Sehr geehrter Herr DoctorDr. phil. Arthur Eloesser, Schriftsteller in Charlottenburg (Dahlmannstraße 29) [vgl. Berliner Adreßbuch 1914, Teil I, S. 615] und Dramaturg am Berliner Lessingtheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 309].!
Bevor ich Ihre liebenswürdigen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Arthur Eloesser an Wedekind, 18.12.1913. noch beantwortet lese
ich zu meiner großen Freude von dem großen ErfolgDie aus Anlass von Georg Büchners 100. Geburtstag veranstaltete Doppelinszenierung von „Woyzeck“ und „Leonce und Lena“ (in den Theaterprogrammen: „Wozzeck. Ein Trauerspiel-Fragment“ und „Leonce und Lena. Ein Lustspiel in 3 Akten“) am 17.12.1913 im Lessingtheater in Berlin unter der Regie von Victor Barnowsky mit Musik von Hans Schindler fand Anerkennung in der Presse. Es habe sich um eine „großartige Aufführung“ [Berliner Volks-Zeitung, Jg. 61, Nr. 591, 18.12.1913, Morgen-Ausgabe, S. (2)] gehandelt, „es war, trotz eines sehr literarischen Publikums, als ob an diesem Abend Georg Büchner der Literaturgeschichte aus den Klauen gerissen und lebendig gemacht wurde“ [Vossische Zeitung, Nr. 641, 18.12.1913, Morgen-Ausgabe, S. (3)]. Sogar Fritz Engel meinte: „Es war der beste Abend, den Viktor Barnowsky bisher in seinem neuen Hause gehabt“ [Berliner Tageblatt, Jg. 42, Nr. 641, 18.12.1913, Morgen-Ausgabe, S. (2)]. Arthur Eloesser war als Dramaturg mit der Inszenierung befasst (und soll sie überhaupt erst angeregt haben). Seine Mitwirkung an diesem „Büchnerabend“ kam in der Presse aber nur am Rande zur Sprache: „Die Familie Büchner hat dem Lessingtheater ein bisher unbekanntes Bild des Dichters zur Verfügung gestellt, das mit einigen Zeilen der Erinnerung aus der Feder von Artur Eloesser dem Theaterzettel beigegeben wird.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 42, Nr. 639, 17.12.1913, Morgen-Ausgabe, S. (3)], den Leonce und Lena und
Wozzek eingetragen hat. Meine scheinbare Unhöflichkeit kann ich nur dadurch
entschuldigen, daß ich eben in den Abschluß einer größeren | Arbeit vertieft
war, nämlich die völlige UmarbeitungWedekind hatte zwar bereits am 20.11.1913 notiert: „Letzte Scene von Franziska fertig in Versen umgearbeitet“ [Tb], hielt dann aber am 7.12.1913 definitiv fest: „Schreibe Umarbeitung von Franziska fertig“ [Tb]. Abschriften der neuen Fassung wurden nach Diktat des Autors vom 9. bis 13.12.1913 hergestellt, am 15.12.1913 übergab Wedekind die Druckvorlage dem Georg Müller Verlag: „Ich bringe Manuskript Franziska-Umarbeitung zu Müller“ [Tb]. Die neue Fassung des Stücks erschien 1914 unter dem Titel „Franziska. Ein modernes Mysterium in neun Bildern. Bühnenausgabe in gebundener Rede“ [vgl. KSA 7/II, S. 998]. meiner „Franziska“ in gebundene Rede,
Verse und Reime. Außerdem mußte es aber auf Verwechslung beruhen, daß Sie
annahmen, ich hätte bei der Leonce und Lena-AufführungDie Uraufführung von Georg Büchners posthum veröffentlichtem Lustspiel „Leonce und Lena“ (1838/1850) wurde von einem Theaterverein, dem Intimen Theater in München, am 31.5.1895 als Freilichtaufführung vor geladenem Publikum realisiert. Dem Faksimile des Theaterzettels und Inszenierungsfotos aus dem Nachlass Max Halbes im Katalog der Darmstädter Büchner-Ausstellung von 1987 zufolge führte die Regie Ernst von Wolzogen, der auch mitspielte (König Peter), und einige der Darsteller gehörten früher oder später zu Wedekinds Bekanntenkreis: Max Halbe (Leonce), Oskar Panizza (Hofmeister), Wilhelm Rosenthal (Präsident des Staatsrates, zweiter Polizeidiener), Ludwig Scharf (ein Bauer), Otto Erich Hartleben (Volk) und Georg Schaumberg (Herold); ferner spielten Anna Gigl (Lena), Franz Held (Valerio), Rosa Ensinger (Rosetta), Alice Stoltzenberg (Gouvernante), Wilhelm Hegeler (Landrat), Eduard Fuchs (Schulmeister), Hans Olden (Zeremonienmeister), Max Fels (erster Polizeidiener, erster Kammerdiener), Ludwig Landshoff (zweiter Kammerdiener); Einleitungsworte sprach Julius Schaumberger, neben Max Halbe, Josef Ruederer, Ludwig Scharf und Georg Schaumberg Mitglied des Organisationskomitees [vgl. Georg Büchner 1813-1937. Revolutionär, Dichter, Wissenschaftler. Basel, Frankfurt am Main 1987, S. 312f.]. in München in den 90-er
Jahren mitgewirkt. Ich war damals gar nicht in MünchenWedekind lebte in jener Zeit in Berlin.. Umso mehr freut mich
jetzt der große Erfolg, den Ihnen die beiden Stücke eingetragen sowie das
herrliche Gedeihen, dessen sich das Lessingtheater überhaupt unter seiner neuen
LeitungSeit Beginn der neuen Spielzeit am 15.9.1913 hatte das Berliner Lessingtheater eine neue Direktion (Direktor war nun Victor Barnowsky, einer der Dramaturgen Arthur Eloesser) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1914, S. 309], unter der dann Wedekinds „Simson“ mit ihm selbst als Regisseur inszeniert wurde. Wedekind hatte gleich am 30.9.1913 eine „Unterredung mit Dr. Eloesser im Lessingtheater“ [Tb], bei der eine Zusammenarbeit verabredet worden sein dürfte. Der Autor reiste am 11.1.1914 zu den „Simson“-Proben nach Berlin; als es zum Konflikt zwischen ihm und Victor Barnowsky kam, hatte er vor seiner vorzeitigen Abreise nach München am 21.1.1914 ein Gespräch mit dem Dramaturgen – „Lange Unterredung mit Dr. Eloesser“ [Tb], der ihn dann auch bei der Uraufführung des „Simson“ am 24.1.1914 vor dem Publikum vertrat: „Anstelle Wedekinds erschien der Dramaturg Dr. Eloesser, um für den Dichter zu danken.“ [Emil Faktor am 25.1.1914 im „Berliner Börsen-Courier“; KSA 7/II, S. 1340] | erfreut. Ich bitte Sie also noch einmal, mein Versäumnis
entschuldigen zu wollen.
Mit besten Empfehlungen an Sie und Herrn Direktor Barnowsky
Ihr ergebener
Frank Wedekind.