitarbeiter dankend verbeten.“ einen von mir geschriebenen Aufsatz „Fatieren“bekennen, angeben, in Österreich auch: Steuer erklären. Der Aufsatz ist nicht überliefert. zu veröffentlichen, wäre nicht der HackenSchreibversehen, statt: Haken. in der Person Th. Manns, der erst vor kurzem als MitarbeiterZu der katholischen Monatsschrift „Über den Wassern“ steuerte Thomas Mann zu den ersten vier Heften des Jahrgangs 1913/14 seinen Aufsatz „Versuch über das Theater“ (1907) bei [vgl. Über den Wassern, Jg. 7, H. 1, Oktober 1913, S. 14–23; H. 2, November 1913, S. 94–100; H. 3, Dezember 1913, S. 161–168 und H. 4, Januar 1914, S. 238–244]. Die von Expeditus Schmidt 1908 begründete Zeitschrift erschien seit Herbst 1913 unter der Redaktion von Dr. Johannes Eckardt im Görres Verlag Bamberg. einer kath. Literaturzeitung Unwillen hervorriefGegen die liberalere Ausrichtung der katholischen Zeitschrift „Über den Wassern“ seit 1913 unter ihrem neuen Redakteur Johannes Eckardt, der zunehmend auch nichtkatholische und jüdische Autorinnen und Autoren als Beiträger verpflichtete, polemisierte ein mehrteiliger Aufsatz [Franz Eichert: Die Selbstvergiftung des katholischen Schrifttums. In: Der Gral. Monatsschrift für Kunstpflege im katholischen Geiste, Jg. 8, Heft 7, 1.4.1914, S. 424–434; Heft 8, 1.5.1914, S. 483–492; Heft 10, 1.7.1914, S. 617–627; Heft 11, 1.8.1914, S. 689–698]: „Die berechtigte Selbstachtung sträubt sich dagegen, daß katholische Zeitschriften von Autoren, die mit ihrem ganzen Schaffen der katholischen Geisteswelt so fremd und feindlich gegenüberstehen, wie […] ein Thomas Mann, […] die jedenfalls auf unsere religiösen Anschauungen nur mit mitleidigem Achselzucken oder gar mit Hohn und Spott herabsehen, von unsern katholischen Zeitschriften um das Almosen ihrer Mitarbeit angegangen werden.“ [S. 484f.] Bei Thomas Mann finde man „die ‚Poesie‘ der verfaulten Dekadenz“ [S. 485], die in einer solchen Zeitschrift zur „Irreführung des katholischen Publikums“ beitrage. Die „Beurteilung literarischer Fragen im Lichte und im Geiste katholischer Weltanschauung“ sei „von vornherein überall da ausgeschlossen […], wo nichtkatholischen, ihrer Geistesrichtung nach freisinnigen und im kirchlichen Sinne ungläubigen Autoren die Behandlung solcher Fragen […] zugeschoben wird (z. B. Thomas Mann, Versuch über das Theater […]).“ [S. 488]. | Denn Th. M. ist des wegen, d. h. wegen der Art, wie er es tat, unglimpflich beschrieben worden. – Doch die Sache muß noch sehr durchgedacht werden und die erste Bedingung ist: mit allen gut, praktisch auszukommen.

Indem ich Dir nun schreibe bitte ich Dich, ob Du vergessen kannst, woran ich vielleicht schuld warWedekind hatte einen Erpresserbrief wegen einer angeblichen Affäre mit einer Kellnerin erhalten und führte dies auf die literarischen Aktivitäten seines Sohnes zurück [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]. und was ich nicht nannte, um jede Erinnerung zu vermeiden.

Mit dieser stillen Bitte grüßt Dich
von ganzem Herzen in Liebe
Dein Friedrich Strindberg.


Salzburg 24.V.14.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift. Einzelne Buchstaben in Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Man darf annehmen, dass Friedrich Strindberg aufgrund des Kontaktabbruchs durch Wedekind nicht unterrichtet war von dessen Berlin-Aufenthalt vom 22.5.1914 bis 16.6.1914 [vgl. Tb], den Brief also nach München sandte.

  • Schreibort

    Salzburg
    24. Mai 1914 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Salzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 165a
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Friedrich Strindberg an Frank Wedekind, 24.5.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

24.10.2024 12:38