Minny
di Cerenotti Strauss
Hochgeeehrter Herr Wedekind!
Verzeihen
Sie bitte, indem es mir erst heute vergönnt ist, Ihnen meinen innigsten Dank
auszusprechen, für das Aufführunsrecht des „Armen Mädchen’s.Wedekinds Gedicht "Das arme Mädchen" entstand um 1895; die ersten Abdrucke erfolgten in der Zeitschrift "Simplicissimus" (1896) und der Gedichtsammlung "Die Jahreszeiten" (1897). Zur Popularität des Werkes trug die Liedfassung bei, mit der Wedekind 1902/03 bei den Elf Scharfrichtern auftrat [vgl. KSA 1/II, S. 1130 u. KSA 1/III, S. 486f.]. Auf Minny di Cerenottis öffentlichen Vortrag des Gedichtes verweist auch ihre Karte an Wedekind vom 6.6.1903. Nähere Einzelheiten zu ihren Rezitationsprogrammen sind nicht ermittelt.“ Erst heute, nach
über einem halben Jahr gelangte Ihr werthes Schreibennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Cerenotti-Strauss, 1902/03., durch die
Nachlässigkeit der Post, in meine Hände. Wie dies überhaupt möglich war, ist
mir ein Räthsel. Trotzdem freue ich mich herzlich, über
Ihre werthe Erlaubnis, und werde das Gedicht meines modernen Lieblingsdichters
Ihm zu Ehren würdig vortragen. vertelat.: wenden, umblättern.: | Es wird Sie wundern, Herr Wedekind,
aber schon sogar die Presse hat mich zu demselben Urtheil verdammt, wie Sie,
indem man Ihre, sowie meine einzelnen Dichtungen als zu sehr realistisch
bezeichnet. Aber nichtsdestoweniger liegt mir diese Art am besten, neben der Dramatischen.
Fast alle Ihre Werke habe ich schon gelesen, und auch sehr
viel daraus gelernt. Das „Arme Mädel“ hörte ich | das erste Mal von Frl. Lona Nansen in München.
Hier in Cöln gebe ich nun schon mein III. Gastspiel u.
gefalle ganz gut. Übrigens habe ich faßt in
allen größeren Städten Süddeutschlands gastiert. Diesen Sommer werde ich meist
nur in feineren Badeorten auftreten.
Doch nun zum Schluß, geehrter Herr Wedekind, habe ich
Quälgeist noch was auf dem Herzen. Ich möchte Sie
frdl. ersuchen, ob Sie vielleicht einen Dramatischen Solo-Vortrag, | für mich
passend, haben oder wissen. Ich wäre herzlich gern bereit, mich evtl., wenn ich darf, zu
revanchieren. Herr Baron Fritz von Ostini hat mir auch ein Aufführungsrecht zuerkannt.
Falls es Ihnen angenehm, werde ich Ihnen eines meiner Programme,
sowie eine photographische AufnahmeHierbei handelt es sich möglicherweise um die Bildpostkarte, die Minny di Cerenotti am 5.6.1903 an Wedekind sandte. Sie zeigt eine sitzende Frau und trägt die Bildunterschrift "Das arme Mädel v. Frank Wedekind | Minny di Cerenotti". als armes Mädel, zusenden.
Es
grüßt Sie ergebenst
hochachtungsvoll
Ihre
Minny di Cerenotti
Adr.: Cöln, Rhein, Hotel Heuser St. Agatha
42.