[1. Briefentwurf:]
Lieber Max Freund!
Ich habe es gründlich satt,
jeden Abend, an dem wir uns treffen, ein hochnotpeinliches Verhör über mich
ergehen lassen zu müssen, welches Gefühle tractiert, die Du bei mir von
in mich hinein phantasierst denkst, die ich nie empfunden habe
und über die ich mich noch nie mit einem Wort geäußert habe. Ich
halte es daher für s/v/ernünftig, sodaßSchreibversehen, statt: daß. wir uns so lange nicht absichtlich
begegnen bis wir uns gegenseitig nicht mehr mit so unerquicklichen abgeschmackten Erörterungen zu behelligen haben. Ich bitte Dich deshalb auch
nächsten Dienstag, so sehr ich Dir für Deine Einladung danke, nicht | auf mich
rechnen zu wollen. Sollten wir uns unabsichtlich zufällig begegnen so
werden wir uns hoffentlich mit Fassung darein finden.
Mit besten Grüßen
Dein Frank
[2. Abgesandter Brief:]
Lieber FreundMax Halbe notierte am 31.5.1903 (Pfingstsonntag) zum vorliegenden Brief: „Wedekind kündigt mir brieflich die Freundschaft, fühle sich schlecht von mir behandelt. Ich finde das Gleiche umgekehrt.“ [Tb Halbe] Er schickte den Brief später an Wedekind zurück [vgl. Max Halbe an Wedekind, 29.6.1903].!
ich habe es gründlich satt,
jeden Abend, an dem wir uns treffenWedekind hat Max Halbe vor dessen Reise vom 14. bis 26.5.1903 (nach Wien, Budapest und Berlin) nachweislich zuletzt am 7.5.1903 gesehen, wie der Freund notierte: „Besuch bei Wedekind“ [Tb Halbe], danach am 28. und 29.5.1903 (siehe unten)., ein hochnotpeinliches VerhörInquisitionsmetapher für: zugespitzte Fragen. über mich
ergehen lassen zu müssen, welches Gefühle tractiert, die ich, im Gegensatz zu
Deinen V/B/ehauptungen und Vorwürfen, nie empfunden und nie mit einem Wort
geäußert habe. Gegen den Vorwurf, daß ich Dir eine feindliche Gesinnung
entgegenbringe und dadurch Anlaß zu den wiederholten Streitigkeiten gegeben
habe, werde | ich mich vertheidigen, wo und wie ich irgend kann. Ebenso vertheidige
ich mich gegen Deinen VorwurfMax Halbe dürfte sich bei den letzten Gesprächen mit Wedekind am 28. und 29.5.1903 (siehe unten) über Wedekinds Haltung zu den Kompositionen seines Freundes Hans Richard Weinhöppel, Wedekind wiederum zu dessen Verhalten gegenüber dem Musiker Anton Dreßler geäußert haben., daß ich Richard eine feindselige Gesinnung
entgegenbringe. Ich bin einer Neigung, die mir seine Production manchmal zum
Nachempfundenen zu haben schien, allerdings sehr feindlich gesinnt. Ebenso kann
ich, von seinem eigenen Interesse ausgehend, sein Verhalten gegenüber Dreßler
nicht billigen. Mit meinen Gefühlen gegenüber seiner Persönlichkeit und seiner
Kunst im großen Ganzen haben diese Empfindungen nichts zu schaffen. Was uns
Beide betrifft, so halte ich es für vernünftig, daß wir uns so lange nicht
absichtlich | begegnen, bis wir uns nicht mehr mit so abgeschmackten
Erörterungen wie gesternMax Halbe notierte am 29.5.1903: „Torggelstube m. Wedekind. Gereizte Stimmung.“ [Tb Halbe] und vorgesternMax Halbe notierte am 28.5.1903: „Frank bei der Heimkehr vom Kegelabend“ [Tb Halbe]. Abend zu behelligen haben. Ich bitte
Dich deshalb, auch nächsten Dienstag, so sehr ich Dir für Deine Einladung danke,
nicht auf mich rechnen zu wollen. Ich habe aus den
Streitigkeiten, die Du seit zwei Monaten mir gegenüber vom Zaun brichst, bis
jetzt noch keinerlei Schlußfolgerungen gezogen, weil ich die Frage nicht
entscheiden konnte, ob ihnen nicht doch vielleicht eine freundschaftliche
Gesinnung zu Grunde liegt. Ich würde mein Benehmen aber fu eines
anständigen Menschen für unwürdig halten, wenn ich mich einer solchen
Behandlung noch | weiter mit bewußter Absicht aussetzen wollte. Sollten wir uns
zufällig unabsichtlich begegnenBegegnungen gab es in den nächsten Tagen – am 4.6.1903: „Im Café kühle Begegnung mit Frank“ [Tb Halbe], am 8.6.1903: „Im Café Begegnung mit Frank“ [Tb Halbe] – oder Max Halbe konstatierte, wenn es sie nicht gab, so am 10.6.1903: „Dichtelei mit Keyserling u.s.w Frank unsichtbar!“ [Tb Halbe], so werden wir uns hoffentlich mit Ruhe und
Fassung in die Sachlage finden.
Mit besten Grüßen
Dein Frank.
München 30 Mai 1903.