Kennung: 1350

München, 11. Dezember 1915 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Müller, Georg

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

11.12.15


Sehr verehrter Herr Wedekind!

Zu meiner großen Ueberraschung habe ich gestern von Herrn Rechtsanwalt AdlerWedekind hat den Münchner Rechtsanwalt Siegfried Adler (Kanzlei: Briennerstraße 55) [vgl. Adreßbuch für München 1916, Teil I, S. 3] wegen der Streitigkeiten mit seinem Verleger Georg Müller am 9.12.1915 aufgesucht: „Besuch bei Dr. Adler wegen Müller“ [Tb]. Der Rechtsanwalt ist dann sofort für den Autor tätig geworden, wie der vorliegende Brief des Verlegers belegt. ein Schreiben bekommen, in dem dieser von mir als Ihr Vertreter die Bezahlung von M. 43000.‒ als Restsumme für das dritte TausendStreitfall zwischen Autor und Verleger war die 3. Auflage der „Gesammelten Werke“ Wedekinds im Georg Müller Verlag [vgl. Georg Müller an Wedekind, 11.2.1915, 21.10.1915 und 30.10.1915]. Ihrer gesammelten Werke fordert und zwar verlangt Herr Rechtsanwalt Adler in diesem Schreiben, daß ich den Betrag von 600 Mark bis gestern Abend um 6 Uhrum 18 Uhr. an ihn bezahlen solle ‒ ein Ding der Unmöglichkeit, schon allein, weil wie jederzeit nachzuweisen, der Brief mir erst um ¾ 6 Uhrum 17.45 Uhr. von der Post zugestellt wurde. Ganz abgesehen davon, daß ich es nicht für nötig halte, daß in unser Verhältnis ein Rechtsanwalt sich einmengt, muß ich es aus prinzipiellen Gründen ablehnen, mit Herrn Rechtsanwalt Adler überhaupt zu verhandeln und ich würde es nach Darlegung dieses aus moralischen Gesichtspunkten entspringenden Bescheides als einen direkten Affront Ihrerseits gegen mich betrachten, wenn Sie sich in Ihrer Angelegenheit gegen mich durch Herrn Rechtsanwalt Adler weiter vertreten ließen. Genau wie ein Angeklagter bei Gericht einen Zeugen als befangen ablehnen kann, so lehne ich in jeder Form Herrn Rechtsanwalt Adler als in meiner Angelegenheit befangen und gegen mich voreingenommen ab. Ich hoffe, daß diese Angaben Ihnen genügen werden, bin aber gerne bereit Ihnen mündlich noch weiteres in dieser Angelegenheit bekannt zu geben.

Zur Sache selbst erlaube ich mir Ihnen Folgendes mitzuteilen: Ich habe Ihnen schon einmal und zwar in meinem Briefe vom 21. Oktobervgl. Georg Müller an Wedekind, 21.10.1915. d.J. mitgeteilt, daß wir uns seinerzeit dahingehend geeinigt haben, daß zunächst nur die beiden ersten Auflagen Ihrer Gesammelten Werke honoriert werden sollen, daß das dritte Tausend aber erst dann zur Verrechnung | kommen solle, wenn die beiden vorhergehenden Auflagen abgesetzt sind. Daß diese Vereinbarung stattgefunden hat, ergibt sich ohne Weiteres aus der Tatsache, daß Sie niemals von mir ein höheres Honorar für die einzelnen Bände verlangten als die Honorierung der beiden ersten Auflagen. Es dürfte Ihrem Gedächtnis entschwunden sein, daß wir seinerzeit vor der Indrucknahme der Gesammelten Werke uns darüber verständigt haben, daß ich berechtigt bin, eine Auflage von 3000 Exemplaren zuzüglich der entsprechenden Frei- und Rezensionsexemplare zu drucken, daß ich aber nur zwei Auflagen im Voraus zu honorieren habe. Das entspricht auch unserem GeneralvertragDer Vertrag zwischen Wedekind und dem Georg Müller Verlag vom 2.9.1914 ist nicht überliefert; er wurde unmittelbar nach der Nachricht von der Verpfändung der Verlagsrechte an Wedekinds Werken [vgl. Georg Müller an Wedekind, 1.9.1914] geschlossen. vom 2. September 1914, in dem ausdrücklich bestimmt ist, daß Sie 20 % vom Ladenpreis des broschierten Exemplares erhalten und daß Ihnen von jedem Werke 2 Auflagen im Voraus honoriert werden. Ich habe in diesem Vertrag nicht noch einmal die Gesamtausgabe eigens festgelegt, weil ich der Ueberzeugung war, daß wir darüber vollständig klar sehen würden. Aber ich möchte hiermit nochmals darauf hinweisen, daß es mir von Fall zu Fall gerade bei neuen Werken gestattet sein muß, auch einmal höhere Auflagen als die zu honorierenden herstellen zu dürfen und zwar aus dem einfachen Grunde, weil zu dem umfassenden Vertrieb eines neu erscheinenden Werkes es mitunter notwendig ist, daß gleich mehr Exemplare zur Versendung zur Verfügung stehen als 2000 Exemplare. Ich kann aber noch vor Erscheinen eines Buches niemals darüber orientiert sein, ob es mir möglich ist, mehr als 2000 Expl. innerhalb absehbarer Zeit abzusetzen. Von diesem Gesichtspunkte sind wir auch bei den Gesammelten Werken ausgegangen. Ich habe Ihnen gegenüber erwähnt, daß die Drucklegung eines derartigen großen WrkesSchreibversehen, statt: Werkes. außerordentlich kostspielig ist und daß es im Interesse des Werkes läge, wenn gleich eine Auflage von 3000 Exemplaren hegestellt würde, weil ein Neusatz ziemlich kostspielig wäre und ich mich zu einer Neuauflage nicht so rasch entschließen könnte. Sie werden bei Ueberlegung diese meine Angaben auch ohne weiteres be|stätigen können.

In Ihrem Briefe vom 5. Februar 1915nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Georg Müller, 5.2.1915. schreiben Sie mir in der Angelegenheit der Honorierung des dritten Tausends (3. Auflage) der Gesammelten Werke:

„Gestatten Sie daher die Frage, ob jetzt nicht vielleicht das Honorar für die dritte Auflage der Gesamtauflage ausgezahlt werden könnte und zwar in der Weise, daß ich in den nächsten 10 Monaten monatlich 800 Mark erhalte.“

Aus diesem Brief ergibt sich doch auch, daß Sie der Meinung waren, daß ein rechtliches Verlangen zur Auszahlung dieses Betrages bei Ihnen nicht bestehen konnte.

Sie vergessen aber in der fraglichen Angelegenheit auch noch Folgendes: Wir haben im Februar ausgemacht, daß Ihr Drama Bismarck im Neuen Merkur erscheinen solle und zwar haben wir ein Honorar von 15 M für die Seite ausgemacht. Daran anschließende habe ich Ihnen und auch im Verfolg Ihres oben zum Teil zitierten Briefes vom 5. Februar 1915 den Vorschlag gemacht und zwar in meinem Briefe vom 11. Februarvgl. Georg Müller an Wedekind, 11.2.1915., daß ich Ihnen in den nächsten sechs Monaten einen bestimmten Betrag bezahlen wolle, für den Zeitschriftenabdruck und die Buchausgabe des Bismarck. In diesem Briefe vom 11. Februar schrieb ich Ihnen auch in Bezug auf die dritte Auflage der Gesammelten Werke noch wörtlich: „Die dritte Auflage der Gesammelten Werke möchte ich aber noch nicht definitiv honorieren, da von der zweiten Auflage noch nicht allzuviel abgesetzt, wenigstens noch nichts davon an mich bezahlt worden ist.“

Unterm 12. FebruarWedekind hat sich am 12.2.1915 mit seinem Verleger Georg Müller getroffen, um sich mit ihm über die strittige Honorarfrage zu verständigen: „Verabredung mit Müller über Zahlungen“ [Tb]. besprachen wir die ganze Angelegenheit noch einmal mündlich und unterm 15. FebruarHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Georg Müller, 15.2.1915. bestätigten sie mir meinen Brief vom 11. und Unterredung vom 12. Februar und zwar schreiben Sie wörtlich: |

In Erwiderung Ihrer geehrten Zeilen vom 11. Februar und in Bestätigung unserer mündlichen Verabredung vom 12. Februar erkläre ich mich damit einverstanden, für den Monat Februar M. 800.‒ und für die folgenden 5 Monate incl. Juni monatlich M. 600.‒ von Ihnen zu erhalten, welche Summen zuerst mit den Honoraren für mein Bismarckdrama verrechnet werden sollen. Unterm 16. Februarvgl. Georg Müller an Wedekind, 16.2.1915. bestätigte ich Ihnen dieses Ihr Schreiben. Sie haben dann im Laufe der Monate von mir die Summe von M. 3800.‒ bekommen. Nun stellt sich die Verrechnung dieses Honorares von 3800 M folgendermaßen dar:
Abdruck im Neuen Merkur 70 Seiten a 15 M     M. 1050.‒
Buchausgabe 2 Auflagen, Ladenpreis M. 2.50   M. 1000.‒
so daß also von den 3800 Mark noch eine Summe von 1715Schreibversehen, statt: 1750. Mark zu verrechnen wäre. Da weitere Neuauflagen nicht zu verrechnen sind und wohl auch in nächster Zeit sich nicht als notwendig erweisen dürften, da ich zu Ihrem 50. Geburtstag so ziemlich von Ihren sämtlichen Werken Neudrucke veranstaltet habe und diese bereits vollständig honorirt worden sind, so bleibt eben die Verrechnung nur auf die Gesammelten Werke 3. Auflage. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, daß ich, da ich Ihnen ja kürzlich noch den Betrag von 500 MMonatlich zu zahlende 500 Mark hat der Verleger dem Autor zuletzt versprochen [vgl. Georg Müller an Wedekind, 30.10.1915] und dürfte kürzlich die Zahlung für November 1915 geleistet haben. überwiesen habe, ein Guthaben von 2250 M Ihnen gegenüber habe.

Aber Sie wissen, daß ich stets bestrebt bin, Ihnen entgegenzukommen und auch immer Ihren Wünschen nach Möglichkeit Rechnung getragen habe und ich hätte Ihnen auch jetzt wieder eine größere Zahlung überwiesen, wenn nicht größere Zahlungen in den letzten Tagen ausgeblieben wären. Es läßt sich eben mit dem besten Willen nicht immer so disponieren wie man disponieren will. Ich bin nun bereit, mit Ihnen eine Vereinbarung zu treffen, wonach Sie auch in den nächsten Monaten eine des Näheren noch zu bestimmende Summe erhalten. Wir müssen uns aber dann einigen, in welcher Weise diese Summen verrechnet werden sollen. Ich übersende Ihnen zunächst in der Anlage einen Chek von 500 MMit dem aktuellen Scheck über 500 Mark war die oben genannte monatliche Zahlung für Dezember 1915 geleistet., so daß Sie dann 2750 Mark von mir erhalten haben. Es wird wohl am besten sein, wenn wir | uns über die weiterSchreibversehen, statt: weitere. Angelegenheit mündlich unterhaltenWedekind sprach am 17.12.1915 mit Georg Müller und anschließend mit dem Rechtsanwalt Siegfried Adler über die Angelegenheit: „Unterredung mit Müller über Auszahlung der III Auflage Ges. Werke. Unterredung mit Adler.“ [Tb]. Ich sehe Ihrem freundlichen Bescheid entgegen und zeichne
als Ihr sehr ergebener
Georg Müller

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Maschinenschrift.
Schreibwerkzeuge:
Schreibmaschine.
Schriftträger:
Papier. Durchschlag. 22,5 x 28,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Brief enthält an einer Stelle eine handschriftliche Unterstreichung (im Durchschlag, hier wiedergegeben) und ist von Georg Müller mit Tinte handschriftlich korrigiert und unterzeichnet (im Durchschlag). Die Seiten 3 und 5 sind mit paginierten Kopfzeilen versehen (anders als der Durchschlag dürften die Blätter des originalen Briefs beidseitig beschrieben gewesen sein): Kopfzeile Seite 3 (ursprünglich Rückseite von originalem Blatt 2) ist paginiert „2“, Kopfzeile Seite 5 (ursprünglich Rückseite von originalem Blatt 3) ist paginiert „3“; die Kopfzeilen enthalten neben dem Datum „11.12.15“ den Betreff „Herrn Wedekind.“ Die zweite Hälfte des ersten Absatzes auf Seite 1 ist von unbekannter Hand mit Buntstift angestrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der Schreibort ist durch den Sitz des Georg Müller Verlags in München belegt.

  • Schreibort

    München
    11. Dezember 1915 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 115
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Georg Müller an Frank Wedekind, 11.12.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.06.2024 13:01