Sehr geehrter Herr
Kraus,
beiliegendDie dem Brief beigelegten Manuskripte der Gedichte „Abschied“ und „Trost“ (siehe unten) sind nicht überliefert. sende ich Ihnen zwei Gedichte, die Ihnen vielleicht zu kokett erscheinen, wenigstens zur VeröffentlichungWedekinds Gedichte „Abschied“ [KSA 1/I, S. 527f.] und „Trost“ [KSA 1/I, S. 528] waren seine ersten in der Zeitschrift „Die Fackel“ gedruckten Beiträge [vgl. Frank Wedekind: Zwei Gedichte. In: Die Fackel, Jg. 5, Nr. 143, 6.10.1903, S. 26-27], die dort beide im Erstdruck [vgl. KSA 1/I, S. 870; KSA 1/II, S. 2095] mit einer redaktionellen Anmerkung des Herausgebers Karl Kraus in der Fußnote erschienen sind: „Die ‚Fackel‘ will öfter, als sie’s bisher tat, dem literarischen Ausdruck starker, dem Philisterverständnis unbequemer und durch Cliquengunst nicht entwerteter Persönlichkeiten ein Plätzchen gönnen. Nach Peter Altenberg, der zu Wedekind’s ‚Erdgeist‘ das Wort ergriff, stellt sich Frank Wedekind selbst mit zwei Gedichten ein. Auf zahlreiche Anfragen sei hier mitgeteilt, daß die gewaltige Hetärentragödie dieses merkwürdigsten unter den deutschen Modernen: ‚Die Büchse der Pandora‘, auf die ich in Nr. 142 hinwies, in der Zeitschrift ‚Die Insel‘ Juli 1902 gedruckt wurde und demnächst als Buch erscheinen soll“ [Die Fackel, Jg. 5, Nr. 143, 6.10.1903, S. 26].. Aber ich habe nichts anderes und werde es Ihnen auch bei Leibeim Erstdruck: beileibe. nicht übel nehmen, wenn sie Ihnen für die
„Fackel“ nicht zusagen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß mir Ihre BesprechungKarl Kraus hatte Wedekind anlässlich eines Wiener Gastspiels von Max Reinhardts Berliner „Erdgeist“-Inszenierung im Sommer 1903 gegen die ablehnende Kritik an den beiden „Lulu“-Tragödien „Der Erdgeist“ und die „Die Büchse der Pandora“ in einer unbetitelte Glosse verteidigt, die mit den Worten eröffnet: „Die Frage, wer das dümmste Feuilleton über den ‚Erdgeist‘ geschrieben hat, ist schwer zu beantworten. Herzl und Burckhard kommen in die engere Wahl.“ [Die Fackel, Jg. 5, Nr. 142, Ende Juni 1903, S. 15-18, hier S. 14] Dabei hebt er hervor, „Die Büchse der Pandora“ übertreffe den „Erdgeist“ nicht nur an „dramatischer Kunst und Kühnheit“, sie mache ihn auch „erst verständlich“ [ebd.]. Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ lag im Vorabdruck im Juli 1902 in der Zeitschrift „Die Insel“ mitsamt einem Sonderdruck vor [vgl. KSA 3/II, S. 869f.] – die Buchausgabe im Verlag Bruno Cassirer war erst im Herbst 1903 für „Anfang November“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 70, Nr. 249, 26.10.1903, S. 8522] angekündigt. der |
„Büchse d. Pim Erstdruck: P. (mit Punkt).“ eine große Freude war, für die ich Sie bitte den Ausdruck meines aufrichtigsten Dankes entgegenzunehmen. Augenblicklich laboriere ich an einer ArbeitWedekind hatte „eine neue Arbeit begonnen“ [Wedekind an Albert Langen, 1.9.1903], die er als ein Roman-Projekt mit dem Titel „Fanny Kettler“ bezeichnete, das mit dieser „Terminarbeit“ [Wedekind an Felix Salten, 19.9.1903] gemeint sein könnte, oder aber das im selben Werkzusammenhang stehende Dramen-Projekt „Hidalla“ [vgl. KSA 6, S. 368-370, 373-376], dessen weibliche Hauptfigur Fanny Kettler heißt [vgl. KSA 6, S. 41]. Wedekind gab später im Kuvert „Was ich mir dabei dachte“ (1911/12) als Entstehungszeit für „Hidalla“ an: „Geschrieben Juli 1903 bis Februar 1904.“ [KSA 6, S. 373], die laut Contractim Erstdruck: Kontrakt. – Der Vertrag ist nicht überliefert. bis 1. December im Erstdruck: Dezember.fertig werden soll und die es mir daher nicht erlaubt, große Seitensprünge zu machen, sonst wäre ich wolim Erstdruck: wohl. imstande gewesen, Ihnen etwas besseres zu schicken. Ich hoffe aber, daß Sie an meinem guten Willen nicht zweifeln werden.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.
29. Sept. 03.