(Dublin), 25. September 1912Der Rezeption des auf den 25.9.1912 datierten und in der Presse veröffentlichten Briefs zufolge hat dieser Wedekind erst auf Umwegen in München erreicht. So wurde aus Berlin berichtet: „Die philosophische Fakultät der Universität Dublin hat an den ‚Herrn Schriftsteller Frank Wedekind in München‘ einen Brief geschrieben, dessen Schicksal von der Bekanntheit Wedekinds im Ausland und seiner relativen Unbekanntheit im deutschen Vaterlande oder vielmehr in seiner neuen Heimat München Zeugnis ablegt: Denn der Brief ging seltsamerweise zuerst zurück, da ‚Adressat unbekannt‘ sei“ [Eine Ehrung Wedekinds durch das Ausland. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 533, 29.10.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)]; aus Prag: „Frank Wedekind hat von der philosophischen Fakultät der Universität Dubleen die offizielle Einladung erhalten, am 14. November bei der Eröffnung zu sprechen, ein Beweis, daß Wedekind in England nicht unbekannt ist, und sogar von den offiziellen Stellen geschätzt wird. In München, wo der Schriftsteller seit fünfzehn Jahren lebt, sandte dagegen die Königliche Post den Brief mit der Einladung, der die Aufschrift trug: ‚Herrn Schriftsteller Frank Wedekind in München‘, mit dem Vermerk ‚in München unbekannt‘ und ‚unbestellbar‘ zurück“ [Frank Wedekind in München unbekannt. In: Prager Tagblatt, Jg. 37, Nr. 300, 30.10.1912, Morgen-Ausgabe, S. 6]; aus Hamburg: „Bezeichnend für die Bekanntheit Wedekinds im Ausland und seine relative Unbekanntheit in seiner neuen Heimat München ist das Schicksal des Briefes, den die Dubliner Universität an den ‚Herrn Schriftsteller Frank Wedekind in München‘ richtete. Der Brief ging seltsamer Weise zuerst zurück, da ‚Adressat unbekannt‘ sei“ [Eine Ehrung Frank Wedekinds durch das Ausland. In: Neue Hamburger Zeitung, Jg. 17, Nr. 513, 31.10.1912, Abend-Ausgabe, 3. Beilage, S. (1)].
Geehrter Herr! Am 14. November findet die
Eröffnungsversammlung der philosophischen Fakultätdie an der Universität Dublin angesiedelte Philosophische Gesellschaft (die University Philosophical Society am Trinity College der University of Dublin), wie aus Wedekinds Antwort hervorgeht, in der er sich dazu bekannte, den Einladungsbrief zu Werbezwecken benutzt zu haben [vgl. Wedekind an Herbert Martyn Oliver White, 28.10.1912]. Das wurde ihm von der konservativen Münchner Presse vorgeworfen. So erschien ein Artikel „Frank Wedekind und die Universität Dublin“, in dem ein Schreiben einer namentlich nicht genannten Person („Ein Dubliner Universitätsprofessor und Akademiker schreibt uns“) zitiert ist, in dem es heißt: „Der Brief kommt von keiner philosophischen Fakultät (die hier gar nicht existiert), sondern von einem Studentenverein (Undergraduate Philosophical Society) [...]. Die Universität hat damit gar nichts zu tun“ [Süddeutsche Monatshefte, Jg. 10, Nr. 1, Dezember 1912, S. 466]. Diese Quelle war nicht aktuell informiert, denn die 1843 von Studenten gegründete Philosophische Gesellschaft, die ab 1853 „Undergraduate Philosophical Society“ hieß, verzichtete 1860 auf die Bezeichnung „Undergraduate“ und hieß seitdem „University Philosophical Society“ [vgl. The Dublin University Calendar, Vol. III. Being a special supplemental volume. For the year 1912‒1913. Dublin 1913, S. 44]. Das anonyme Schreiben wurde von einer Münchner Zeitung zitiert und kommentiert: „Nun ist aber Herrn Frank Wedekind, dem Märtyrer und Feind aller Reklame, etwas Fatales passiert: die Süddeutschen Monatshefte, die, wie es scheint, der Sache nachgegangen sind, veröffentlichen in dem soeben erschienenen Dezember-Heft nachstehenden Brief eines Dubliner Universitätsprofessors und Akademikers an die Redaktion der Süddeutschen Monatshefte“ [Wedekind, der Märtyrer. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 115, Nr. 49, 7.12.1912, S. 899]. statt, an der ich als
PräsidentHerbert Martyn Oliver White ist in der „List of Presidents since the Foundation of the Society“ (der University Philosophical Society am Trinity College der University of Dublin) für das akademische Jahr („Session“) 1912/13 als Präsident („President“) ausgewiesen: „1912-3, Herbert Martyn Oliver White, Sch.“ [The Dublin University Calendar, Vol. III. Being a special supplemental volume. For the year 1912‒1913. Dublin 1913, S. 46] Der dem Namen nachgestellten Abkürzung zufolge war er Student und ist als solcher auch in der Liste „Scholars of Trinity College“ aufgeführt [vgl. ebd., S. 657]. Später (seit 1939 bis zu seiner Emeritierung) war er Professor für englische Literatur am Trinity College. meine InauguralanspracheAntrittsrede (engl. „inaugural“). über „Die Literatur der sozialen Unruhe“ zu
halten hoffe. Ich erlaube mir, Ihnen eine sehr herzliche Aufforderung zu
übermitteln, uns damit beehren zu wollen, bei dieser Gelegenheit zu sprechen.
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich und die Fakultät uns durch
Gegenwart und Rede eines Mannes geehrt fühlen würden, der in so hervorragender
Weise wie Sie zur heutigen Literatur beigetragen hat.
Herr G. K. Chesterton, der bedeutende Schriftsteller, hat
sein Erscheinen freundlichst zugesagt.
Indem ich Ihnen, wenn Sie die Möglichkeit haben, mit uns
zusammen zu sein, den herzlichsten Willkomm von seiten der Fakultät und der
Universität zusichere und um baldige Antwortvgl. Wedekind an Herbert Martyn Oliver White, 28.10.1912. bitte, bin ich Ihr aufrichtiger
Herbert O. White, Präsident.