Kennung: 2360

Brugg, 28. März 1886 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Frölich, Leopold

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Mein Lieber!

Einem vielbeschäftigten Arzte verzeiht man Manches, vielleicht auch dass er den Artigsten aller artigen Briefeden Artigsten aller artigen Briefe] nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Leopold Frölich, 14.2.1886. Wochen lang unbeantwortet lässt. Du meinst also ich sei Dir böse wegen des nicht geschickten Topfes etc, u kennst mich wirklich so schlecht um nicht zu wissen dass ich überhaupt selten ernstlich böse werde. Zudem weiss ich einem mit Collegien überhäuften stud. jur.Wedekind dürfte dem einstigen Schulfreund gebeichtet haben, dass er zwar als Jurastudent immatrikuliert war, aber seit etwa einem Jahr die Veranstaltungen nicht mehr besuchte, was er auch der befreundeten Bertha Jahn anvertraut hatte [vgl. Wedekind an Bertha Jahn, 1.5.1886]. Rechnung zu tragen, der zuaussrdemSchreibversehen, statt: ausserdem. mit einem grossen Lustspiel„Der Schnellmaler“; seit etwa November 1885 beschäftigte sich Wedekind nach Selbstauskunft mit der Konzeption seines ersten Dramas und schrieb es etwa von Ende Januar bis 23.4.1886 (Karfreitag) nieder. Seine Hoffnung, das Stück im Gärtnertheater in München unterzubringen, erfüllte sich nicht [vgl. KSA 2, S. 545 u. 619f.]. schwanger geht, die Annavermutlich Anna Fischer, deren Name Frank Wedekind in ein chronologisches Verzeichnis am Ende des Münchner Tagebuchs aufnahm: „1885 Anna Fischer.“ [Tb nach 22.10.1890]. Nachdem sein Bruder Armin im Frühjahr 1885 München verlassen hatte, um in Zürich sein Medizinstudium fortzusetzen, war Frank Wedekind in die Pension von Marie Fischer in die Schellingstraße 27, 3. Stock umgezogen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 67]. poussirenumwerben. Theater besuchen, den Welti aussaugenDer promovierte Schriftsteller und Musikredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“ Heinrich Welti, den Leopold Frölich noch von der gemeinsamen Schulzeit an der Kantonsschule Aarau kannte, hatte Wedekind ins Münchner Kulturleben eingeführt [Kutscher I, S. 116]. | Gelegenheits- u andere GedichteWedekind verfasste etwa vom 1.2. bis 19.2.1886 das Gelegenheitsgedicht „UNSERM LIEBEN VATER DR. F.W WEDEKIND zum siebzigsten Geburtstage DEN 21. FEB. 1886 seine Söhne: A Wedekind. B. Franklin William L.“, das die Brüder zusammen mit einer Büste dem Vater zum Geburtstag schenkten [Abdruck in KSA 1/I, S 205; Kommentar in KSA 1/II, S. 2109-2122]. fabriciren u vor allem sich die nöthige Zeit zum Schlafen gönnen muss. Solltest Du jedoch über kurz oder lang wider die Schweiz besuchen, so bist Du wohl so freundlich das Durcheinander Deines Koffers mit einem der gewünschten HumpenBierkrug mit Henkel und Klappdeckel aus unterschiedlichen Materialien; Leopold Frölich dürfte einen der für München typischen Sammlerkrüge gemeint haben. zu vermehren.

Ich bin nun also regelrecht etablirt, füge mich mit einer Gewandtheit wie wenn ich’s schon seit Jahren getrieben, in die spiessbürgerlichen VerhältnissSchreibversehen, statt: Verhältnisse., trinke mit den Philisternden Spießbürgern. den Abendschoppen, bin im Männerchor u bemühe mich zu einem soliden gesitteten Lebenswandel.

Meine Praxis ist über Erwarten | schnell eine ziemlich hübsche geworden, im Städtchen wenigstens wo die meisten der sogenannten bessern Familien mich consultirten. Auf dem Lande wo man mich noch wenig kennt ist man vorsichtig u will sich erst an das grüne Thierder Frosch; der leidenschaftliche Botaniker Leopold Frölich dürfte – wohl in Anspielung auf seine psychiatrische Fachausbildung – bei dem Ausdruck an das zum Schulstoff gehörende witzige Gedicht „Das grüne Thier und der Naturkenner“ von August Kopisch erinnert haben, in dem der Frosch als Synonym für das Fremde, Unbekannte steht. gewöhnen. Ich bin mitten im Nestchen im ersten Stock in einem der schönsten Häuser sehr gemüthlich eingerichtet u habe auch für eventuelle Besucher vom frater(lat.) Bruder; in Anlehnung an die gemeinsame Schulzeit. etc. ein Bett u eine Flasche GutenKurzwort für: guten Wein. im Vorrath. SohabeSchreibversehen, statt: So habe. ich mich schneller als ich anfänglich hoffte eingelebt, das Interesse am Beruf lässt einen eben das andere V/v/ergessen u | die Erinnerungsbilder an MünchenBevor Leopold Frölich seine Arztpraxen in Brugg und auf dem Lande eröffnete, reiste er in der Woche vom 17.1. bis 24.1.1886 nach München und anschließend nach Berlin. Frank Wedekind berichtete seinem Vater davon [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 25.1.1886]. u andere Dinge die jetzt noch magisch aufleuchten u störend sich ins Philisterleben mischen, sie müssen naturgemäss mehr u mehr erblassen bis zuletzt nur noch einige besonders lebhafte Gestalten u Thatsachen als dauernde Eindrücke übrig bleiben.

Adieu frater. Vergiss nicht, dass ich stets mit Interesse u Liebe an Deinen Schicksalen Antheil nehme u gieb gelegentlich ein Lebenszeichen. Grüsse meine BekanntenZu diesen gehörten der Münchner Jurastudent Walter Laué aus Köln, der von Juni 1880 bis Februar 1881 mit Frank Wedekind die II. Klasse des Gymnasiums der Kantonsschule Aarau besucht hatte, vielleicht auch Alexis Garonne aus Aarau, mit dem Frank Wedekind in den Schuljahren 1882/83 und 1883/84 dieselbe Klasse besuchte, und der schon erwähnte Aarauer Freund Heinrich Welti. so noch welche zu treffen sindIndiz für das zu Ende gegangene Semester und damit Hinweis für die Datierung des Briefes auf die Semesterferien im Frühjahr 1886., vielleicht auch den alten Petervermutlich das ehemalige Lokal St. Peter, inzwischen Café Italia, am Viktualienmarkt 13. Wedekind notierte später: „Abends im Caffe Italia dem alten St. Peter, wo sich seiner Zeit Poldi Fröhlichs Münchner Novelette abgespielt mit dem hübschen Gretchen“ [Tb, 21.7.1889]; möglicherweise ist aber auch der aus Ostpreußen stammende Botaniker Gustav Albert Peter gemeint, der seit 1878 Kustos am Botanischen Garten in München war und 1888 eine Professur an der Universität Göttingen erhielt. etc.

Stets Dein
Poldi

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Latein.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 28.3.1886 ist als Ankerdatum gesetzt. Das Schreibdatum liegt sicher mehrere Wochen nach Eröffnung von Leopold Frölichs Arztpraxen in Brugg und auf dem Land im Frühjahr 1886 und vor Wedekinds eigener Rückkehr in die Schweiz im August 1886. Es wird angenommen, dass der vielbeschäftigte Arzt an einem Sonntag am Ende des Wintersemesters 1885/86 schrieb, wo Studierende die Münchner Universität verließen: „Grüsse meine Bekannten so noch welche zu treffen sind“. Beides trifft auf den 28.3.1886 zu; ein anderes Schreibdatum, auch im folgenden Sommersemester (Beginn 27.4.1886) ist denkbar. Als Schreibort ist der Wohnort Leopold Frölichs angenommen.

  • Schreibort

    Brugg
    28. März 1886 (Sonntag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Brugg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 35
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Leopold Frölich an Frank Wedekind, 28.3.1886. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

05.11.2024 12:22