Sehr geehrter Herr DoctorDr. phil. Paul Heyse, in München (Luisenstraße 49) lebender „Dichter“ [Adreßbuch für München für das Jahr 1891, Teil I, S. 155], hochberühmt und einflussreich.,
gestatten Sie mir, Ihnen eine dramatische Arbeit
vorzulegenWedekind hat dem Begleitbrief die unter dem Titel „Kinder und Narren. Lustspiel in vier Aufzügen“ 1891 bei der Münchner Druckerei R. Warth als Privatdruck veröffentlichte Erstausgabe seines Stücks beigelegt [vgl. KSA 2, S. 643]., zu der mir das moderne Leben und Treiben, soweit ich es kenne, die
Anregung sowol wie den Stoff gab. Ich habe | das Stück für die Bühne drucken
lassen, darf indessen wol kaum darauf rechnen, von Seite der Directionen
Beachtung zu finden, da ich die Verhältnisse in einer andern als der gerade
heute gang und gäben Weise aufzufassen gewagt. Die öffentliche Presse
hinwiederum wird sich meiner nicht annehmen wollen, | bevor ich nicht einen
Verleger gefundenNach der Erstausgabe von „Kinder und Narren“ als Privatdruck 1891 erschien das Stück erst wieder 1897 in der Neufassung „Die junge Welt. Comödie in drei Aufzügen und einem Vorspiel“ im Verlag W. Pauli’s Nachfolger (H. Jerosch) in Berlin [vgl. KSA 2, S. 646]., der das Buch in zweckentsprechender Form der Öffentlichkeit
übergiebt. Ein empfehlendes Wort von Ihnen, Herr Doctor, im Fall Sie es mit
Ihrem künstlerischen Gewissen vereinbaren können, würde vielleicht vermögen,
was endlosen Bemühungen des Autors | versagt bleibt. Ich gedenke das Stück, um
dem Vorurtheil des Publicums aus dem Wege zu gehn, falls es im Buchhandel
erscheint, nicht Lustspiel sondern ComödieWedekind unterschied die heute synonym verwendeten Bezeichnungen Lustspiel (im 17. Jahrhundert von Gottsched als Gattungsbegriff empfohlen) und Komödie, da man zeitgenössisch bei Komödie vor allem an die französische Salonkomödie dachte, die beim Publikum beliebten französischen Konversationsstücke [vgl. KSA 2, S. 700]., eventuell auch Schauspiel zu
nennen. Sollte es je das Licht der Bretter erblicken„Kinder und Narren“ kam nicht auf die Bühne; auch die neubearbeitete Fassung „Die junge Welt“ wurde erst am 22.4.1908 im Münchner Schauspielhaus uraufgeführt., so würde ich | immerhin
zur Bezeichnung Lustspiel zurückkehren, indem damit möglicher Weise Gelegenheit
geboten wäre, dem Vorurtheil des Publicums entgegenzutreten.
Indem ich Sie auch darum ersuche, mir meine | Bitte,
auch wenn Sie sie, sei es aus künstlerischen, sei es aus anderen Gründen,
unberücksichtigt lassen müssen, nicht verargen zu wollen ‒ mit der Versicherung meiner Verehrung und
Hochschätzung
Ihr ganz ergebenster
Fr. Wedekind
München, 9.III 91.
Akademiestraße 21 III