HUGO VON TSCHUDI
MÜNCHEN 4.4.11
FRIEDRICHSTR. 18.
Sehr verehrter Herr Wedekind
Leider hat mein
SchreibenDer Kunsthistoriker Hugo von Tschudi hat am 30.3.1911 an den Münchner Polizeipräsidenten Julius von der Heydte geschrieben: „Auf Grund meiner langjährigen Bekanntschaft mit ihm bittet mich Herr Frank Wedekind bei Ihnen ein gutes Wort für die Aufführung seines Stückes ‚Tod und Teufel‘ einzulegen. Obwohl ich mich mit den Werken der Dichtkunst nicht ebenso wie mit jenen der bildenden Künste von Amts wegen zu beschäftigen habe, glaubte ich doch mich dem Wunsche Wedekinds nicht entziehen zu dürfen. Denn ich halte ihn für einen starken und originellen Dichter von zweifellosem sittlichem Ernst. Mag er in der Vorführung seiner sexuellen Probleme manchmal barock erscheinen u. gelegentlich auch an das Zynische streifen, so ist diese Behandlungsweise doch stets in der Situation oder in den Charakteren begründet u. findet zur rechten Zeit ihre Korrektur. Jedenfalls steht ihm nichts ferner als Frivolität u. Lüsternheit, die sich doch unbeanstandet in hundert platten Possen allabendlich im Licht der Rampen breit machen dürfen. Aus dem beiliegenden Zettel mögen Sie ersehen, welche Aufgaben der Dichter den Figuren in ‚Tod und Teufel‘ zugedacht hat. Ich hatte schon in Berlin Gelegenheit durch meine Fürsprache bei der Zensurbehörde zur Freigebung von ‚Frühlings Erwachen‘ beizutragen. Dieses Stück das aber zweifellos eine viel erregendere Wirkung hat als der stark theoretisierende ‚Tod und Teufel‘ fand stets ein durchaus ernstes ergriffenes Publikum. Ich hebe das hervor weil ja möglicherweise Bedenken gegen die Aufnahme des in Frage stehenden Stückes durch das Theaterpublikum bestehen könnten. Übrigens soll ja auch die Vorführung in Düsseldorf so wenig wie die in Nürnberg zu Unzuträglichkeiten geführt haben. Dazu trägt sicher der Umstand nicht wenig bei, daß Wedekind die Hauptrollen dieser Stücke selbst spielt, die auf diese Weise aus dem Bereich des Komödiantenhaften in die ernste Sphäre des persönlichen Bekenntnisses gerückt werden.“ [KSA 6, S. 689f.] Dem Brief war eine handschriftliche Beilage Wedekinds („‚Tod und Teufel‘ von Frank Wedekind“) beigelegt [vgl. KSA 6, S. 642f.]. in Ihrer Angelegenheit die Gesinnung des Polizeipräsidenten nicht zu wenden
vermocht. Er schreibt mirJulius von der Heydte hat am 3.4.1911 an Hugo von Tschudi geschrieben: „Theaterstücke werden nicht für einzelne Bühnen, noch weniger für bestimmte Schauspiele genehmigt, sondern im Allgemeinen zur öffentlichen Aufführung zugelassen. Man kann bei der Zulassung eines Stückes auch nicht davon ausgehen, daß es nur für ein bestimmtes Publikum berechnet ist, da bei öffentlichen Aufführungen der Besuch Jedermann möglich ist. Von diesen Gesichtspunkten ausgehend hat die Polizeidirektion nach eingehender Erwägung die öffentliche Aufführung von ‚Tod und Teufel‘ (Totentanz) aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit und des Anstandes verboten und wird von diesem Verbot nicht abgehen. Es steht dem Beteiligten frei, gegen den ablehnenden Bescheid der Polizeidirektion privat die Beschwerde zu den höheren Instanzen einzulegen, von [w]elchem Recht bisher, soweit mir bekannt, kein Gebrauch gemacht wurde.“ [Staatsarchiv München, Pol.Dir. Mü. 4590] heute dass die Polizeidirection nicht in der Lage sein
von I/i/hrem reiflich erwogenen Verbot von „Tod u Teufel“ abzugehen.
Dass Ihnen aber ja von Rechtens an die höhere Instanz frei stehe.
Ich bedaure sehr Ihnen
keinen bessern Bescheid geben zu können.
Liege leider wieder im
BettHugo von Tschudi, seit 1909 Direktor der bayrischen Gemäldegalerien, davor Direktor der Berliner Nationalgalerie, war ernsthaft krank (er starb am 23.11.1911)., daher das Bleistiftgekritzel.
Mit besten Grüssen Ihr
ergebener
Tschudi