Sehr geehrter Herr Reinhardt!
Am Freitagder 12.2.1909. Wedekind, der Max Reinhardt dem Tagebuch zufolge bereits in der Nacht zuvor am 11.2.1909 in geselliger Runde in München getroffen und diese mit ihm beschlossen hatte („Morgens 6 Uhr fahren wir mit Reinhart nach Hause“), hielt am 12.2.1909 (Freitag) ein Zusammensein fest: „Abends in der Torggelstube mit Reinhart, Stern“ [Tb] und anderen – auch dies in geselliger Runde. Die Presse berichtete über Max Reinhardts Aufenthalt in München zur Vorbereitung seiner geplanten Sommerfestspiele am Münchner Künstlertheater und hob dabei Ernst Stern hervor, der „von der Direktion des Deutschen Theaters nach Berlin berufen worden war“ und „mit dem Kreise des Künstlertheaters durch manche freundschaftliche Beziehungen verbunden ist“ [Das Künstlertheater 1909. In Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 62, Nr. 74, 15.2.1909, S. 3]. bedauerte ich wirklich
aufrichtig daß ich nicht noch länger in Ihrer Gesellschaft bleiben konnte, da
es mir nicht gelingen wollte, das, was ich seit längerer Zeit Ihnen gegenüber
auf dem Herzen hatte, richtig zu formulieren. Wollen Sie mir daher erlauben auf
unser GesprächMax Reinhardt war für die „Vorbereitungen zu den Festspielen im Künstlertheater in diesem Sommer [...] in München“, wobei es sich bei diesem geplanten Gastspiel des Berliner Deutschen Theaters im Münchner Künstlertheater „nicht um ein ‚Ensemble- Gastspiel‘ im gewöhnlichen Sinne“ gehandelt hat, „sondern um eine neue Organisation, die, wenn sie zu einer bleibenden Festspiel-Einrichtung erstarken sollte, für München von der größten Tragweite sein müßte“, da auch „der Direktions- und Verwaltungskörper des Deutschen Theaters [...] mit hierher übersiedeln“ werde „samt einem umfangreichen Stabe an technischem Personal.“ [Das Künstlertheater 1909. In Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 62, Nr. 74, 15.2.1909, S. 3] Das Gespräch zwischen Wedekind und Max Reinhardt am 12.2.1909 (siehe oben) dürfte sich um diese geplanten mehrwöchigen Sommerfestspiele gedreht haben, ein Gesprächshintergrund, den Wedekind im vorliegenden Brief gedanklich weiterentwickelt. noch einmal zurückzukommen. Mein Gedankengang ist der:
In Berlin haben Sie zeitweise schon drei TheaterAus dem am 1.10.1901 in Berlin eröffneten und von Max Reinhardt geleiteten Kabarett Schall und Rauch war das Kleine Theater (Schiffbauerdamm 5) hervorgegangen, das er zeitweise zusammen mit dem von ihm 1903 übernommenen Neuen Theater (Unter den Linden 44) leitete [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245]; gleichzeitig mit dem von ihm bis 1906 geleiteten Neuen Theater war er Direktor des Deutschen Theaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 271f.].
geleitet. Jedenfalls würde es niemand überraschen wenn sich gelegentlich wieder
drei Berliner Theater unter Ihrer Leitung zusammenfänden. Läge nun für Sie der
Gedanke nicht nahe, neben Ihren beiden Berliner Bühnendas Deutsche Theater in Berlin (Schumannstraße 13a) und die Kammerspiele des Deutschen Theaters (Schumannstraße 14), deren Direktor Max Reinhardt seit 1906 war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 286f.]., eine ständige Bühne in München
und eine ebensolche ständige Bühne in
Frankfurt a.M. zu leiten.
Die Vortheile möchten folgende sein: Sie wären | in
Süddeutschland nicht mehr nur Gast sondern ebenso ansäßig wie in Berlin. Alles
was in Süddeutschland an Theaterbegeisterung und Unternehmungslust gährt,
könnten Sie auf sich konzentrieren. Die Vorbereitungen für Berliner
Vorstellungen könnten in München und Frankfurt geräuschloser stattfinden als in
Berliner selber, es wäre eher Möglichkeit geboten, Berlin zu überraschen.
Den Gastspielen in andern deutschen Städten könnte mehr Sorgfalt zugewandt, und
dadurch ganz Deutschland mehr für Ihre Sache begeistert werden. Ihr Wirken
bekäme weit mehr den Charakter einer Mission, während das Reingeschäftliche
mehr in den Hintergrund tritt. Sie befänden sich in ununterbrochener inniger
Fühlung mit den in Deutschland zerstreut lebenden dramatischen Autoren und
schauspielerischen Kräften. Außerdem wäre f Frankfurt wohl eine Stadt,
die einmal gewonnen, geschäftlich | überraschende Vortheile bieten könnte,
während München als Fremdenstadt mehr als Reklame wirken und den Einfluß der
Berliner Kritik aufheben abschwächen würde. Ich bin mir, indem ich dies
schreibe sehr wohl bewußt, wieviel Sie der Kritik zum Trotz durchsetze
gesetzt haben. Es würde sich aber hier meiner Ansicht nach darum handeln eine
latente Begeisterung auszulösen, der gegenüber die Kritkik überhaupt zu
verstummen hätte. Denn wie ich schon erwähnt war meiner Ansicht nach die
Theaterbegeisterung noch zu keiner Zeit in Deutschland, besonders in
Süddeutschland und in der Schweiz so umfassend und so tiefgehend wie jetzt, so
daß es schließlich nur darauf ankäme eine reife Erndte einzuheimsen. Der
lächerliche Gegensatz, in dem zu dieser/n/ schlu überall
vorhandenen Kräften die notorische Berliner Theatermisere steht, drängt doch
wohl allein schon zu energischen Handeln.
Sollten Sie diese Gedanken im Lauf Ihres hiesigen
AufenthaltesWedekind nahm an, Max Reinhardt sei noch in München, was nicht der Fall war. mit einflußreichen | mit Personen von Einfluß oder
Unternehmungsgeist besprechen wollen, dann würden Sie in mir dabei einen
aufrichtigen Parteigänger finden.
Ich habe Sie nur noch um Entschuldigung zu bitten
daß ich gerade während dieser für Sie so arbeitsreichen Zeit Ihre
Aufmerksamkeit in so hohem Maße in Anspruch zu nehmen wage.
Mit ergebensten Grüßen
Ihr
FW.