Sehr geehrter Herr BrandenburgHans Brandenburg wohnte neuerdings in Pasing (Lochhamerstraße 53) [vgl. Adreßbuch für München 1912, Teil I, S. 66; Vororts-Adreßbuch, S. 37].!
Empfangen Sie zuerst meinen herzlichen Dank für
die liebenswürdige ÜbersendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Buchsendung (oder eine Widmung im Buch); erschlossenes Korrespondenzstück: Hans Brandenburg an Wedekind, 5.12.1911. Hans Brandenburg hat Wedekind seinen Roman „Chloe oder Die Liebenden“ (1909) geschickt, der im Georg Müller Verlag in München neu aufgelegt war [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 79, Nr. 102, 3.5.1912, S. 5487]. Ihres Romans. Mit gleicher Post erhalten Sie
meine FranziskaWedekind hat Hans Brandenburg ein Exemplar der Erstausgabe von „Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten“ (1912) geschickt, die vor kurzem vordatiert im Georg Müller Verlag erschienen war [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 78, Nr. 275, 27.11.1911, S. 14819]; das Exemplar enthält eine datierte Widmung [vgl. Wedekind an Hans Brandenburg, 6.12.1911].. Was nun Bierbaum betrifft, so habe ich gewiß etwa
hundert BriefeDavon sind weniger als die Hälfte erhalten (siehe Wedekinds Korrespondenz mit Otto Julius Bierbaum). Hans Brandenburg plante offenbar eine Briefausgabe, die nicht zustande kam; er gab dann allerdings gemeinsam mit Michael Georg Conrad eine zehnbändige Ausgabe „Gesammelte Werke“ Otto Julius Bierbaums heraus, die von 1912 bis 1921 in München im Verlag Georg Müller erschien. Der Plan einer Briefausgabe wurde weiter verfolgt, wie Wedekinds Notiz vom 30.7.1913 verrät: „Besuch von Richard Elchinger dem ich sämmtliche Bierbaum-Briefe aushändige.“ [Tb] Richard Elchinger war Beiträger der Sammlung „Otto Julius Bierbaum zum Gedächtnis“ (siehe unten). von ihm. Wer sich zu betheiligen sucht, dem würde es gewiß eine
große Freude sein, sie zusammenzustellen. Ich selbst habe nicht viel Ursache
Beschäftigung zu suchen. Ich Meine vierzehn Dramen, die meine
Überzeugungen enthalten führt niemand auf, ich bin deshalb Schauspieler
geworden und nun verbietet mir die Polizei die Aufführungen. Die paar Jahre in
denen ich vielleicht noch spielen kann sind rasch vorbei Ich strenge also all
meine Kräfte an, um | meine Stücke doch vielleicht noch frei zu bekommen und muß soll dabei für jede Zeitung,
die ein gutes Wort über mich geschrieben, einen Beitrag liefern, damit sie mich
in der nächsten Nummer nicht umso ärger verprügelt. Seit vierzehn Tagenseit dem 22.11.1911. Wedekind plante, den Lyrikband „Im Weitergehn. Neue Gedichte“ (1911) seines langjährigen Freundes Karl Henckell zu rezensieren, der soeben im Verlag Die Lese in München erschienen war [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 78, Nr. 270, 20.11.1911, S. 14439]; er hat die Kritik wohl nicht geschrieben (sie ist weder gedruckt noch handschriftlich nachweisbar). habe
ich mir vorgenommen über Karl Henckels „Im Weitergehn“ eine Kritik zu
schreiben. Ich bin noch nicht dazu gekommen. Und Karl Henckel lebt und hätte
etwas davon, während Bierbaum todSchreibversehen, statt: tot. Otto Julius Bierbaum starb am 1.2.1910. ist und nichts davon hat. Nun sprechen Sie
von seinem AndenkenAnspielung auf den seit dem Vorjahr geplanten Sammelband „Otto Julius Bierbaum zum Gedächtnis“ (1912), den Michael Georg Conrad, Anna Croissant-Rust und Hans Brandenburg konzipiert und Wedekind aufgefordert hatten, dazu einen Beitrag zu liefern [vgl. Michael Georg Conrad, Anna Croissant-Rust, Hans Brandenburg an Wedekind, 31.3.1910].. Aber Bierbaum ist bekannter als Conrad, und Croissant und
Sie und ich zusammengenommen. Und was die Schmähungen anbetrifft so ist
überhaupt noch nie ein deutscher Schriftsteller so beschimpft worden wie ich.
Ich weiß daß ich mit all diesen Entschuldigungen | Bierbaum auf meiner Seite
habe; er war ein praktischer Mensch und Sentimentalitäten abhold. Sie haben
vielleicht gerade eine Arbeitspause, deshalb finde ich es sehr schön wenn Sie
das Buch herausgebenMichael Georg Conrad, Anna Croissant-Rust und Hans Brandenburg haben das Erinnerungsbuch „Otto Julius Bierbaum zum Gedächtnis“ (1912) herausgegeben (auf dem Titelblatt nicht verzeichnet), das im Herbst 1912 im Georg Müller Verlag in München [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 79, Nr. 252, 28.10.1912, S. 13277] erschien, angekündigt mit den Titelangaben: „Otto Julius Bierbaum zum Gedächtnis / Herausgegeben von M. G. Conrad, Anna Croissant-Rust u. Hans Brandenburg / Mit 40 Bildbeigaben“ [S. 13317].. Ich habe aber ein halbes Jahr ohne jede Arbeitspause
hinter mir. Dabei werde ich an der Ausführung meiner eigenen Pläne fortwährend
durch die Unmenge Arbeit gehindert, die mir die Überwindung all der
Schwierigkeiten verursacht, die sich mir in den Weg stellen. Also seien Sie
nicht böse wenn ich Ihnen nicht versprechen kann, in den nächstenSchreibversehen (ein vergessenes Wort), statt: in den nächsten Tagen (oder: Wochen). den Beitrag
zu liefern.
Wollen Sie mich bitte bei Herrn Croissant
entschuldigenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Hermann Croissant an Wedekind, 5.12.1911. Hermann Croissant, Ingenieur und Gaswerkdirektor im Ruhestand in Pasing (Hermannstraße 18) [vgl. Adreßbuch für München 1912, Vororts-Adreßbuch, S. 37], Gatte der Schriftstellerin Anna Croissant-Rust, die den Sammelband „Otto Julius Bierbaum zum Gedächtnis“ (siehe oben) plante, hatte Wedekind offenbar wegen eines Beitrags zu diesem Erinnerungsbuch angeschrieben und um die gewünschte postume Würdigung gebeten. Wedekind kannte das seit 1905 in Pasing lebende Ehepaar, das mit dem inzwischen verstorbenen Schriftsteller Otto Julius Bierbaum befreundet gewesen war; er ist ihm gelegentlich begegnet – dem Tagebuch zufolge am 26.8.1905 („Zu Mittag bei Bierbaum in Pasing. Croissant-Rust“), am 27.8.1907 („Abends mit [...] Gemma Bierbaum Croissant und Frau“) und am 23.9.1909 („Spaziergang nach Schwabing treffe Croissant Rust und Frau“).. Ich werde ihm auch selbst schreiben. Ich hatte die Herausgabe
eines Bierbaum JahrbuchesWedekind hat am 20.6.1910 notiert: „Bierbaum-Jahrbuch fällt mir ein.“ [Tb] Ein solches Jahrbuch wurde nicht realisiert. vorgeschlagen um das fertig und unbenutzt liegende
Material zur Verwendung zu bringen. Dazu wäre ich auch jetzt noch be/g/ern
| bereit, halte es aber nicht für praktisch, neues Material zu schaffen und das
vorhandene unbenutzt liegen zu lassen.
Seien Sie mir deshalb bitte nicht böse.
Mit besten Grüßen
Ihr ergebener
Frank Wedekind.
München 6.12.11.