Herrn Dr. Hans Bodmer, Präsident des Lesezirkels
„Hottingen“
Zürich
Sehr geehrter Herr Doctor,
erlauben Sie mir die ergebenste Anfrage, ob es möglich wäre,
vor den geehrten Mitgliedern des „Lesezirkels HottingenDer Hottinger Lesezirkel wurde am 4.11.1882 durch Wilfried Treichler und Hans Bodmer gegründet und bestand bis 1939. Neben der unentgeltlichen Verbreitung von Literatur unter allen Bevölkerungsschichten organisierte der weithin bekannte Verein ein umfangreiches Vortragsangebot angesehener Intellektueller. Seit 1893 gehörte Hottingen zur Stadt Zürich.“ einen dramatischen
VortragWedekind hielt seinen Vortrag unter dem Namen Cornelius Mine-Haha wahrscheinlich am 28.10.1895, vgl. die Postkarte an seine Mutter vom 29.10.1895. Die Presse urteilte über den Auftritt: „Ungekünstelt, ohne den mindesten Anklang an Deklamation, zauberte der eigenartige Künstler [… ] die Illusion der Wirklichkeit so lebensvoll hervor, daß man nur bewundernde Anerkennung über ihn aussprechen hörte.“ [Neue Zürcher Zeitung, Tages Anzeiger für Stadt und Kanton Zürich, Nr. 259, 4.11.1895; zitiert nach Vinçon 2021, Band 2, S. 172f.] „Gespenster“ von H. Ibsen, zu halten. Über die
Bedingungen würden wir uns ohne Schwierigkeiten einigen. Ich bin eben noch im
Begriff mit derartigen Vorträgen zu beginnen, und würde es Ihnen überlassen,
ein beliebiges Entrée zu bestimmen, das die Kosten des Abends einbringen
könnte. Die Zwischenakte des Stückes lasse ich durch dem Stoff angepaßte Klaviervorträge,
wenn möglich Piècen von Greeg1895 erschien das siebte von zehn Heften der „Lyrischen Stücke“ Griegs., ausfüllen. Ich würde Sie
dabei nur um die Erlaubniß bitten, unter einem beliebigen angenommenen NamenWedekind trat in Zürich als Rezitator unter dem Namen Cornelius Mine-Haha auf. auftreten
zu dürfen, indem ich meinen Schriftstellernamen gern von meiner Thätigkeit als
Recitator getrennt halten möchte.
Was meine Person und meine künstlerische Befä|higung
betrifft, so darf ich Sie bitten, sich bei Herrn Schriftsteller Karl Henckell
oder bei der Neuen Zürcher Zeitung, speciell bei Herrn Dr. BiseggerWalter Bissegger war von 1885 bis 1915 Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“.,
erkundigen zu wollen. Ihre geschätzte Entgegnung ersuche ich Sie, mir hierher
zukommen zu lassen. Sollten Sie geneigt sein, auf meinen Vorschlag einzugehen,
so würde ich zur persönlichen Besprechung nach Zürich kommen.
Mit der Bitte, die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochschätzung
entgegen nehmen zu wollen
ergebenst
Frank Wedekind.
Lenzburg, Aargau. 24. October 95.