Kennung: 2295

Berlin, 28. Januar 1897 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Dreßler, Lotte

Inhalt

Berlin, 28.I.1897.


Mein süßer lieber Amor„anonymisiert“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 331] für Lotte Dreßler, Sängerin, Gesangspädagogin, Ehefrau des Gesangspädagogen Anton Dreßler (das Paar lebte seit 1896 in München); mit ihr hatte Wedekind seit Ende 1896 eine (geheim gehaltene) Liebesbeziehung. Die Korrespondenz lief teilweise über gemeinsame Bekannte; so lag ein Billet Wedekinds an sie einem Brief an einen Freund bei [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 1.4.1897]. Im Erstdruck ist zum vorliegenden Brief angemerkt: „Der Brief sollte durch Weinhöppel überreicht werden, was aber auf Wedekinds eigenen Wunsch doch unterblieb.“ [GB 1, S. 355] Amor, in der antiken römischen Mythologie der Gott der Liebe und die Personifikation der Liebe oder des Verliebens, ist in der europäischen Kulturgeschichte eine häufig genutzte Metapher für die Liebe.,

warum hast Du nicht ein klein wenig Vertrauen in mich. Ich muß mich ja doch auch gedulden. Ich kann Dir nicht schreiben, wie man einer Freundin schreibt, das übersteigt meine diplomatischen Künste; ich kann nicht schreiben: Sehr verehrte Frau ...Im Erstdruck sind statt des Nachnamens drei Auslassungspunkte gesetzt; in der nicht überlieferten Handschrift dürfte gestanden haben: Sehr verehrte Frau Dreßler. Und wenn ich schreibe: Meine liebe süße ...Im Erstdruck sind statt des Vornamens drei Auslassungspunkte gesetzt; in der nicht überlieferten Handschrift dürfte gestanden haben: Meine liebe süße Lotte. dann giebt es Menschen, die nicht daran glauben können, daß man zwei Frauen zugleichWedekind war seinerzeit mit Frida Strindberg liiert, die ein Kind von ihm erwartete (der gemeinsame Sohn Friedrich Strindberg wurde am 21.8.1897 in München geboren), und zugleich mit Lotte Dreßler. gern haben kann, und zu diesen Menschen gehörst Du zu allererst. Wenn ich Dir solange nicht geschrieben, so war es, weil ich mehr Vertrauen in Dich habe als Du für mich. Ich weiß, daß Dich mir niemand nehmen kann, d.h. wenn die Unterbrechung nicht zu lange dauert und man nicht die schönste Zeit darüber verliert, wovon ich durchaus kein Freund bin. Aber ich verabscheue es, ein platonischernicht sinnlicher, rein seelisch-geistig orientierter. Schwärmer zu sein, und es ist mir beinahe drückend, jemanden gern zu haben, ohne etwas für ihn thun zu können. Du bist ein sehr kluges Mädchen und ich hoffe, daß Du es die nächsten Wochen noch bleiben wirst, wie Du es bisher warst, dann kann es Dir gar nicht fehlen. Ich habe mir gleich gedacht, daß die Chansonettenidee im Kopfe meiner Freundin Frida entsprungen war, aber ich würde mich darum doch sehr freuen, wenn Du wieder auf die BühneBühnenauftritte von Lotte Dreßler sind nicht ermittelt. oder sonst wie in’s öffentliche Leben zurückkehrtest, um wieder frei zu sein, besonders auch weil das der einzige Weg wäre, auf dem wir dauernd Freunde bleiben könnten.

Wenn ich Dir in dieser intimen Weise schreibe, so pretendirebeanspruche, fordere, verlange. ich nicht von Dir, daß Du mich liebst oder irgend etwas besonderes für mich fühlst, sondern das sind nur meine Gefühle für Dich, die ich entweder offen ausspreche oder dann lieber für mich behalte. Wenn Du mir schreibst, was mir immer eine große Freude sein wird, so vergiß aber für den Augenblick nicht, daß ich meine Correspondenz offen liegen lasse. Schreib mir wie Du mir bisher geschrieben hast; ich habe nicht gerne Geheimnisse zu verbergen. Wenn wir uns dessenungeachtet nicht verstehen und nicht wissen, was wir von einander zu denken haben, so helfen auch die aufrichtigsten Briefe zu nichts.

Ich schicke Dir keine Küsse und Umarmungen, mein süßer Amor, weil es mir viel zu lieber wäre, Dich selber in meinen Armen zu haben. Aber ich bitte Dich, Dein Vertrauen zu mir zu bewahren und es mich wissen zu lassen, wenn Dir etwas Unangenehmes über den Weg kommt. Dann findet sich schließlich immer rasche Abhülfe. ‒ Auf recht baldiges glückliches Wiedersehen! Dein
Frank.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    28. Januar 1897 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
277-278
Briefnummer:
119
Kommentar:
Im Erstdruck ist als Adresse angegeben: „An .......“ (die sieben Auslassungspunkte dürften für die sieben Buchstaben des Nachnamens Dreßler stehen). Die Adresse ist mit einer Erläuterung versehen: „Der Brief sollte durch Weinhöppel überreicht werden, was aber auf Wedekinds eigenen Wunsch doch unterblieb.“ [GB 1, S. 355] Zwei Stellen im Brief, an denen im verschollenen Original ein Name gestanden haben dürfte, sind jeweils mit drei Auslassungszeichen („...“) versehen.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Lotte Dreßler, 28.1.1897. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

07.06.2024 11:03