Kennung: 222

München, 22. April 1903 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Halbe, Max

Inhalt

Lieber Max!
Herzlichen Dank für Deine freundliche Cartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Max Halbe an Wedekind, 21.4.1903. Die Postkarte oder Bildpostkarte kam aus Italien (siehe unten), aus Salò (den fünf zwischen dem 9. und 21.4.1903 in Salò geschriebenen Briefen und Postkarten Max Halbes an Luise Halbe [Mü, MH B 589] zufolge); seine am 21.4.1903 an Luise Halbe geschriebene Postkarte kam noch aus Salò, er war aber im Aufbruch nach Venedig und kündigte seine Rückkehr nach München für den 25.4.1903 an: „Ich reise soeben noch nach Venedig [...]. Freitag will ich von Venedig noch nach Bozen, am Samstag will ich zu Hause sein.“ [Mü, MH B 589].. Eben war HauschildDr. med. Johannes Hauschildt, praktischer Arzt in München (Schackstraße 6) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1903, Teil I, S. 241], war Wedekinds Hausarzt; er gehörte zum Bekanntenkreis Max Halbes, wie dessen Notiz vom 17.11.1903 – „besuche Hauschild, dessen Geburtstag heute“ [Tb Halbe] – nahelegt. bei mir und hat mir einen Gipsverbandinfolge eines Beinbruchs; Wedekind musste „wochenlang das Bett hüten“ [Kutscher 2, S. 112], nachdem er sich am 10.4.1903 „das Bein gebrochen“ [Wedekind an Korfiz Holm, 12.4.1903] hatte, „den rechten Unterschenkel“ [Wedekind an Wolfgang Geiger, 12.4.1903]. Die Presse berichtete: „Frank Wedekind glitt in München auf der Straße aus und erlitt einen Beinbruch.“ [Neue Hamburger Zeitung, Jg. 8, Nr. 176, 16.4.1903, Abend-Ausgabe, S. (1)] angelegt. Meine Stimmung läßt bis jetzt nichts zu wünschen übrig. Ich erhalte täglich Besuch; einer der angenehmsten darunter ist deine liebe Tochter Anna Liese, die mir im AuftrageLuise Halbe hatte ihre Tochter damit beauftragt, dem bettlägerigen Wedekind die Berliner Tageszeitungen „Berliner Tageblatt“ und „Der Tag“ zu bringen. ihrer Mama das Berliner Tageblatt | und den Tag bringt. Zwei Mal war auch Meßthaler bei mirEmil Meßthaler, Direktor des Intimen Theaters in Nürnberg [vgl. Neuer Theater Almanach 1904, S. 453], wohnte noch in München (Bürkleinstraße 42) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1903, Teil I, S. 429].; er sagt, er beneide mich, mein Zubettliegen sei die beste Nervenkur, die er sich denken könne. Und wie geht es Dir? Ich höre zu meiner Freude, daß nun auch Neroder mit Max Halbe und Wedekind befreundete Verleger und Redakteur Fritz Schwartz in München (Richard Wagnerstraße 3) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1903, Teil I, S. 611]: „Fritz Schwartz, genannt ‚Nero‘. Den Spitznamen hatten ihm seine Freunde gegeben, und er hatte ihn höchst zutreffend gefunden und bediente sich seiner wie selbstverständlich.“ [Halbe 1935, S. 350] bei Euch ist, um Euere Tage zu versüßen. Jedenfalls wirst Du viel zu erzählen haben wenn Du zurückkommstMax Halbe, der sich seit mehreren Wochen auf einer Italienreise befand, notierte am 25.4.1903: „Kehre Abends von Venedig zurück. Luise [...] holt mich von der Bahn ab.“ [Tb Halbe] Wedekind besuchte er gleich am 26.4.1903: „Besuche Wedekind, der das Bein gebrochen hat, finde ihn fröhlich und philosophisch“ [Tb Halbe], dann wieder am 28.4.1903: „Besuch bei Wedekind. Er spricht seine Bedenken gegen den Strom aus.“ [Tb Halbe] Wedekind war am 24.3.1903 bei Max Halbes Lesung des Dramas „Der Strom“ dabei gewesen (siehe unten).. Ich freue mich schon darauf. Vor acht Tagenam 14.4.1903 (genau gerechnet). kam mein Bruder Donald von einer Schweizerreise hier an. Er hat einen | RomanDonald Wedekinds Roman „Ultra montes“ (1903) war bereits vor rund zwei Monaten im Verlag Hermann Costenoble in Berlin erschienen [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 70, Nr. 47, 26.2.1903, Umschlag], knapp einen Monat zuvor ist Frank Wedekind von seinem Bruder darauf aufmerksam gemacht worden [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 20.3.1903]. Ultra Montes vollendet und befindet sich in jeder Beziehung besser als ich ihn seit Jahren gesehen. Er selber preist Berlin als das große Sanatorium gegen Mangel an Lebensgeist. Übrigens war auch Rosenthal bei mirDr. jur. Wilhelm Rosenthal, Rechtsanwalt in München (Briennerstraße 8) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1903, Teil I, S. 540], der sich im Akademisch-Dramatischen Verein engagierte und nach dessen Auflösung im Neuen Verein aktiv war [vgl. Der Neue Verein. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 583, 13.12.1903, S. 3f.], dessen Vorsitzender er später wurde [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil III, S. 144]. und erzählte, daß Reinhart das Deutsche Theater übernehmenOtto Brahm, nach wie vor Direktor des Deutschen Theaters zu Berlin [vgl. Neuer Theater Almanach 1904, S. 238], übergab die Leitung dieser Bühne 1904 an Paul Lindau [vgl. Neuer Theater Almanach 1905, S. 285], dessen Nachfolger erst 1905 Max Reinhardt wurde [vgl. Neuer Theater Almanach 1906, S. 227]; insofern blieb die Leitung des Kleinen und Neuen Theaters zunächst bei Max Reinhardt [vgl. Neuer Theater Almanach 1904, S. 245]. und Lindau sich ins Privatleben zurückziehen werde. Donald sagt mir, Neumann-Hofer werde mit dem Übersetzer Eisenschitz zusammen | eine Zeitungnicht ermittelt; vermutlich wurde der Plan nicht realisiert. gründen, deren Namen aber noch nicht feststeht. In München wird von Steiger und Gumppenberg eine neue Gesellschaft zur Pflege des Humorsnicht ermittelt; möglicherweise ein Scherz Wedekinds auf Kosten des mit ihm und Max Halbe befreundeten Münchner Schriftstellers Edgar Steiger (Friedrichstraße 33) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1903, Teil I, S. 647] sowie des Schriftstellers Hanns von Gumppenberg, Feuilletonredakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“ und ‚Henkersknecht‘ bei den Elf Scharfrichtern – vielleicht angeregt durch die „Schlaraffia (Gesellschaft zur Pflege d. Humors und der Kunst)“ [Adreß-Buch der Stadt Augsburg 1895, Teil III, S. 116], die in Augsburg einmal existierte, dann nur noch als Gesellschaft „Humor“ bezeichnet [vgl. Adreß-Buch der Stadt Augsburg für das Jahr 1902, Teil III, S. 143]. mit öffentlichen Vorstellungen gegründet. Ich hoffe auf ein recht baldiges WiedersehnWedekind dürfte Max Halbe zuletzt am 24.3.1903 gesehen haben, als dieser in München sein soeben abgeschlossenes Drama „Der Strom“ (1904) vorlas: „Strom beendigt! Abends Vorlesung mit großem Erfolg (Keyserling, Wedekind, Richard, Danegger, Allesch, Holitscher, Wilke.)“ [Tb Halbe]! Hauschild läßt Dich bestens grüßen, ebenso mein Bruder.
Mit den herzlichsten Grüßen und besten Wünschen Dein
getreuer
Frank.


22.IV.03

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Empfangsort dürfte Salò gewesen sein (den Postkarten zufolge, die Max Halbe zwischen dem 9. und 21.4.1903 in Salò an Luise Halbe [Mü, MH B 589] geschrieben hat).

  • Schreibort

    München
    22. April 1903 (Mittwoch)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Salò
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
98-99
Briefnummer:
209
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Max Halbe
Signatur des Dokuments:
MH B 321
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Max Halbe, 22.4.1903. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Überarbeitet von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

17.10.2024 18:41