[1. Handschrift:]
Herrn Herbert. O. White
PräsidentHerbert Martyn Oliver White ist in der „List of Presidents since the Foundation of the Society“ (der University Philosophical Society am Trinity College der University of Dublin) für das akademische Jahr („Session“) 1912/13 als Präsident („President“) ausgewiesen: „1912-3, Herbert Martyn Oliver White, Sch.“ [The Dublin University Calendar, Vol. III. Being a special supplemental volume. For the year 1912‒1913. Dublin 1913, S. 46]. Der Abkürzung hinter seinem Namen zufolge war er Student und ist als Student des Faches „Modern Languages“ auch in der Liste „Scholars of Trinity College“ aufgeführt [vgl. ebd., S. 657]. der Philosophischen GesellschaftDie Philosophische Gesellschaft am Trinity College der University of Dublin, eine 1843 von Studenten unter dem Namen „Dublin Philosophical Society“ gegründete und 1853 in „Undergraduate Philosophical Society“ umbenannte literarische Gesellschaft, hieß seit 1860 „University Philosophical Society“ [The Dublin University Calendar, Vol. III. Being a special supplemental volume. For the year 1912‒1913. Dublin 1913, S. 44]. an der Universität Ber Dublin.
München 28. Oktober 1912Der Brief ist auf den 28.10.1912 datiert, obwohl er Wedekinds Notiz vom 21.10.1912 zufolge eine Woche früher geschrieben oder zumindest entworfen wurde: „Brief an Universität Dublin.“ [Tb] Bei der vorliegenden Briefhandschrift handelt es sich nicht um den abgesandten Brief, sondern aufgrund der Bearbeitungspuren (siehe die Hinweise zur Materialität) und aufgrund des Liegeorts wahrscheinlich um eine Zweitschrift, die als Grundlage diente für die Veröffentlichung des Briefes in der Presse. Der handschriftliche Brief liegt wie der Großteil der Briefe Wedekinds an den Drei Masken Verlag im Stadtarchiv Karlsruhe. „Wedekinds Verlag übermittelt uns den Wortlaut des Briefes, den der Dichter nach Dublin gesandt hat“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 564, 4.11.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)], heißt es in einem Pressebericht; dieser Verlag war der Drei Masken Verlag, wie einem anderen Pressebericht zu entnehmen ist: „Frank Wedekind, der, wie kürzlich gemeldet, zur Eröffnungsfeier der Dubliner Universität als Repräsentant der modernen deutschen Literatur eingeladen war, hat auf diese Einladung, wie uns der Drei Masken-Verlag, München, als Verleger der Bühnenwerke Wedekinds, mitteilt, folgende Antwort nach Dublin gerichtet“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 520, 5.11.1912, Morgen-Ausgabe, S. 8]. Wedekind dürfte nach Eingang des Briefes aus Dublin [vgl. Herbert Martyn Oliver White an Wedekind, 25.9.1912] dessen Veröffentlichung und die seiner Antwort erwogen und dies mit dem Drei Masken Verlag besprochen haben. Gespräche mit dem Verlag fanden dem Tagebuch zufolge am 7.10.1912 („Besuche 3 Masken“) und am 15.10.1912 („Unterredung mit 3 Masken“) statt, der Brief aus Dublin wurde am 27.10.1912 veröffentlicht (in den „Münchner Neuesten Nachrichten“). Den Tag darauf, am 28.10.1912, sprach Wedekind mit dem Geschäftsführer des Drei Masken Verlags in München Alexander Jadassohn („Unterredung mit Jadassohn“), dann nochmals am 1.11.1912 („Unterredung mit [...] Jadassohn“), wobei es nun mit Blick auf die Veröffentlichung von Wedekinds Brief nach Dublin um den breiter angelegten Versand dieses Briefes an die Presse durch den Verlag gegangen sein dürfte – am 4. und 5.11.1912 erschien der Brief ganz oder teilweise in einigen Zeitungen (siehe die Hinweise zum Erstdruck)..
Sehr geehrter Herr!
Für die hohe Auszeichnung, die Sie, geehrter Herr White und
die Philosophische Gesellschaft der Universität Dublin
mir durch Ihre E/e/hrenvolle Einladungvgl. Herbert Martyn Oliver White an Wedekind, 25.9.1912. zur Eröffnungsfeier zuteil werden
lassen, bitte ich Sie, meinen aufrichtigen herzlichen Dank entgegenzunehmen und
Ihren Herren Kollegen übermitteln zu wollen. Fast schäme ich | mich, Ihnen zu
gestehen, welch unschätzbaren Werth Ihre Aufforderung gegenüber meinen
Landsleuten für mich hat, die mir sicherlich den Vorwurf nicht ersparen werden,
daß ich Ihre herzlichen Worte zu ReklamezweckenWedekind wurde von der konservativen Münchner Presse in der Tat vorgeworfen, dass er den Brief aus Dublin [vgl. Herbert Martyn Oliver White an Wedekind, 25.9.1912] in der Presse veröffentlicht hat, um Werbung für sich zu machen. So fällt auch das Stichwort „Reklame“ (mit dem englischen Begriff „advertisement“) in den publizistischen Angriffen auf ihn in dieser Angelegenheit unter Hinweis auf den vorliegenden Brief: „Wedekind hat auch an den Präsidenten einen Entschuldigungsbrief geschrieben, daß die Sache in den öffentlichen Blättern erschien. Er soll gesagt haben, er brauche sie als advertisement“ [Frank Wedekind und die Universität Dublin. In: Süddeutsche Monatshefte, Jg. 10, Nr. 1, Dezember 1912, S. 466] – die Stelle ist in einem weiteren Artikel zitiert [vgl. Wedekind, der Märtyrer. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 115, Nr. 49, 7.12.1912, S. 899]. gefälscht habe. Vielleicht ist
Ihnen meine Antwort eine Enttäuschung, da Sie mit Ihrer Einladung einen
geachteten deutschen Schriftsteller zu sich zu berufen hofften und Ihre Wahl
nur durch Zufall auf denjenigen fiel, der seit zwanzig Jahren in Deutschland am
meisten geschmäht wird. Warum die Wahrheit nicht aussprechen! Die Auszeichnung,
die Sie mir gewähren, ist weitaus die höchste Anerkennung, die mir meine Arbeit
in meinem ganzen Leben | eintrug. Danach bitte ich Sie den Dank, den ich Ihnen
und der Universität Dublin schulde, zu ermessen.
Dem geistvollen Dichter, Mr. G. Ke.
Chesterton, der Ihrer Eröffnungsfeier beiwohnt, bitte ich meine Grüße
übermitteln zu wollen. Seine Werke „Orthodoxie“ und „Der Mann der Donnerstag
war“ habe ich mit großem Genuß gelesenWedekind hat die Lektüre der von ihm genannten Bücher des irischen Schriftstellers und Journalisten Gilbert Keith Chesterton, die beide bei Hyperion im Verlag Hans von Weber erschienen sind ‒ den unter den Initialen G.K.C. veröffentlichten Essayband „Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen“ (1909), übersetzt von Franz Blei, und den Roman „Der Mann, der Donnerstag war. Eine Nachtmahr von G. K. Chesterton, Verfasser von Orthodoxie“ (1910), übersetzt von Heinrich Lautensack ‒ im Tagebuch nicht vermerkt. und verdanke ihnen viel Anregung.
Zu meinem außerordentlichen Bedauern ist es mir nicht
vergönnt, Ihrer ehrenvollen Einladung zu folgen. Da die deutschen Schauspieler
meine Dramen nicht spielen wollen, bin ich genötigt, | sie selber darzustellen.
Das ist mein Beruf, von dem ich seit fünfzehn Jahren lebe und der mich gerade
in dieser Jahreszeit in Deutschland festhält.
Wie innig ich die englische Literatur verehre und liebe
brauch ich Ihnen nicht niemandem
zu sagen, da gerade meine reifsten Arbeiten die deutlichsten Spuren dieser Liebe
und Verehrung tragen. Dagegen hätte ich in Dublin gerne meine Ansichten über Englische
Einflüsse auf die Weltliteratur geäußert, die wenigstens bei uns nicht
allgemein bekannt sind. Z. B. Ch. Dickens und H. Ibsen, „D. Copperfield“ und „Die
Wildente“, Mr. Mikower und Jalmar EcktalBeide Figuren – der wenig erfolgreiche Geschäftsmann (und Mentor der Titelfigur) Wilkins Micawber aus dem Roman „David Copperfield“ (1850) von Charles Dickens und der Fotograf Hjalmar Ekdal aus Henrik Ibsens Schauspiel „Die Wildente“ (1884) – zeichnen sich durch selbstloses Handeln aus..
Mit meinem Dank empfangen Sie, geehrter | Herr White, den
Ausdruck meiner größten Hochschätzung.
Ihr aufrichtig ergebener
Frank Wedekind.
[2. Druck „Berliner
Börsen-Courier“, 4.11.1912:]
Herrn Herbert
O. White,
Präsident der Philosophischen Gesellschaft an der Universität Dublin.
München, 28.Oktober1912.
Sehr geehrter Herr!
Für die hohe Auszeichnung, die Sie, geehrter Herr White und
die Philosophische Gesellschaft der Universität Dublin mir durch Ihre
ehrenvolle Einladung zur Eröffnungsfeier zuteil werden lassen, bitte ich Sie,
meinen aufrichtigen, herzlichen Dank entgegenzunehmen und Ihren Herren Kollegen
übermitteln zu wollen. Fast schäme ich mich, Ihnen zu gestehen, welch
unschätzbaren Wert Ihre Aufforderung gegenüber meinen Landsleuten für mich hat,
die mir sicherlich den Vorwurf nicht ersparen werden, daß ich Ihre herzlichen
Worte zu Reklamezwecken gefälscht habe. Vielleicht ist Ihnen meine Antwort eine
Enttäuschung, da Sie mit Ihrer Einladung einen geachteten deutschen
Schriftsteller zu sich zu berufen hofften und Ihre Wahl nur durch Zufall auf
denjenigen fiel, der seit zwanzig Jahren in Deutschland am meisten geschmäht
wird. Warum die Wahrheit nicht aussprechen! Die Auszeichnung, die Sie mir
gewähren, ist weitaus die höchste Anerkennung, die mir meine Arbeit in meinem
ganzen Leben eintrug. Danach bitte ich Sie, den Dank, den ich Ihnen und der
Universität Dublin schulde, zu ermessen.
Dem geistvollen Dichter Mr. G. K. Chesterton, der Ihrer
Eröffnungsfeier beiwohnt, bitte ich, meine Grüße übermitteln zu wollen. Seine
Werke „Orthodoxie“ und „Der Mann, der Donnerstag war“ habe ich mit großem Genuß
gelesen und verdanke ihnen viel Anregung.
Zu meinem außerordentlichen Bedauern ist es mir nicht
vergönnt, Ihrer ehrenvollen Einladung zu folgen; da die deutschen Schauspieler
meine Dramen nicht spielen wollen, bin ich genötigt, sie selber darzustellen.
Das ist mein Beruf, von dem ich seit fünfzehn Jahren lebe und der mich gerade
in dieser Jahreszeit in Deutschland festhält.
Wie innig ich die englische Literatur verehre und liebe,
brauche ich niemanden zu sagen, da gerade meine reifsten Arbeiten die deutlichsten
Spuren dieser Liebe und Verehrung tragen. Dagegen hätte ich in Dublin gern
meine Ansichten über englische Einflüsse auf die Weltliteratur geäußert, die
wenigstens bei uns nicht allgemein bekannt sind. Z. B. Ch. Dickens
und H. Ibsen „D. Copperfield“ und „Die Wildente“ Mr. Mikower und Jalmar Eckdal.
Mit meinem Dank empfangen Sie, geehrter Herr White den
Ausdruck meiner größten Hochschätzung.
Ihr aufrichtig ergebener
Frank Wedekind.
[3. Druck „Münchner
Neueste Nachrichten“, 5.11.1912:]
Herrn Herbert O. White, Präsident der Philosophischen
Gesellschaft an der Universität Dublin
München, 28.Oktober1912
Sehr geehrter Herr! Für die hohe Auszeichnung, die Sie,
geehrter Herr White, und die Philosophische Gesellschaft der Universität Dublin
mir durch Ihre ehrenvolle Einladung zur Eröffnungsfeier zuteil werden lassen,
bitte ich Sie, meinen aufrichtigen, herzlichen Dank entgegenzunehmen und Ihren
Herren Kollegen übermitteln zu wollen. Fast schäme ich mich, Ihnen zu gestehen,
welch unschätzbaren Wert Ihre Aufforderung gegenüber meinen Landsleuten für
mich hat, die mir sicherlich den Vorwurf nicht ersparen werden, daß ich Ihre
herzlichen Worte zu Reklamezwecken gefälscht habe. Vielleicht ist Ihnen meine
Antwort eine Enttäuschung, da Sie mit Ihrer Einladung einen geachteten
deutschen Schriftsteller zu sich zu berufen hofften und Ihre Wahl nur durch
Zufall auf denjenigen fiel, der seit zwanzig Jahren in Deutschland am meisten
geschmäht wird. Warum die Wahrheit nicht aussprechen! Die Auszeichnung, die Sie
mir gewähren, ist weitaus die höchste Anerkennung, die mir meine Arbeit in
meinem ganzen Leben eintrug. Danach bitte ich Sie, den Dank, den ich Ihnen und
der Universität Dublin schulde, zu ermessen.
Dem geistvollen Dichter Mr. G. K. Chesterton, der Ihrer
Eröffnungsfeier beiwohnt, bitte ich, meine Grüße übermitteln zu wollen. Seine
Werke „Orthodoxie“ und „Der Mann, der Donnerstag war“ habe ich mit großem Genusse
gelesen und verdanke ihnen viel Anregung.
Zu meinem außerordentlichen Bedauern ist es mir nicht
vergönnt, Ihrer ehrenvollen Einladung zu folgen: da die deutschen Schauspieler
meine Dramen nicht spielen wollen, bin ich genötigt, sie selber darzustellen.
Das ist mein Beruf, von dem ich seit fünfzehn Jahren lebe und der mich gerade
in dieser Jahreszeit in Deutschland festhält.
Wie innig ich die englische Literatur verehre und liebe,
brauche ich niemandem zu sagen, da gerade meine reifsten Arbeiten die
deutlichsten Spuren dieser Liebe und Verehrung tragen. Dagegen hätte ich in
Dublin gerne meine Ansichten über englische Einflüsse auf die Weltliteratur
geäußert, die wenigstens bei uns nicht allgemein bekannt sind. Z. B. Ch. Dickens
und H. Ibsen „D. Copperfield“ und „Die Wildente“, Mr. Mikower und Jalmar Eckdal.
Mit meinem Dank empfangen Sie, geehrter Herr White, den
Ausdruck meiner größten Hochschätzung.
Ihr aufrichtig ergebener
Frank Wedekind