Kennung: 129

Zürich, 1. Mai 1908 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Mein lieber Frank!

Beiliegend den EmpfangsscheinDer beigelegte Empfangsschein ist nicht überliefert. Frank Wedekind hat offenbar Honorarzahlungen bei dem Neurologen Prof. Dr. Constantin von Monakow, dem behandelnden Arzt von Donald Wedekind, übernommen. für Frs 30.– Honorar an Herrn Prof. v. M. und meinem besten Dank für Deine letzte SendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu einer Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 5.3.1908.. Mit dem ersten Mai hat meine Geschäftsverbindung mit der Off. VerkehrskommissionDas „Offizielle Verkehrsbureau Zürich“ und die „Verkehrskommission“ befanden sich im „Parterre I, Stadthausquai 1“ [Adreßbuch der Stadt Zürich 1908, Teil I, S. 450] und gehörten zum Verkehrsverein Zürich. Sie gaben das wöchentlich erscheinende „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatts“ heraus, bei dem Donald Wedekind als Redakteur fest angestellt gewesen war. Anlässlich seines Todes meldete die Presse: „Er lebte bis vor wenigen Wochen in Zürich und redigierte hier seit 1906 das Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt, aus dessen Redaktion er am 1. Mai dieses Jahres ausschied.“ [Neue Zürcher Nachrichten, Nr. 154, 9.6.1908, Abendblatt, S. (2)] lt. Kündigung vom 1. Jan.Das Kündigungsschreiben seiner Stelle beim „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatts“ hatte Donald Wedekind seinerzeit an seinen Bruder geschickt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 25.1.1908]. aufgehört und wenn ich auch vermutlich am Fremdenblatt mitzuarbeiten nicht aufhören werde, so bin ich doch jedenfalls ohne | feste Subsistenz. Meine eifrigsten Bemühungen einen Ersatz zu schaffen, waren bis heute erfolglos. Ich bin deshalb den Sommer über auf Deine und der Übrigen mir Nahestehenden Hilfe angewiesen und mache Dir als demjenigen, der am meisten Verständnis für meine Lage haben dürfte, folgenden Vorschlag. Da mir hier in Zürich immerhin noch am meisten Erwerbsquellen offen stehen, so bleibe ich einstweilen den Sommer über hier. Ich habe oben am Zürichberg ein Zimmer gefunden, das bescheidenen | Ansprüchen an Ruhe und Comfort genügt und wo mein nervöser Zustand die letzten Wochen, die ich dort schon wohne, sich erheblich besserte. Ich betone das, weil es als ein Glückszufall zu betrachten ist, indem Dr. v. Monakow ungefähr als Hauptresultat seiner Untersuchungen feststellte, daß eine Besserung meines Zustandes wohl zum Großteil von einer selbstständigen Wohnweise abhänge. Doch so, wie ich es nun getroffen habe, ist es leidlich und wenn nur me/e/in Unterhalt/Mini/mum meines Unterhaltes für etwa sechs Monate sicher | wäre, so glaube ich wohl, daß ich diesen Sommer recht nützlich verwenden könnte. Kannst Du mir bis 1. November monatlich 120 Mark zukommen lassen, vielleicht trägt Mieze ihr Scherflein bei, wenn Dir der Betrag zu Deinen Verhältnissen nicht in Proportion zu stehen scheint, was ich ja natürlich bei der völligen Unkenntnis Deiner Lage nicht zu beurteilen vermag. Um das Eine möchte ich Dich aber noch im Besonderen bitten, ziehe, so Du etwas tun kannst und zu tun gesonnen bist, als Zwischenmann nicht et|wa Armin herbei, denn ich stehe zu ihm, es ist ja das der ganz analoge Fall, genauso zu ihm wie/wie/ Du zur Zeit Deines Zürcher AufenthaltesFrank Wedekind hielt sich – nach seiner Zeit bei der Firma Maggi in Kemptthal von November 1886 bis Sommer 1887 – zuletzt von November 1895 bis März 1896 und im November und Dezember 1898 längere Zeit in Zürich auf. Im erstgenannten Zeitraum war er bei seinem Bruder Donald und seiner Schwester Erika verschuldet und benötigte weitere Unterstützung. Vor allem das Verhältnis zu Erika Wedekind war deswegen sehr angespannt, nicht jedoch das zu seinem Bruder Armin [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 22.12.1895]. und Geld, das ich aus seinen Händen zu empfangen hätte, würde für mich zu Steinen. Du begreifst mich gewiß, wenn nicht eine Zeit, wie sie Dir jetzt hold ist, trübe Erinnerungen aus der Vergangenheit nicht/heit/ gänzlich verwischt hat. Ich lebe übrigens schon seit vier Wochen ausschließlich von zufälligen Erträgnissen, ich gab hier in Zürich eine recht zahlreich besuchte VorlesungDonald Wedekind war am 5.4.1908 im Programm des Cabarets Waldvogel im populär-wissenschaftlichen Theater Universum im Züricher Wohn- und Geschäftshaus Utoschloss am Utoquai [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1908, Teil I, S. 447] aufgetreten: „Dem Cabaret Waldvogel, das Sonntag abend sein erstes, zirka eine Woche dauerndes Gastspiel im ‚Universum‘ beendigte, brachte die letzte Vorstellung ein total ausverkauftes Haus. Im Mittelpunkt des Interesses stand der Sänger und Rezitator Robert Koppel […] Das Debut der Ueberbrettl-Soubrette Lona Barré, die einige unbedeutende Chansons vortrug, ging ohne sonderliche Aufregung vorüber, ebenso die Vorlesungen Donald Wedekinds, der ein Stück, betitelt ‚Der Student‘, aus seinem Novellenbuch ‚Bébé Rose‘, sowie ein Stimmungsbild ‚Das Haus im Walde‘ vortrug. Donald Wedekind teilt das Geschick mit den meisten seiner Kollegen, nicht wirkungsvoll vorlesen zu können und durch monotones Heruntersagen der Zeilen die beste Sache zu schädigen. ‚Der Student‘ ist eine amusante, mit viel Witz geschriebene Skizze und ‚Das Haus im Walde‘ eine feinpoetische Milieuschilderung, die bei der Lektüre sicherlich jedem großen Genuß bereiten wird, während sie zum Vortrag in einem Cabaret, noch dazu vor einem bunt zusammengeworfenen Sonntagspublikum als gänzlich ungeeignet gelten muß.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 129, Nr. 98, 7.4.1908, 2. Abendblatt, S. (2)], e|benso in Lenzburgnicht ermittelt., ich wollte Dich aber nicht vor dem 1. Mai mit neuen Anliegen behelligen, da ich Dir versprochen hatte, bis dahin auszukommen. Noch ist nicht ausgeschlossen, daß ich in nächster Zeit als Schriftleiter gewisser Verkehrs- und Industrieinteressen nach Baden berufen werde, aber einstweilen bleibt mir nichts Anderes übrig als die unfreiwillige Muße zur Verarbeitung meiner eigensten IdeeenSchreibversehen, statt: Ideen. zu verwenden, und dazu/m/it das in fruchtbringender Weise geschehe, bedarf ich Deiner, respektive Miezes | Unterstützung.

Damit bin ich für heute, Dich und Deine Frau und Dein Kind herzlich grüßend, Dein treuer Bruder
Donald


Zürich, Bolleystraße 41.
am 1. Mai 1908

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Frank Wedekind hat mit Bleistift auf Seite 1 oben rechts das Datum „1.5.8“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Donald Wedekind war vermutlich nicht darüber unterrichtet, dass Frank Wedekind am 13.4.1908 aus Berlin abgereist war und sich in Wien aufhielt [vgl. Tb], so dass er seinen Brief nach Berlin adressiert haben dürfte.

  • Schreibort

    Zürich
    1. Mai 1908 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    Zürich
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 304
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Donald (Doda) Wedekind an Frank Wedekind, 1.5.1908. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

17.01.2024 14:59