Ich will Euch hier in diesen
Zeilen danken – wofür weiss ich selbst nicht – aber ich fühle ein drückendes
Schuldbewußtsein Euch beiden gegenüber. Ich habe noch
nie zwei Menschen so lieb gehabt und noch nie habe ich mich so sehr nach
Jemandem gesehnt und doch bin ich in Eurer Gegenwart so furchtbar unglücklich, Ihr
könnt Euch keinen Begriff machen von meinen
Qualen, Alles was ich schon gelitten habe muß ich noch einmal leiden und weiß
doch nicht weshalb! Erst durch Euch fühle ich so ganz wie Elend ich bin, wie
mein ganzes Leben verpfuscht | ist, von Grund auf. Ich war ja noch nicht eine
einzige Stunde im Leben glücklich, ich habe noch nicht einen Hauch gefühlt von dem Glück daßSchreibversehen, statt: das. Ihr da jede Minute durchkostet.
Menschen, die so reich sind wie Ihr, können es wol kaum fassen wie weh es mir
immer tut, wenn Leute lachen, wenn man
froh ist um mich herum. Und dann die Nächte,
wie ich da einsam bin. Zum Beispiel jetzt! Ihr seid fort, ich mußte noch einen
Augenblick unten bleiben, bei den Leuten die ein Teil meines Körpers sind, u
die mir so fremd sind, so abstoßend kalt, für die | Stunden die Ihr mir heute
geschenktin der Nacht vom 10. auf den 11.12.1905. Wedekind hielt am 10.12.1905 fest (die Namen von Ida Orloff und Tilly Newes in hebräischen Buchstaben notiert): „Abends mit Tilli in der Wildente“ – Ida Orloff stand in Henrik Ibsens Drama „Die Wildente“ am Berliner Lessingtheater auf der Bühne – „dann mit Ihr und Iduschka Orlow in der Traube. [Iduschka] und [Tilly] kommen zu mir ich liebe [Tilly] vor [Iduschka]. [Tilly] läßt sich von mir mit der Reitgerte schlagen. Ich bringe [Iduschka] nach Hause.“ [Tb] Gerhart Hauptmann, von Ida Orloff informiert, die mit ihm eine Liebesaffäre hatte, fasste das Geschehen so zusammen: „In trunkenem Zustand hat W[ede]k[ind] sie zur Zeugin seines Geschlechtsaktes mit seiner ‚Braut‘ gemacht. Hierbei wurde sie nackt ausgezogen.“ [Tb Hauptmann, 11.2.1906] Ida Orloff hatte am 5.1.1906 mit Gerhart Hauptmann über Wedekind gesprochen: „Gestern sprach ich mit ihr [...] über W[edekind]. Er sei ihr zu lustig. etc. Schliesslich gestand sie ihm ein ‚gutes Herz‘ zu. das quälte mich.“ [Tb Hauptmann, 6.1.1906] habe/t/ werde ich stets Euer Schuldner bleiben. Tut mir doch
noch etwas zu Liebe sagt mir, was soll ich tun um
glücklich zu werden? Ich will Euch blind gehorchen ohne zu überlegen, es geht
nicht mehr so weiter! Jetzt steht Dein junger Frühlingsflieder vor meinem Bett,
ich stehe auch im FrühlingIda Orloff war seinerzeit fast 17 Jahre alt. aber ich wurde schon in der Wurzel
welk, es nützt nichts wenn ich die keimenden Blüten auf meinen Körper lege, – sie
welken an mir! Ich sterbe an meiner Einsamkeit! Ich mache es nicht mehr lange,
ich fühle es und | doch hänge ich so sehr am
Leben ich will ihm alles was es nur geben kann abringen und doch stehe ich immer
mit leerem Herzen, verstoßen allein in der Welt. Mein Talent und TheaterglückIda Orloff, die in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ noch als Schauspielschülerin die Rolle der Kadéga di Santa Croce gespielt hatte, im Theaterzettel „Iduschka Orloff“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15], wurde von Otto Brahm, Direktor des Berliner Lessingtheaters, der im Publikum saß und beeindruckt von ihr war, nach Berlin engagiert [vgl. Leppmann 1989, S. 239] – ein Karrieresprung.
hat man mir nur gegeben damit ich meine Trostlosigkeit so ganz erfassen kann!
Ich gehe abseits vom Weg, beobachte die vorüber Eilenden und verkümmere dabei.
Wenn ich doch wenigstens die Versicherung hätte daß noch viele andere so elend
sind, aber alle haben lachende Augen und | jeder Mund küßt in die Welt! So muß
man sein wie Du, TillyIda Orloff war eine der „besten Freundinnen“ [Wedekind 1969, S. 40] von Tilly Newes., Lebenskünstler Frank ist manchmal geteilt aber doch
kann er genießen er ist im Stande nur das angenehme zu sehen wenn er will! Ihr
seid meine Heiligen und ich bete zu Euch, mir hilft kein Gott, so kniee ich vor Euch Menschen, ich flehe Euch an wirket
für mich! Wenn ich Euch vielleicht wie eine böse schleichende Krankheit
in Euer Glück trete, tragt es mir nicht | nach nur ansehen will ich
Euch, dann kann ich so erlösende Thränen weinen, und muß mich nicht wund
kratzen und schreien Nachts wenn ich vor Sehnsucht die Glieder verrenke wenn
ich mich an meinen Haaren aufhängen möchte und die Augen schließen muß damit
ich sie nicht auskratze. Aber ich weiß wenigstens was Schicksal ist und möchte
ja auch einen Gefährten. Allein nimmt die Reise kein Ende! – Seid mir | nicht
böse, schreibt mir daß Ihr es nicht seid und wann ich Euch wiedersehenIda Orloff beging mit Wedekind und Tilly Newes den Jahreswechsel, wie Wedekind am 31.12.1905 notierte: „Silvester. Den Abend verbringe ich mit Tilli bei Iduschka Orlov.“ [Tb] darf und
ob Ihr mich ein bisschen lieb habt?!
IdinkaIda Orloff hat ihre intimen Briefe an Gerhart Hauptmann mit diesem Namen unterschrieben, er wiederum hat sie so angesprochen, etwa am 13.4.1906: „Idinka! Idinka!“ [Hauptmann/Orloff 1969, S. 118] „Hauptmann nannte sie Idinka, sie selbst bevorzugte den Namen Iduschka“ [Leppmann 1989, S. 237] – so nannte sie Wedekind (siehe oben); sie „wurde allgemein ‚Iduschka‘ genannt“ [Wedekind 1969, S. 40].