Kennung: 2567

Saxen, 24. November 1901 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Uhl, Marie

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Saxen Ob. Oesterreich, Lokalbahn
Mauthausen.


Geehrter Herr Wedekind!

Es ist doch recht schade, daß Sie, um einer irrigen Voraussetzung willen, erstlich sich beunruhigen u. unsDer Brief ist nicht unterschrieben; Briefpapier, Ortsangabe und Kontext verweisen auf Marie Uhl als Autorin, die hier jedoch auch im Namen ihrer Mutter Marie Reischl schreibt. Diese hatte die Korrespondenz mit Wedekind in ähnlicher Weise begonnen [vgl. Marie Reischl an Wedekind, 16.11.1901]. den Genuß an Ihrem Schreibennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Marie Reischl, 23.11.1901. Wedekind begründete die Absage der Einladung, seinen Sohn Friedrich Strindberg in Dornach zu besuchen, anscheinend nach einem ersten Schreiben (siehe die folgende Erläuterung) ein zweites Mal nach seiner Rückkehr von Wien nach München am 22.11.1901, als er um den Misserfolg seines Wiener Gastspiels wusste. bedeutend rauben. Schon in Ihrem ersten Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Marie Reischl, 17.11.1901. Wedekind sagte die Einladung zu einem Besuch in Dornach vermutlich unmittelbar von Wien aus ab und ließ später ein weiteres Schreiben mit einer ähnlichen Begründung folgen. fand sich dieses falsche LeitmotivIn der Musik verbreitetes Darstellungsmittel einer wiederkehrenden, prägnanten Tonfolge zur Charakterisierung von Personen oder Situationen. Wedekind muss in beiden Briefen seine ökonomische Situation beklagt haben und fürchtete (als ‚irrige Voraussetzung‘) offenbar, zu Unterhaltszahlungen für seinen Sohn genötigt zu werden., u. nun tritt es geradezu ohrenzerreißend für uns auf. Wir sind gänzlich unschuldig an Ihrem Jammer. Gewiß brauchten Sie viel mehr Mühe in Anwendung zu bringen uns zu überzeugen, daß Sie zu den „Satten“ gehören, selbst wenn Ihre ErfolgeBeide Bühnenprojekte Wedekinds waren ein Misserfolg: Sein Gastspiel als Liedersänger zur Eröffnung des von Felix Salten gegründeten Jung-Wiener Theaters Zum lieben Augustin im Theater an der Wien vom 16.11.1901 bis 22.11.1901 und die Uraufführung des „Marquis von Keith“ am 11.10.1901 im Rahmen des 2. Literarischen Abends am Residenztheater in Berlin unter der Regie von Martin Zickel. Wedekind bezeichnete das eine als ‚lächerlichen‘, das andere als ‚grandiosen Durchfall‘ [vgl. Wedekind an Beate Heine, 10.3.1902]. in Wien u. Berlin auf den | Höhepunkt gestiegen wären, denn „man“ kennt ja das fahrende, spielende, singenden u. schreibende Ritterthum, das sich wohl manchmal satt trinken, aber niemals zu sättigen vermag. Bitte, wir haben uns Ihnen ganz formlos genähertMarie Reischl hatte Wedekind eingeladen, seinen 4-jährigen Sohn Friedrich Strindberg von Wien aus in Dornach zu besuchen [vgl. Marie Reischl an Wedekind, 16.11.1901]. Wedekind hatte seinen Sohn zuletzt im Juli 1898 in Tutzing bei seiner Mutter Frida Strindberg besucht [vgl. Frank Wedekind an Beate Heine, 19.7.1898 und 27.7.1898]., ohne verdächtige Absichten auf Ihre arme leere Börse, wir hatten etwas höheres im Auge, das hehre Glück, einem Vater sein Kind vorzustellen, u. in der freudenvollen Befriedigung desselben, den Lohn für alle Mühen u. AufopferungenFriedrich Strindberg wuchs seit 1899 in der Obhut seiner Großmutter Marie Uhl im oberösterreichischen Saxen und bei seiner Urgroßmutter Marie Reischl im benachbarten Dornach auf. einzuheimsen. Und dann, wir lieben die KinderchensBereits 1896 hatte Frida Strindberg ihre Tochter Kerstin Strindberg aus der Ehe mit August Strindberg ihrer Mutter überantwortet., es schmerzt uns für sie, daß sie elternlos sind, wie gerne würden wir ihnen | dieselben geben, wenn es in unserer Macht stünde. Da hat erst vor kurzem die CherstiKosename für Kerstin [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 10.11.1913]., als sie sah, daß ihre Gespielin von ihrem bislang getrennten Vater für zwei Tage abgeholt wurde, so furchtbar geweint, sie selbst wußte nicht warum, aber ich erkannte es sofort, es war die Sehnsucht nach ihrem Papa, den sie als er einmal längere Zeit bei uns verweilte, abgöttisch liebte – sie war damals 2 Jahre, aber sie vergißt ihn niemals – und der kleine Fritzi gab jedesmal, wenn ihn die Leute fragten , wo ist dein Papa, wo ist deine Mama, die mich auf’s äußerste verwundernde Auskunft: Gestorben! Und niemand hat ihm das je gesagt, Wer würde auch einem Kinde | solch verletzende Erklärung über den Verbleib seiner Eltern geben.

Geld u. Gut wird Fritzi von seinem Vater wohl nie bekommen, aber gewiß seine Liebe u. viell. väterliche Führung, wer weiß was noch Alles, ein Vater ist doch die Quintessenz der Güte für sein Kind. Freilich Frida! das ist ein trauriges Kapitel, ein armes Kind, das beklagenswerteste Resultat vorausgegangener schlimmster Ursachen, die ganze Familie ist erotisch, das arme Kind ist schuldlos an seinem Elend u. kann sich nicht helfen. Bitte, es bleibt unter uns, denn Sie kennen ja doch ihren traurigen Zustand. Ich bin nur so glücklich zu wißen, daß sie lebt, mag es sein wie immer, Kind bleibt Kind. Und so danke ich Ihnen hrzl. für Ihre freundl. Bemühung um Fridas ErmittlungMarie Reischl hatte Wedekind um die Mitteilung des Aufenthaltsortes von Frida Strindberg gebeten [vgl. Marie Reischl an Wedekind, 16.11.1901]..

Unsere besten Grüße

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Seite 1 trägt ein Jugendstil-Schmuckmonogramm mit zwei übereinander gedruckten Buchstaben: „M“ und „U“ (für Marie Uhl).

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 24.11.1901 ist als Ankerdatum gesetzt – als frühestes mögliches Schreibdatum für eine Antwort auf Wedekinds Schreiben vom 23.11.1901 [vgl. Wedekind an Marie Reischl, 23.11.1901].

  • Schreibort

    Saxen
    24. November 1901 (Sonntag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Saxen
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 138
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Marie Uhl an Frank Wedekind, 24.11.1901. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

19.03.2024 15:26