Dresden 19. April 1904
Mein lieber Frank!
Soeben bekomme ich Deinen l. Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Erika Wedekind, 18.4.1904. mit der
überraschenden Nachricht, daß sich Mati verlobt hat. Ich hatte keine Ahnung
davon und möchte natürlich schrecklich gerne wissen, mit wem; denn wenn es eine
richtige Verlobung mit Aussicht | auf Heirath ist, dann freue ich mich von
ganzem Herzen darüber und lasse Mati von/aus/ vollem Herzen gratulieren.
Nur um Gotteswillen nicht wieder so eine Verlobung, die in 8 Tagen wieder aus
ist, das wäre schrecklich. Andererseits ist die Aussicht, Mati in einem eigenen Haus, mit einem guten
Mann und in einem bestimmten Pflichtkreis zu wissen, für | mich das Schönste,
was ich mir seit Jahren für meine liebe Schwester wünsche. Also bitte theilt
mir recht bald mit, mit wem sie sich verlobt hat. Nun zu deinen anderen
Angelegenheiten. Die Billets zum KammersängerWedekinds Einakter „Der Kammersänger“ war mit mäßigem Erfolg als Gastspiel des Berliner Kleinen Theaters zusammen mit Oscar Wildes „Salome“ am 26.4.1903 in einer Matinee der Dresdner Literarischen Gesellschaft aufgeführt worden. Ein Jahr später versuchte Wedekind eine nachträgliche Honorarzahlung bei der Literarischen Gesellschaft Dresden zu erwirken [vgl. Wedekind an die Literarische Gesellschaft Dresden, 7.4.1904 und die daran anschließende Korrespondenz] und hatte sich offenbar bei seiner Schwester über die damalige Eintrittskartenregelung erkundigt. haben wir nicht bezahlt, ich hatte bei der Hoftheaterleitung um Billets gebeten und diese übermittelte meine Billets/tte/ an den Vorstand des Litterarischen VereinsErika Wedekind verwechselt die Literarische Gesellschaft, die gemeint ist, mit dem Literarischen Verein (beides waren Vereine in Dresden)., worauf ich vom
Präsident des Vereins Herrn Hauptmann oder MajorKarl Elias Nicolai, Vorsitzender der Literarischen Gesellschaft (ihr Veranstaltungsort war der Saal des Musenhauses), ist als Schriftsteller und „Major a.D.“ [Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1904, Teil III, S. 169] ausgewiesen. Nicolai, mit seiner Karte, | 1. Billet zugeschickt bekam. Walther bekam vom Hofrath Meyer d/u/nserem DramaturgenHofrat Dr. phil. Wolfgang Alexander Meyer (genannt: Meyer-Waldeck) ist als „Hoftheater-Dramaturg“ [Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1904, Teil I, S. 513] ausgewiesen; er war vom 1.10.1896 bis 31.3.1909 Dramaturg am Dresdner Hoftheater. den Platz seiner Frau überlassen. Auch dieses Billet, übrigens also ein Dienstplatz, haben wir nicht abgeholt, sondern hat mir Herr Hofrath Meyer selbst gegeben. Ich würde übrigens an deiner
Stelle mein Recht gründlich verfechten, denn der litterarische Verein kann wohl anständig zahlen, nur
ist sein PresidentSchreibversehen, statt: Präsident. Vorsitzender des Literarischen Vereins war der Oberlehrer Dr. phil. Carl Theodor Reuschel [vgl. Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1904, Teil I, S. 670; Teil III, S. 169], gemeint ist aber Karl Elias Nicolai, der Vorsitzende der Literarischen Gesellschaft. wie ich von anderen Sachen her weiß, leicht filzig(salopp, abwertend) geizig.. Nun noch etwas Ich glaube nun aber auch nicht, daß D’ Albert deine Sachen nur vom Hören sagen kennt, da er doch in Berlin wohnt und sich gerade für Litteratur sehr interessiert. |
[Fortsetzung Seite
1 oben um 180 Grad gedreht:]
Meiner Ansicht nach müßte ihm ein Stoff/ück/
wie „So ist das Leben“ am besten zusagen es
ist auch stofflich in meinen Augen am ehesten musikalisch auszubeutenWedekind war an einer musikalischen Bearbeitung seines Schauspiels „So ist das Leben“ (1902) interessiert und suchte den Kontakt zu Eugen d’Albert, den offenbar seine Schwester vermittelt hatte, zu nutzen und den Komponisten und Pianisten zur Vertonung seines Stücks anzuregen [vgl. KSA 4, S. 634], zumal dieser begeistert von dem Stück war [vgl. Eugen d’Albert an Wedekind, 19.7.1904]. Eine Vertonung von „König Nicolo oder So ist das Leben“ wurde nicht realisiert.. Doch nun
lebwohl und nimm einen herzlichen Gruß von deiner Schwester
Mieze
[Seite 1 rechter
Rand um 90 Grad gedreht:]
Walther läßt auch schön grüßen.