Münchner
Schauspielhaus
J. Georg Stollberg
Telefonruf 1274.
München, den 26. September 1898.
Neuturmstrasse 1.
Lieber Herr Doctor,
ich kann Ihnen die Rücksendung meines GastspielsHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Ludwig Jacobowski an Wedekind, 24.9.1898. Wedekind hatte dem Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ sein „Das Gastspiel“ (später: „Der Kammersänger“) betiteltes Manuskript eingesandt [vgl. Wedekind an Ludwig Jacobowski, 31.8.1898] und erhielt es nun zurück; es ist „nicht überliefert.“ [KSA 4, S. 331].
keineswegs verdenken; ich hatte so etwas kommen sehen. Immerhin glaube ich doch
daß Sie die dramatische Wirksamkeit, die Intensität nicht gebührend gewürdigt,
doch das mag Voreingenommenheit des Autors sein. Übrigens habe ich mit meinen
sämmtlichen übrigen Arbeiten dieselben Schwierigkeiten bei der Herausgabe
gehabt. Erdgeist, Fürstin Russalka und Junge Welt wären heute noch nicht
erschienen, wenn ich nach langem Umherirren nicht schließlich an einen VerlegerAlbert Langen in München, in dessen Verlag die genannten Bücher Wedekinds erschienen sind – die Tragödie „Der Erdgeist“ (1895), die Sammlung „Die Fürstin Russalka“ (1897), die Komödie „Die junge Welt“ (1897).
gelangt wäre, der sie druckte, ohne sie gelesen zu haben. Vielleicht
nehmen Sie Gelegenheit, dieses sehr charakteristische Merkmal meiner
Production, das Sie nun auch aus eigener Erfahrung bestätigen können, in Ihrem
Artikel über michDer Artikel über Wedekind, den Ludwig Jacobowski in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ zu veröffentlichen offenbar vorgesehen hatte, ist nicht erschienen. zu erwähnen. Frühlings-Erwachen läge selbstverständlich heute
noch unter meinen Manuscripten, wenn ich nicht zufällig Gelegenheit gehabt
hätte, es auf eigene KostenWedekind übernahm 1891 für die Drucklegung der Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ bei dem Züricher Verleger Jean Groß „die gesamten Herstellungskosten.“ [KSA 2, S. 764] erscheinen zu lassen.
Sie führen die Modernität der „Gesellschaft“ an;
aber | warum wenden Sie sich dann um Beitrag an mich, der ich in meinen
Novellen Gedichten und Dramen so absolut unmodern bin und nie habe modern sein
wollen. Meine sämmtlichen Arbeiten sind immer erst einige Zeit nach ihrem
Erscheinen modern geworden. Hätte ich Ihnen irgend eine bürgerliche Bagatelle,
eine NullitätNichtigkeit., durch pretensiöseSchreibversehen, statt: prätentiöse (= wichtigtuerische, aufgeblasene)., s.g. moderne Worte aufgebauscht, geschickt, Sie würden sie
zweifelsohne acceptirt haben. Aber darin habe ich nie gearbeitet, und somit
werden Sie es erklärlich finden, daß bis zum heutigen Tage noch nicht eine
Zeile von mir in einer Deutschen Zeitschrift erschienen ist. Mit
Scenen aus Frühlings Erwachen und Erdgeist machte ich seinerzeit den Versuch
bei mehreren Zeitschriften, selbstverständlich umsonst, da die beiden Bücher
erst nach ihrem Erscheinen modern wurden, während sie sich vorher zu dem, was
man damals modern nannte in conträren Gegensatz stellten. Obschon ich nun
täglich von Zeitschriften Aufforderungen zur Mitarbeiterschaft erhalte, habe
ich mich doch seit Jahren nicht eine derselben mehr beantwortet, da ich
im Voraus weiß daß es umsonst ist. Mit Ihnen machte ich auf Ihr wiederholtes
Drängen hin eine Ausnahme und finde meine alte Erfahrung ganz unnötiger Weise
bestätigt.
Sie fordern mich aufin dem nicht überlieferten Schreiben (siehe oben)., lieber Herr Doctor, | Ihnen
etwas anderes zu schicken. Ich weiß aber, daß ich mit allem anderen die
nämliche Erfahrung machen werde. Ich habe Ihnen das Beste geschickt, was
mir zur Verfügung steht. Es erscheint mir nun nur als eine kläglich lächerliche
Ironie, daß eine Zeitschrift meine Arbeiten in einem Artikel würdigen will, der
meine besten Arbeiten zu schlecht sind. Consequent gedacht, dürften Sie über
mich nicht eher schreiben, bevor Sie nicht über sämmtliche Ihrer stehenden
Mitarbeiter würdigende Artikel veröffentlicht hätten. Ich bitte Sie daher auch
in allem Ernst, den Artikel über mich lieber ungedruckt zu lassen,
vorausgesetzt, daß er mich nicht abfällig beurtheilt, da er mir sonst nur einen
sehr bitteren Eindruck hinterlassen würde. Sie werden mich nun, a propos Beiträge, an meine Novellen
in der Fürstin Russalka erinnern. Diese Novellen sind aber durchweg künstlerisch
wertlose Handwerksarbeit die ich unter dem stärksten Druck ungünstiger
Verhältnisse fabrizirte und auf die ich jetzt unmöglich wieder zurückgreifen
könnte.
Hätte ich nicht zufällig eine halbe Stunde Muße
gehabt, so wäre Ihnen diese lange Epistellängerer Brief. erspart | geblieben. Ich bitte Sie
daher auch, mir meine Auseinandersetzungen nicht schief nehmen zu wollen, da
sie durchaus sachlich gemeint sind. Mit dem Artikel über mich ist es übrigens
mein völliger Ernst. Protegiren Sie Menschen die Ihnen von Nutzen sind und
nicht solche, die mit dem Leben und Treiben der Zeitschriften so wenig zu thun
haben wie ich. Auf Überhebung beruht das meinerseits wahrlich nicht, sondern,
wie Sie jetzt selbst wissen auf den Ansprüchen und dem Charakter der
Zeitschriften.
Wenn Sie mir trotzdem einen Gefallen erweisen
wollten, dann schicken Sie mir bitteOb die Sendung erfolgte, ist unklar. Ludwig Jacobowski dürfte in seinem nicht überlieferten Schreiben (siehe oben) das noch unveröffentlichte, in bürgerlichem Milieu angesiedelte satirische Lustspiel „Die Agrarkommission“ (1899) von Kurt Aram (Pseudonym von Hans Fischer) für eine Inszenierung im Münchner Schauspielhaus angeboten haben, dessen Dramaturg Wedekind war (es wurde am Münchner Schauspielhaus nicht inszeniert); es erschien im Vorabdruck zum Auftakt des 4. Quartals der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ am 1.10.1898 und in den folgenden beiden Heften [vgl. Kurt Aram: Die Agrarkommission. Komödie in drei Akten. In: Die Gesellschaft, Jg. 14, Heft 19, S. 12-26; Heft 20, S. 91-100; Heft 21, S. 191-200]. „Die Agrar-Commission“ und seinen Sie
herzlichst gegrüßt von Ihrem
Frank Wedekind.