Tokio, März
7, 1913
Sehr verehrter
Herr!
Vorerst muss ich
um Ihre gütigste Entschuldigung bitten, weil ich ohne gehörigen
Empfehlungsbrief von Ihren Bekannten an Sie schreibe. Sie können sich wohl
vorstellen die Schwierigkeit womit man hier einen solchen bekommen kann. Mein
Versuch bei hiesiger deutschen Botschaft ist auch vergeblich geblieben.
Das einzige Ziel
meines Briefes ist um Ihre gütigste Bewilligung zu bitten, dass ich Ihre
wertvolles Werk „Frühlings Erwachen“ in unsre Muttersprache übersetzen darfEine erste (Teil?-)Fassung seiner Übersetzung von Wedekinds „Frühlings Erwachen“ hatte Nogami bereits im Juli 1912 in der japanischen Literaturzeitschrift „Mozaiku“ publiziert. Die von Wedekind autorisierte Übersetzung erschien im Sommer 1913 als Vorabdruck in der auflagenstarken Tokioter Tageszeitung „Yomiuri“. Die erste Buchausgabe, die Nogami mit einem Nachwort, Anmerkungen und Wedekinds Fotografie ausstattete, kam 1914 im Verlag der Buchhandlung Higashi (Tokio) heraus. Später wurde das Buch von dem angesehehen Tokioter Verlagshaus Iwanami Shoten übernommen, das es mehrfach (1924, 1927, 1934, 1957) auflegte. Nogamis Text lag auch der japanischen Uraufführung von „Frühlings Erwachen“ im Mai 1925 an der Bühne Tsukiji Shogekijo in Tokio zugrunde [vgl. Mamoru Kato: Das deutsche Drama auf der japanischen Bühne. In: Monumenta Nipponica 3 (1940), Nr. 2, S. 427-444, hier S. 433f. und 440..
Vor einigen | Jahre, als ich noch in hiesiger kaiserlichen Universität
studierte, bin ich zum ersten Male mit diesem Werke bekannt geworden, zwar
durch eine englische ÜbersetzungFrancis Joseph (!) Zieglers Übersetzung von „Frühlings Erwachen“ ins Englische war 1909 unter dem Titel „The Awakening of Spring. A Tragedy of Childhood“ im Verlag Brown Brothers (Philadelphia, Pennsylvania/USA) erschienen. von Herr F. L. Ziegler. Erst neulich ist es
mir gelungen das Original (Verlag G. Müller)Der Münchner Verleger Georg Müller hatte 1910 von Bruno Cassirer das Verlagsrecht an Wedekinds Werken erworben und in den Jahren 1912/13 die 25., 26. und 27. Auflage von „Frühlings Erwachen“ herausgebracht, von denen eine Nogami vorgelegen haben muss. Die erste Ausgabe war 1891 im Verlag von Jean Groß (Zürich) erschienen. kennen zu lernen. Dabei ist der
Wunsch in mir rege geworden dieses schöne Werk in Japanisch zu übersetzen.
Unter Ihren Schriften sind schon „Der KammersängerEine japanische Übersetzung von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ durch Mori Rintaro war im Januar 1908 in der Theaterzeitschrift „Kabuki“ erschienen.“ und einige kurzen
ErzählungenFrancis J. Zieglers Übersetzung von Wedekinds Erzählungen „Rabbi Esra“ und „Das Opferlamm“ ins Englische war 1911 unter dem Titel „Rabbi Esra. The Victim. Two Stories“ bei Brown Brothers (Philadelphia, Pennsylvania) erschienen. in unsrer literarischen Welt ziemlich bekannt, zwar meistens durch
die englische Übersetzung. In einer höheren Lehranstalt in Tokio liest man über
Ihren „So ist das Leben“ vor. Einer meiner FreundeHierbei handelt es sich, wie aus Nogamis Brief an Wedekind vom 6.6.1913 hervorgeht, mit großer Wahrscheinlichkeit um den japanischen Germanisten Mitsunobu Yamagishi. bringt | gegenwärtig vor
seinem Katheder einem Kommentar über die im Rede stehende Tragödie. Mein
innigster Wunsch ist es unser literarisches Publikum mit dieser schönster
Kindertragödie bekannt zu machen. Was mich anbetrifft, möchte ich Ihnen
ergebenst mitteilen, dass ich bis jetzt einige Romane geschrieben, und dazu
noch einige europäischen Schriften übersetzt. Ich muss aber gestehen das ich
noch niemals eine solche Begeisterung in mir verspürt habe, als ich es
unternommen hatte, Ihr „Frühlings Erwachen“ zu übersetzen.
Inzwischen furchte ich dass die kleine Buchhandlung die meine Übersetzung gern
übernehmen will, Ihnen keine materielle Vergütung anzubieten | im Stande ist.
Wenn ich aber mir nur denke, wie viel Freude und Begeisterung das Werk dem
kleinen aber denkenden Publikum erbringen würde, fühle ich mich so stark
bewogen, dass ich mich endlich beschlassen habe, mich direkt an Sie zu richten
und Ihre gütigste Bewilligung zu erbitten.
Das Buche
beabsichtige in tunlichst so auszustatten dass es dem höheren Geschmak passt.
Wenn Sie auch noch so liebenswürdig sein wollen, mich mit Ihrem Bild und
eventuell den Bildern aus der Aufführung dieser Tragödie begünstigen wollen,
möchte ich diese reproduzieren lassen und dem Buche einen erhöhten Glanz
erteilen. |
Indem ich mich
bestens empfehle und auf Ihre wohlwollende Antwort ganz ergebenst warte,
verbleibe ich achtungsvoll.
Ihr Dr. Toyoichirô
Nogami,
Tokio.
[Kuvert:]
Absender:
Dr. T. Nogami
Tokio, Sugamo
Kami Komagome 334.
Japan. |
Via Siberia
An
Herrn Frank Wedekind
Hochwohlgeboren
Berlin W. 62
Kurfürstenstrasse 125
Berlin
Deutschland.
[Am linken
Rand: japanische Schriftzeichen]