Offener BriefEin zeitgenössischer Druck des als offener Brief konzipierten Korrespondenzstücks ist nicht nachgewiesen.
an Herbert Eulenberg.
Lieber Herbert EulenbergDr. jur. Herbert Eulenberg lebte als Schriftsteller in Kaiserswerth bei Düsseldorf (Haus Freiheit) [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1912, Teil II, Sp. 393].!
Empfangen Sie innigen DankHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Buchsendung (siehe unten); erschlossenes Korrespondenzstück: Herbert Eulenberg an Wedekind, 1.10.1911. für das herrliche GedichtHerbert Eulenbergs Drama „Alles um Geld“ (1911) war im Ernst Rowohlt Verlag in Leipzig im Sommer als erschienen gemeldet [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 78, Nr. 202, 31.8.1911, S. 9735]. Es wurde am 20.9.1911 am Berliner Lessingtheater (Direktion: Otto Brahm) uraufgeführt.: [„]Alles
um Geld.“ Das schönste tiefste und lustigste aus der Dramatik aller Zeiten. Das
Werk ist durch und durch deutsch und läßt sich doch mit den Maßstäben heutiger deutscher Dramatik nicht
messen. Für mich ist es Weltliteratur. Dostojewsky hätte seine Freude daran gehabt,
vielleicht auch Zervantes.
Den Leidensweg, der dem übermütigen geistsprühenden Kind von
Seiten unserer Deutschen Schauspielkunst beschieden war, verfolgte ich mit
Grauen und Empörung. Ich bitte Sie nur um eines: Klagen Sie nicht das deutsche
PublikumHerbert Eulenberg hatte einen kurz zuvor erschienenen Essay mit einer Publikumsschelte begonnen: „Denn heute ist unsere Kunst und sind unsere Künstler von einem vielköpfigen Ungeheuer abhängig, das die meisten im Staube und mit ehrfürchtig gesenkten Stirnen, wie die Phönizier ihren Götzen Baal, verehren und anzubeten pflegen. Dieser Abgott, der jetzt bei uns auf den häßlichen Namen ‚das Publikum;‘ hört, hat niemals die Kunst und ihre Jünger und Meister so sehr beherrscht und geknechtet, wie in unseren Tagen. [...] Niemals ist so frech und schnell über Fragen und Werke der Kunst der Stab gebrochen worden, wie von dem ungebildeten Publikum; unserer Zeit. [...] Man sollte gesetzlich; auf zehn Jahre anordnen, daß vor jeder neuen Ausstellung oder Aufführung vor dem Eingang oder Vorhang ein allgemein sichtbares Schild mit der Aufschrift: ‚Die Kunst verlangt Teilnahme und Hingabe des Publikums‘ angebracht würde, auf daß die törichtsten und frechsten Kunsturteile im Keim schon vernichtet würden.“ [Herbert Eulenberg: Die Kunst in unserer Zeit. Eine Trauerrede an die deutsche Nation. Leipzig 1911, S. 5-7] an. Das Publikum lechzt nach Herbert Eulenberg Ihnen, das Publikum zwingt Ihre Werke immer | wieder
auf die Bühne und jubelt Ihnen zu, sobald Sie ihm einmal unverkleinert
unverfälscht unverballhornt, unverkuhwedelt vom Schauspieler vorgeführt werden.
Und dazu ist der deutsche Schauspieler fähig, sobald er die geistlose Flegelei
des Naturalismus abgelegt und die künstlerische Degradation überwunden hat, zu
der er durch Bühnenschulmeister und Theaterfürsten erniedrigt wurde.
Vor einem JahrWedekind dürfte sich dem Dramatiker mündlich als Regisseur angeboten haben, am 11.11.1910, als er sich in München „mit Eulenberg“ [Tb] traf; brieflich ist das Angebot nicht greifbar [vgl. Wedekind an Herbert Eulenberg, 12.11.1910]. bot ich mich Ihnen als Regisseur an. Meine
Gefühle gegenüber dem Schicksal von „Alles um Geld“ sind deshalb geteilter
Natur. Aber davon abgesehen, bin ich fest überzeugt daß die geistvolle/sprühende/ Tollheit und Schönheit
dieses Werkes durch keine heute noch so hoch gepriesene
Modeschauspielerei auf die Dauer unter die Erde spielen läßt gespielt
werden kann. |
Vergreifen Sie sich nur bitte nicht wieder an unserem
gemeinsamen besten Freunde, dem Deutschen Publikum.
Das Publikum ist aufnahmefähig neugierig, wohlwollend und brennt darauf, die
Werke, die es liebt und hoch schätzt
Der Schauspieler ist faul, träge, schüchtern, bescheiden
in künstlerisch vollendeter Form dargestellt zu sehen.
Der Schauspieler dagegen
ist faul, träge, schüchtern, bescheidenUmstellung; hier stand zunächst „bescheiden dagegen“ („bescheiden“ ist mit Einweisungszeichen in die Zeile darüber umgestellt). und schämt sich heute im Grund der Seele seines
Berufes genau so beinahe
ebenso wie es der
deutsche Kellner thut.
Ich
bin Auf eine Beleidigungsklage deutscher KellnerAnspielung auf eine Stelle im Stück, an der Peter auf die Frage von Paul, was er denn nun eigentlich beruflich mache, wo das Geschäft schlecht gehe, antwortet: „PETER: Gelegenheitsarbeiter. – Ich hab’ mir den Anzug von einem kranken Kellner geliehen, der mit mir schläft. PAUL: Das ist doch kein Verbrechen. Du kannst doch nicht für deine Lieferanten. Ich lasse auch nicht nach Maß machen.“ [Herbert Eulenberg: Alles um Geld. Leipzig 1911, S. 18] bin ich gefaßt, die sich nicht ohne weiteres mit deutschen Schauspielern vergleichen
lassen wollen.
Sie brauchen sich nicht ohne Verschulden mit deutschen
Schauspielern vergleichen zu lassen.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Fr.W.