[1. Entwurf:]
München
Prinzregent 30.10.9.
Prinzregentenstr. 50.
Sehr geehrter Herr!
Am 29 Oktober 1898
war ich in Folge eines ProzessesAm Morgen des 30.10.1898 war Wedekind aus München nach Zürich geflohen, um seiner drohenden Verhaftung wegen Majestätsbeleidigung (im Gedicht „Im Heiligen Land“ im „Simplicissimus“) zu entgehen. gezwungen rasch nach Zürich zu reisen und lies meine Sachen in München
zurück mit der BitteWedekind hatte Richard Weinhöppel und Frida Strindberg um Zusendung seiner gepackten Koffer gebeten, vgl. Wedekind an Richard Weinhöppel, 31.10.1898 und 14.11.1898 sowie Wedekind an Frida Strindberg, 4.11.1898.,
sie mir nach Zürich nachzuschicken[.] Als ich Sie in Zürich erhielt vermißte ich eine ganze Anzahl von
Manuscripten. Darunter zwei TagebücherDie beiden Tagebücher 5 und 6 umfassen den Zeitraum 24.5.1889 bis 22.10.1890 [vgl. Vinçon, S. 448]. die die Zahlen un/5/ und 6
tragen, ein ebensogroßes HeftEs handelt sich um den Prosaentwurf „Eden“ (eine Vorstufe zu „Mine-Haha“) [vgl. Vinçon, S. 448]. mit literarischen und anderen persönlichenStreichung und Überschreibung mit Tinte. Aufzeichnungen,
undwiederaufgehobene Streichung. ein h/H/eft
mit GedichtenDas Schulheft mit 20 Gedichten und einem Register stammt aus den Jahren 1877 bis 1881 [vgl. Vinçon, S. 447f.]. aus dem Jahr 1880 oder und 1881[.] Seit 11 Jahren bin ich nun auf der Suche nach diesen Manuscripten.
und e/E/ben e+ erfahre
ebenich durch Zuschriften von verschiedenen Seiten
daß sie sich in Ihrem BesitzErnst Rowohlt selbst hatte auf der Jahrestagung der Bibliophilen in München (25.9.1909) mit dem Besitz von Wedekinds Tagebüchern geprahlt. Franz Bley, der die Festrede auf der Jahrestagung hielt, soll Wedekind davon informiert haben. Beides berichtete Franziska Gräfin zu Reventlow brieflich einem Freund [vgl. Schardt 2004, Bd. 4, S. 534]. befinden. Der Antiquar | Hirsch bestätigt auch daß sie diese
Manuscripte von ihm erworbenVermittelt durch den Münchner Verleger Hans von Weber hatte der Münchner Antiquar Emil Hirsch dem Leipziger Verleger Ernst Rowohlt am 22.7.1909 und am 3.8.1909 die vier Manuskripte zum Verkauf angeboten [vgl. Vinçon 1989, S. 444].
haben. Obschon diese Bücher nun ganz ohne Zweifel mein Eigenthum sind,
möchte ich Ihnen doch gerne jeden Materiellen Verlust ersparen. Und bitte Sie mir
mitzutheilen was Sie dafür bezahltErnst Rowohlt hatte die vier Manuskripte für 235 Mark gekauft. Auf einem linierten Ringbuchblatt notierte Wedekind: „Gedichte 55 | 1 Notizbuch 90 | 2 Tagebücher 90.“ [vgl. Aarau Kantonsbibliothek, Wedekind-Archiv B, Nr. 171]. haben. Sollten Sie sich zu dieser Regelung
der Sache nicht bereit finden, dann müßte natürlich mein erstes sein, die Frau
Gräfin Franziska Reventlow
zu verklagen. Diese Dame hat die Sachen/Manu/scripte wie sie mir selber mittheiltnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Franziska Gräfin zu Reventlow an Wedekind, 8.9.1909. Die Gräfin hatte Frida Strindberg zunächst damit belogen, dass sie die Manuskripte nicht wiedergefunden hätte und nicht wüßte, wo sie geblieben seien. Dasselbe dürfte sie Wedekind gegenüber behauptet haben [vgl. Schardt 2004, Bd. 4, S. 534f.].
jahrelang in Verwahrung gehabt und hat sie augenscheinlich unrechtmäßiger Weise
verkauft oder verkaufen lassenDer Münchner Maler Rolf Hoerschelmann hatte die Manuskripte mit der verabredeten Versicherung, er hätte sie von jemandem, „der sich für den rechtmäßigen Besitzer ausgab“, im Auftrag von Franziska Gräfin zu Reventlow an Emil Hirsch verkauft [vgl. Schardt 2004, Bd. 4, S. 533].. Mein RechtsanwaltIn der Manuskriptangelegenheit traf sich Wedekind im Oktober 1909 mit seinem Rechtsanwalt Otto Pflaum: „Besuch bei Dr. Pflaum wegen Tagebuch.“ [Tb, 19.10.1909] und „Besuch bei Bernstein und Pflaum“ [Tb, 29.10.1909]. theilt | mir mit, daß dieser Verkauf der Frau
Gräfin Reventlow, wenn es zu einer Klage kommt, ernstliche Unannehmlichkeiten
bereiten würde, die ich der Dame, wenn Sie, geehrter
Herr mir dazu behilflich sind gerne ersparen möchte.
Ihrer geschä
gefälligen baldigen Rückäußerung entgegensehend
In vorzüglicher Hochschätzung
Frank Wedekind.
[2. Abgesandter Brief:]
München, den 31. Oktober 1909.
Prinzregentenstraße 50.
Sehr geehrter Herr!
Am 29 Oktober 1898 war ich in Folge eines Prozesses
gezwungen, rasch nach Zürich zu reisen und ließ meine Sachen in München zurück
mit der Bitte, sie mir nach Zürich nachzuschicken. Als ich sie in Zürich
erhielt, vermißte ich eine ganze Anzahl von Manuscripten, darunter zwei
Tagebücher, die die Zahlen 5 und 6 tragen, ein ebensogroßes Heft wie die
Tagebücher mit literarischen und persönlichen Aufzeichnungen | und ein Heft mit
Gedichten aus den Jahren 1880 und 81. Seit elf Jahren bin ich nun auf der Suche
nach diesen Manuscripten. Auf einmal erfahre ich durch Zuschriften von
verschiedenen Seiten, daß sich die Sachen in Ihrem Besitz befinden. Der
Antiquar Hirsch bestätigt auch, daß Sie diese Manuscripte von ihm erworben
haben. Obschon diese Bücher nun ganz ohne Zweifel mein Eigentum sind, möchte
ich Ihnen doch gerne jeden materiellen Verlust ersparen, und bitte Sie, mir
mitzutheilen, was Sie dafür bezahlt haben. Sollten Sie sich zu dieser Regelung
der Angele|genheit nicht bereit finden, dann müßte es natürlich mein erstes S/s/ein,
die Frau Gräfin Franziska Reventlow zu verklagen. Diese Dame hat die
Manuscripte, wie Sie mir selber mittheilt, jahrelang in Verwahrung gehabt und
hat sie augenscheinlich unrechtmäßiger Weise verkauft oder verkaufen lassen.
Mein Rechtsanwalt theilt mir mit, daß dieser Verkauf der Frau Gräfin Reventlow,
wenn es zu einer Klage kommt, sehr ernstliche Unannehmlichkeiten bereiten
würde, die ich der Dame, wenn Sie, geehrter Herr, mir dazu die Hand bieten,
gerne ersparen möchte.
Ihrer gefälligen baldigen Rück|äußerung entgegensehend
in vorzüglicher Hochschätzung
Frank Wedekind.
[Kuvert:]
Einschreiben
Herrn
Rowohlt,
geschäftlicher Leiter der Zeitschrift für Bücherfreunde
Leipzig.
W. Drugulinʼsche Offizin. |
Absender:
Frank Wedekind.
München, Prinzregentenstraße 50.