Mein Lieber!
Einem vielbeschäftigten Arzte
verzeiht man Manches, vielleicht auch dass er den Artigsten aller artigen Briefeden Artigsten aller artigen Briefe] nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Leopold Frölich, 14.2.1886. Wochen lang
unbeantwortet lässt. Du meinst also ich sei Dir böse
wegen des nicht geschickten Topfes etc, u kennst mich wirklich so schlecht
um nicht zu wissen dass ich überhaupt selten ernstlich böse werde. Zudem weiss
ich einem mit Collegien
überhäuften stud. jur.Wedekind dürfte dem einstigen Schulfreund gebeichtet haben, dass er zwar als Jurastudent immatrikuliert war, aber seit etwa einem Jahr die Veranstaltungen nicht mehr besuchte, was er auch der befreundeten Bertha Jahn anvertraut hatte [vgl. Wedekind an Bertha Jahn, 1.5.1886]. Rechnung zu tragen, der zuaussrdemSchreibversehen, statt: ausserdem. mit einem grossen Lustspiel„Der Schnellmaler“; seit etwa November 1885 beschäftigte sich Wedekind nach Selbstauskunft mit der Konzeption seines ersten Dramas und schrieb es etwa von Ende Januar bis 23.4.1886 (Karfreitag) nieder. Seine Hoffnung, das Stück im Gärtnertheater in München unterzubringen, erfüllte sich nicht [vgl. KSA 2, S. 545 u. 619f.].
schwanger geht, die Annavermutlich Anna Fischer, deren Name Frank Wedekind in ein chronologisches Verzeichnis am Ende des Münchner Tagebuchs aufnahm: „1885 Anna Fischer.“ [Tb nach 22.10.1890]. Nachdem sein Bruder Armin im Frühjahr 1885 München verlassen hatte, um in Zürich sein Medizinstudium fortzusetzen, war Frank Wedekind in die Pension von Marie Fischer in die Schellingstraße 27, 3. Stock umgezogen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 67].
poussirenumwerben. Theater
besuchen, den Welti
aussaugenDer promovierte Schriftsteller und Musikredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“ Heinrich Welti, den Leopold Frölich noch von der gemeinsamen Schulzeit an der Kantonsschule Aarau kannte, hatte Wedekind ins Münchner Kulturleben eingeführt [Kutscher I, S. 116]. | Gelegenheits- u andere GedichteWedekind verfasste etwa vom 1.2. bis 19.2.1886 das Gelegenheitsgedicht „UNSERM LIEBEN VATER DR. F.W WEDEKIND zum siebzigsten Geburtstage DEN 21. FEB. 1886 seine Söhne: A Wedekind. B. Franklin William L.“, das die Brüder zusammen mit einer Büste dem Vater zum Geburtstag schenkten [Abdruck in KSA 1/I, S 205; Kommentar in KSA 1/II, S. 2109-2122].
fabriciren u vor allem sich die nöthige Zeit zum Schlafen gönnen muss.
Solltest Du jedoch über kurz oder lang wider die Schweiz besuchen, so bist Du
wohl so freundlich das Durcheinander Deines Koffers mit
einem der gewünschten HumpenBierkrug mit Henkel und Klappdeckel aus unterschiedlichen Materialien; Leopold Frölich dürfte einen der für München typischen Sammlerkrüge gemeint haben. zu vermehren.
Ich bin nun also regelrecht etablirt, füge mich mit einer Gewandtheit
wie wenn ich’s schon seit Jahren getrieben, in die spiessbürgerlichen VerhältnissSchreibversehen, statt: Verhältnisse., trinke mit den Philisternden Spießbürgern. den Abendschoppen,
bin im Männerchor u bemühe mich zu einem soliden gesitteten
Lebenswandel.
Meine Praxis ist über Erwarten | schnell eine ziemlich
hübsche geworden, im Städtchen
wenigstens wo die meisten der sogenannten bessern Familien mich consultirten.
Auf dem Lande wo man mich noch wenig kennt ist man vorsichtig u will sich erst
an das grüne Thierder Frosch; der leidenschaftliche Botaniker Leopold Frölich dürfte – wohl in Anspielung auf seine psychiatrische Fachausbildung – bei dem Ausdruck an das zum Schulstoff gehörende witzige Gedicht „Das grüne Thier und der Naturkenner“ von August Kopisch erinnert haben, in dem der Frosch als Synonym für das Fremde, Unbekannte steht.
gewöhnen. Ich bin mitten im Nestchen im ersten Stock in einem der schönsten
Häuser sehr gemüthlich eingerichtet u habe auch für eventuelle Besucher
vom frater(lat.) Bruder; in Anlehnung an die gemeinsame Schulzeit. etc. ein
Bett u eine Flasche GutenKurzwort für: guten Wein. im Vorrath. SohabeSchreibversehen, statt: So habe. ich mich schneller als ich anfänglich hoffte eingelebt, das
Interesse am Beruf lässt einen eben das andere V/v/ergessen u | die Erinnerungsbilder an MünchenBevor Leopold Frölich seine Arztpraxen in Brugg und auf dem Lande eröffnete, reiste er in der Woche vom 17.1. bis 24.1.1886 nach München und anschließend nach Berlin. Frank Wedekind berichtete seinem Vater davon [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 25.1.1886]. u andere Dinge die
jetzt noch magisch aufleuchten u störend sich ins Philisterleben mischen, sie
müssen naturgemäss mehr u mehr erblassen bis zuletzt nur noch einige besonders
lebhafte Gestalten u Thatsachen als dauernde Eindrücke übrig bleiben.
Adieu frater. Vergiss nicht, dass ich stets mit Interesse u
Liebe an Deinen Schicksalen Antheil nehme u gieb gelegentlich ein
Lebenszeichen. Grüsse meine
BekanntenZu diesen gehörten der Münchner Jurastudent Walter Laué aus Köln, der von Juni 1880 bis Februar 1881 mit Frank Wedekind die II. Klasse des Gymnasiums der Kantonsschule Aarau besucht hatte, vielleicht auch Alexis Garonne aus Aarau, mit dem Frank Wedekind in den Schuljahren 1882/83 und 1883/84 dieselbe Klasse besuchte, und der schon erwähnte Aarauer Freund Heinrich Welti. so noch
welche zu treffen sindIndiz für das zu Ende gegangene Semester und damit Hinweis für die Datierung des Briefes auf die Semesterferien im Frühjahr 1886., vielleicht auch den alten Petervermutlich das ehemalige Lokal St. Peter, inzwischen Café Italia, am Viktualienmarkt 13. Wedekind notierte später: „Abends im Caffe Italia dem alten St. Peter, wo sich seiner Zeit Poldi Fröhlichs Münchner Novelette abgespielt mit dem hübschen Gretchen“ [Tb, 21.7.1889]; möglicherweise ist aber auch der aus Ostpreußen stammende Botaniker Gustav Albert Peter gemeint, der seit 1878 Kustos am Botanischen Garten in München war und 1888 eine Professur an der Universität Göttingen erhielt. etc.
Stets Dein
Poldi