Albert Bassermann
Charlottenburg
SchlüterstrasseAlbert Bassermann, berühmter Schauspieler am Deutschen Theater zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 283], wohnte nun Schlüterstraße 26 (2. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1912, Teil I, S. 113], davor Schlüterstraße 25 (3. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1911, Teil I, S. 110]. 25/6/II.
16.6.12
Ser geerter herr Wedekind,
es war ser interessant und anregend, ser ergibich und
ser lerraich: Ir gastschpilziklusIm Rahmen von Wedekinds Gastspiel-Zyklus vom 1. bis 16.6.1912 am Deutschen Theater zu Berlin (Direktion: Max Reinhardt) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 283] wurden insgesamt sechs Stücke gespielt: „So ist das Leben“ (1.6.1912, 2.6.1912, 9.6.1912), „Hidalla“ (4.6.1912, 5.6.1912, 6.6.1912), „Musik“ (7.6.1912, 8.6.1912), „Erdgeist“ (10.6.1912, 11.6.1912, 14.6.1912), „Oaha“ (12.6.1912, 13.6.1912), „Marquis von Keith“ (15.6.1912, 16.6.1912).. Manches ist mir imm ainzelnen noch nicht
klar, aber imm allgemainen binn ich nun orientirt. Di darschtellung unter Irer
aegideunter Wedekinds Ägide; er führte bei seinem aktuellen Gastspiel-Zyklus am Deutschen Theater in allen sechs Stücken (siehe oben) die Regie. muss natürlich plastischer wirken, als di lektüre, zu der ich mir bai
der risenarbait, di di fergangenen jare auf mir lag, di zait förmlich abschtelen
muste. – Main Kompliment mache ich Inen als darschteller schpeziell des
„Hetmann“ u. des „Sterner“. Das waren zwei scharfumrissene | geschtalten, di
ich mir kaum treffender denken kann. Mich als darschteller würden fon Iren 6
figurenWedekind spielte bei seinem aktuellen Gastspiel-Zyklus am Deutschen Theater die Rollen Nicolo („So ist das Leben“), Karl Hetmann („Hidalla“), Josef Reißner („Musik“), Dr. Schön („Erdgeist“), Georg Sterner („Oaha“), Marquis von Keith („Marquis von Keith“). „Sterner“ u. „Marquis v. Keith“ interessiren. Ich denke mir, dass aus
dem lezten akt Keith doch wesentlich mer herauszuholen ist, als Si es getan
haben. – „So ist das Leben“ muss ich mir noch ainmal aingehend durchlesen. Den
„Nicolo“ haben Si nicht gut geschpilt: ich konte zum großen teil nicht folgen.
– Mit dem „Stein d. Weisen“ will ich mich jezt auch beschäftigen: ich binn ser
geschpant darauf. –
Zu dem großen erfolg, den
Inen die gesamte presse heute konstatirt, sende ich Inen meine glückwünsche.
Das ais ist gebrochen und selbst Ire gegner haben sich wenichstens di mühe
genommen, Iren gedankengängen zu folgen, wass ich fon der beurtailung mainer
geschtaltungen imm klassischen immer noch nicht behaupten kann. ‒ | Nach diesem
erfolg werden wir Si inn der kommenden saison wol beschtimmt hir widersehen,
und dann hoffe ich gelegenhait zu haben, mich eingehend über Ire schtükke mit
Inen unterhalten zu können.
Irer fererten frau gemalin, di so rürend treu ann Irer
saite kämpft und files ser schön geschpiltTilly Wedekind spielte im Rahmen des aktuellen Gastspiel-Zyklus in Berlin die Rollen Alma („So ist das Leben“), Fanny Kettler („Hidalla“), Klara Hühnerwadel („Musik“), Lulu („Erdgeist“), Leona („Oaha“), Anna Werdenfels („Marquis von Keith“). hatt, bitte ich mich bestens zu
empfelen. –
Mitt frdl. grüßen fon mir u. meiner frauElse Bassermann (geb. Schiff), Schauspielerin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1912, S. 717], dann auch am Deutschen Theater zu Berlin engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 291], seit 1908 mit Albert Bassermann verheiratet; Wedekind hat mir ihr früher korrespondiert (siehe seine Korrespondenz mit Else Schiff).
Ir ergebenster
Albert Baßermann
[Emendierter Text:]
Sehr geehrter Herr Wedekind,
es war sehr interessant und anregend, sehr ergiebig
und sehr lehrreich: Ihr Gastspielzyklus. Manches ist mir im Einzelnen noch
nicht klar, aber im Allgemeinen bin ich nun orientiert. Die Darstellung unter
Ihrer Ägide muss natürlich plastischer wirken, als die Lektüre, zu der ich mir
bei der Riesenarbeit, die die vergangenen Jahre auf mir lag, die Zeit förmlich
abstehlen musste. – Mein Kompliment mache ich Ihnen als Darsteller speziell des
„Hetmann“ u. des „Sterner“. Das waren zwei scharfumrissene | Gestalten, die ich
mir kaum treffender denken kann. Mich als Darsteller würden von Ihren 6 Figuren
„Sterner“ u. „Marquis v. Keith“ interessieren. Ich denke mir, dass aus dem
letzten Akt Keith doch wesentlich mehr herauszuholen ist, als Sie es getan
haben. – „So ist das Leben“ muss ich mir noch einmal eingehend durchlesen. Den
„Nicolo“ haben Sie nicht gut gespielt: ich konnte zum großen Teil nicht folgen.
– Mit dem „Stein d. Weisen“ will ich mich jetzt auch beschäftigen: ich bin sehr
gespannt darauf. –
Zu dem großen Erfolg, den Ihnen die gesamte Presse
heute konstatiert, sende ich Ihnen meine Glückwünsche. Das Eis ist gebrochen
und selbst Ihre Gegner haben sich wenigstens die Mühe genommen, Ihren
Gedankengängen zu folgen, was ich von der Beurteilung meiner
Gestaltungen im Klassischen immer noch nicht behaupten kann. ‒ | Nach diesem
Erfolg werden wir Sie in der kommenden Saison wohl bestimmt hier wiedersehen,
und dann hoffe ich Gelegenheit zu haben, mich eingehend über Ihre Stücke mit
Ihnen unterhalten zu können.
Ihrer verehrten Frau Gemahlin, die so rührend treu an
Ihrer Seite kämpft und Vieles sehr schön gespielt hat, bitte ich mich bestens
zu empfehlen. –
Mit freundlichen Grüßen von mir u. meiner Frau
Ihr ergebenster
Albert Bassermann