Liebe gute Frida,
ich sage dir herzlichen Dank für Deine Mühen, die ich dir
jetzt wieder bereite. VorgesternAm 2.11.1898 traf Wedekind, der selbst erst am 31.10.1898 in Zürich angekommen war, erstmals Albert Langen [vgl. Wedekind an Beate Heine, 12.11.1898].
traf ich zum ersten Mal mit L.
zusammen. Heute bin ich schon wieder bei der Arbeit. Es scheint, ich soll nicht
loskommen von ihm. Gestern
machten wir zusammen einen Spaziergang zur Villa Bebel in Küßnacht, wo Karl Henckell wohnt, den wir aber nicht zu Hause
trafen. Leider Gottes verträume ich sehr viel Zeit. Ganz unter uns gesagt hoffe
ich hier ein neues StückAm 1.11.1898 begann Wedekind mit der Abfassung des Dramas „Ein Genußmensch“, der Urfassung des „Marquis von Keith“. 14 Tage später gab er die Weiterarbeit an dem Manuskript auf [vgl. Merten/Vinçon 1989, S. 247].
zu schreiben. Davon darf aber L nichts erfahren, sonst entzieht er | mir sofort
den Lebensunterhalt. Würdest du so freundlich sein und mir bald möglichst „Liebestrank“ und „Gastspiel“ schicken. L. macht
Miene es verlegen zu wollenBeide Stücke erschienen 1899 im Verlag von Albert Langen, „Der Liebestrank“ als Schwank in drei Aufzügen, der Einakter „Gastspiel“ unter dem Titel „Der Kammersänger“.,
um mich zu trösten. Mit Panizza
komme ich hier öfter zusammen; er ist der Einzige Zurechnungsfähige. Alles übrige, was sich als
Flüchtling aufhält sind entweder halb oder ganz v/V/errückte.
Grüße Richhard
und Donal aufs Beste.
Für etwaige Auslagen hat Richard Geld von mir. Meine KofferZwei gepackte Koffer und eine Kiste mit Kleidung und Manuskripten hatte Wedekind bei seiner Flucht in München zurückgelassen [vgl. Wedekind an Weinhöppel, 14.11.1898]. e. ct. bitte ich aber auf jeden Fall unfrankirt
zu schicken. Und | dann noch eines. Schreib um Gotteswillen nicht auf die
Adresse: Bei der SchwänninWedekind wohnte bei Dr. Gertrud Schwann, Zürich, Leonhardstraße 12 II. [vgl. Wedekind an Max Halbe, 20.11.1898]. Die 22-jährige Gertrud Schwann war Ehefrau von Dr. phil. Mathieu Schwann und Tochter von Emily Kempin-Spyri, der ersten promovierten und habilitierten Juristin der Schweiz..
Das ist ein Spitzname. Die Dame heißt Frau Dr. Schwann.
Ich
studire täglich mit Feuereifer die Zeitungen durch um irgend eine NeuigkeitMit einer Serie von Falschmeldungen, wie der angeblichen Verhaftung des Herausgebers und Verlegers Albert Langen [Neues Wiener Journal, Jg. 6, Nr. 1808, 4.11.1898, S. 8] oder seiner Flucht nach Paris [Neues Wiener Journal, Jg. 6, Nr. 1809, 5.11.1898, S. 6] eröffnete die internationale Presse am 4.11.1898 und 5.11.1898 die Berichterstattung zur Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“. Eine Richtigstellung mit ersten Hintergrundinformationen druckte das Leipziger Tageblatt am 5.11.1898: „Leipzig, 4. November. Gegen Mittag meldete uns ein Telegramm aus Berlin, dem ‚Kl. Journ.‘ (Das Kleine Journal, das Berliner Wochenblatt für Theater, Film und Musik) werde aus München berichtet, der Herausgeber des ‚Simplicissimus‘, Albert Langen, sei nach Leipzig vorgeladen und hier wegen Majestätsbeleidigung, begangen durch den Abdruck des Gedichtes ‚Palästinafahrt‘, verhaftet worden. Wir erwähnten diese Meldung nicht, da sie falsch ist. In den ‚Münch. N. Nachr.‘ wird sie denn auch folgendermaßen berichtigt: ‚Der Verleger des ‚Simplicissimus‘, Herr Langen, hat einer Vorladung der Staatsanwaltschaft Leipzig keine Folge geleistet, sondern sich von München entfernt. Auch Herr Wedekind, der angebliche Verfasser des Gedichtes, das zu der Beschlagnahme der vorletzten Nummer des ‚Simplicissimus‘ Anlaß gab, hat sich durch Flucht der Verhaftung entzogen.‘ Seltsamer Weise fügt das Münchener Blatt dieser Meldung die weitere hinzu der Zeichner Th. Heine sei in Leipzig verhaftet worden. Das ist, obgleich es von einigen Leipziger Blättern wiedergegeben wird, ein Irrthum, der um so auffallender ist, als Heine nach unseren Informationen in München verhaftet worden ist.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 92, Nr. 561, 5.11.1898, Morgen-Ausgabe, S. 1]. zu finden, könnteSchreibversehen statt: konnte. aber bis jetzt außenSchreibversehen statt: außer. den KritikenEine „Hinrichtung mit Musik“ nannte die Presse die mißlungene „Erdgeist“-Premiere am Münchner Schauspielhaus (29.10.1898), empfahl die Tragödie wärmstens „allen Bühnen, die ein wirksames Lustspiel“ suchten [Leipziger Tageblatt, Jg. 92., Nr. 559, 4.11.1898, Frühausgabe S. 16] und schrieb: „Man lachte, lachte aus vollem Halse und mit grausamer Schonungslosigkeit vom ersten bis zum letzten Akt.“ [Allgemeine Zeitung Jg. 101, Nr. 302, 31.10.1898, S. 1; vgl. auch KSA 3/II, S. 1220f.] über Erdgeist noch nichts
entdecken. Heute herrscht hier das prachtvollste Frühlingswetter. Ich schreibe dir
im Freien am Seeufer.
Es wird allmählig dunkel und ich sehe schon kaum die Buchstaben mehr. Von meiner Mutter e. ct ist mir noch nichts zu Gesicht bekommen. Zu ihr
gehen mag ich nicht, da mich | dann nichts als Impertinenzen über vere/f/ehlten
Beruf und Untauglichkeit fürs praktische Leben erwarten. So lasse ich es darauf
ankommen +/d/aß wir uns zufällig begegnen. Von Stollberg à
propos DonaldEin handfester Streit war zwischen Georg Stollberg und Donald Wedekind wegen Stollbergs Frau Grete ausgebrochen [vgl. Wedekind an Georg Stollberg vom 21.11.1898]. habe ich noch keine Nachricht. Ich bitte dich aber Stollberg
mit keiner Sylbe davon zu sprechen oder auch nur anzudeuten. Antworten
muß er mir schließlich doch[.] Nun leb wol, es ist stockdunkle Nacht. Einen Kuß
an BubiFriedrich Strindberg, der gemeinsame Sohn von Frank Wedekind und Frida Strindberg, verbrachte die ersten beiden Lebensjahre bei seiner Mutter, ehe er im Sommer 1899 in die Obhut der Großmutter nach Saxen (Österreich) kam.. In Treue
dein dir dankbar ergebener
Frank.