Lieber
Herr Fritzsche!
Als ich Ihnen vor
einem Jahr die RolleOtto Fritzsche, seinerzeit in Berlin (Köpenickerstraße 46) lebender Schauspieler an Ernst von Wolzogens Buntem Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 269], berichtet, den Brief Wedekinds an ihn einleitend, er habe unter der Regie von Martin Zickel am Bunten Theater in Berlin bis Mitte Mai 1902 „stücktragende Rollen“ gespielt: „Kurz vorher sollte ich noch in Frank Wedekinds ‚Kammersänger‘ die Rolle des alten Prof. Döhring kreieren, wurde aber durch einen Sturz daran gehindert.“ [Otto Fritzsche: Zwanzig Jahre Wanderschaft. Reminiszenzen aus meiner Mimenzeit. In: Cabaret-Revue, Jg. 2, Nr. 36, 24.6.1912, S. 4] des alten DöhringProfessor Dühring, der siebzigjährige erfolglose Komponist in „Der Kammersänger“, der sich selbst als „Greis“ [KSA 4, S. 22] bezeichnet. gegeben und dadurch schon die größten
UnannehmlichkeitenMarcell Salzer, mit Martin Zickel stellvertretender Direktor von Ernst von Wolzogens Buntem Theater „Überbrettl“ [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 269], der von Anfang an im Bunten Theater auftrat und Ende Mai 1902 gemeinsam mit Martin Zickel die Direktion von Ernst von Wolzogen übernahm, dürfte Wedekind eine Aufführung des „Kammersänger“ am Bunten Theater mit Otto Fritzsche in der Rolle des Professor Dühring zugesagt haben, der dann verunglückte und sich der Aufführungsplan zerschlug (siehe oben). mit Marcel
Salzergehabt hatte, fielen sie die Treppe herunter und
begruben unter Ihrem Sturz meinen ganzen „Kammersänger“. Meinem entschlossenen
Eintreten für Sie und Ihre Kunst hatte ich es zu danken, daß mein Stück nicht
aufgeführtDie Inszenierung war aber angekündigt: „Im Bunten Theater wird in den nächsten Tagen Frank Wedekind in seinem Einakter ‚Der Kammersänger‘ selber die Hauptrolle darstellen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 31, Nr. 253, 22.5.1902, Morgen-Ausgabe, S. (3)] wurde. Aber ich will nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sondern
freue mich, daß ich Ihnen vielleicht nützlich sein kann, und erteile Ihnen somit
Autorisation, was von mir gedruckt ist vorzutragen, auch mit der Musik, wenn
solche dazu existiert.
Mit den besten Grüßen und aufrichtigen Wünschen für Ihr
Wohlergehen Ihr
Frank Wedekind.
München,
1. April 1903