Festung KönigsteinWedekind, verurteilt wegen Majestätsbeleidigung in der „Simplicissimus“-Affäre, saß nicht mehr im Gefängnis in Leipzig, sondern war zu Festungshaft begnadigt worden und verbrachte seit dem 21.9.1899 den Rest seiner Haftstrafe auf der Festung Königstein [vgl. KSA 1/II, S. 1710]., 2.XI.1899.
Herzliebster Freund,
Dir geht es also ausgezeichnet. Das freut mich. Und nun klagst Du schon über beginnendes Philisteriumdas spätere Berufsleben eines Studenten mit seinen Bindungen und Zwängen, hier wohl: Verbürgerlichung.. Bis das bei Dir anbricht, kannst Du doch wol noch einige hundert Jahre warten.
Hier oben ist ein Wetter wie im siebten Himmel, eine Ruhe wie im Paradies und eine Küche, wie man sie in München nicht leicht findet. Dazu Bier, Wein, Schnaps, kurz und gut alles was ein moderner Mensch zum Leben braucht, bis auf das ewig Weibliche und den Tabak. Der Genuß des ersteren ist streng verboten, wenn Du mir aber zur Befriedigung des anderen Gelüstes die Hand bieten wolltest, dann bitte ich Dich, inliegenden Zetteldie Beilage, nur durch den Erstdruck des Briefs überliefert (die anliegende Wunschliste an Rauchwaren). zu einem Tabakladen zu bringen, der französische Zigaretten führt. Ein solcher ist in der KaufingerstraßeDie Kaufingerstraße verbindet „in westnordwestlicher Richtung den Marienplatz mit der Neuhauserstraße.“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil II, S. 291] In der Neuhauserstraße, „die westliche Verlängerung der Kaufingerstraße bildend“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil II, S. 414], lagen die „Pschorrbräu-Bierhallen“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil II, S. 415] (Neuhauserstraße 11, Parterre). Nebenan (Neuhauserstraße 13, Parterre) befand sich das „Cigarrengeschäft“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil II, S. 415] von Ignaz Brüll [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil I, S. 69]. neben dem Pschorrbräu und ein anderer gegenüber dem Hoftheater, neben dem Café HoftheaterDas Cigarren- und Tabakgeschäft Ferdinand Groß (Inhaber: Hugo Groß, k.b. Hoflieferant) hatte dieselbe Adresse (Residenzstraße 12, Parterre) und lag insofern direkt neben dem „Restaurant zum Hoftheater“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil II, S. 481], dem Hoftheater-Restaurant, das zugleich ein Café war.. Wenn ich einmal mit einem der beiden in Verbindung bin, dann helfe ich mir schon selber.
Ich danke Dir für Deine freundlichen Anerbietungennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Hans Richard Weinhöppel, Stella Brokow an Wedekind, 1.11.1899. Stella Brokow dürfte dem vorliegenden Brief zufolge einige freundliche Zeilen (siehe unten) auf das verschollene Schreiben gesetzt haben.. Was Geld betrifft, steht es vor der Hand noch so gut mit mir, daß ich hoffe, mir einige, wenn auch nur kleine Ersparnisse zu machen. Ich danke dies in erster Linie Heine, der nach seiner Rückkehr nach MünchenThomas Theodor Heine, Zeichner des „Simplicissimus“ und wie Wedekind wegen Majestätsbeleidigung verurteilt (er hatte sich bereits am 2.11.1898 gestellt, war am 19.11.1898 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und dann zu Festungshaft begnadigt worden, die er am 29.3.1899 antrat), war bis zum 29.9.1899 (die letzten Tage in der Gesellschaft Wedekinds) auf der Festung Königstein inhaftiert [KSA 1/II, S. 1710]; er kehrte von dort nach München zurück und war nach wie vor für den „Simplicissimus“ tätig, wo er sich dafür einsetzte, dass Wedekind eine bis dahin verweigerte Zahlung endlich erhielt [vgl. Thomas Theodor Heine an Wedekind, 6. bis 9.10.1899]. meine Stellung zum Simpl.Wedekind, wegen der Strafverfolgung im Zuge der Majestätsbeleidigungsaffäre auf den „Simplicissimus“ und seinen Verleger Albert Langen nicht gut zu sprechen (und umgekehrt), hatte sein letztes Gedicht im „Simplicissimus“ am 14.3.1899 veröffentlicht [vgl. KSA 1/II, S. 2236], ein „vorläufiges Ende der Zusammenarbeit“ [KSA 1/II, S. 2238], die später sporadisch wieder aufgenommen wurde; er „lieferte [...] dem Blatt zwischen Oktober 1901 und März 1902 seine definitiv letzten fünf Gedichte“ [KSA 1/II, S. 2240]. wieder arrangirt hat.
Ueber die Klatschereiennicht ermittelt. von seiten des Simpl. über mich war ich wol unterrichtet. Ich habe den Leutenden Redakteuren des „Simplicissimus“ im Albert Langen Verlag. auch vor 4 Wochenam 5.10.1899. schon dringend gerathenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Albert Langen Verlag, 5.10.1899., ihre Aussagen zu widerrufen, ich mag nur jetzt den Mund noch nicht zu weit aufthun, da ich immer noch pecuniär abhängig bin. Die Thatsache ist die, daß sich A. Langen mir gegenüber als ein – – – – – – – – – – – – – –Auslassung des Herausgebers im Erstdruck des Briefs. benommen hat. Das steht bombenfest und ist durch die Aussageeine Erklärung des „Justizrat Wilhelm Rosenthal, ein Münchner Rechtsanwalt, der Langen seit Gründung des ‚Simplicissimus‘ in Rechtsfragen beriet“ [Abret 2005, S. 45]; er habe Wedekind erklärt, er habe als Justitiar der Zeitschrift 14 Tage vor der Veröffentlichung des dann inkriminierten Gedichts „Im heiligen Land“ (1898) im „Simplicissimus“ davor gewarnt, „dass das betreffende Gedicht voraussichtlich zu einer Confiscation führen würde“ [Wedekind an Bjørnstjerne Bjørnson, 28.9.1899]. seines eigenen Rechtsanwalts Rosenthal bewiesen, so daß ich es jeden Tag öffentlich erklären kann. Aber ich fange wie gesagt vor derhand noch keinen Streit an. Wenn ich nach München zurückkomme, werde ich die Leute eventuell bitten, eine Erklärung zu meinen Gunsten zu erlassen, sonst ziehe ich Langen den letzten Fußbreit Boden weg, den er noch unter den Füßen hat.
Aber verzeih, daß ich Dich wieder mit meinen Conflicten behellige. Ich möchte nur nicht, daß Du etwa an mir zweifelst oder irre wirst.
Sage Miß B.„die Amerikanerin Stella Brokow“ [KSA 4, S. 662], die spätere erste Ehefrau von Hans Richard Weinhöppel (Heirat im Juli 1900 in London). bitte, daß ich für die angenehmen freundlichen Wortevon Stella Brokow wohl als Nachschrift zu dem nicht überlieferten Schreiben Hans Richard Weinhöppels an Wedekind gerichtet (siehe oben). herzlich danke und mich darauf freue, ihr in München meine Huldigung zu Füßen legen zu dürfen.
Was die Stimmung in München über mich betrifft, so erhielt ich vor acht Tagenam 25.10.1899. eine Carte aus der American Barnicht überliefert (eine Postkarte oder Bildpostkarte); erschlossenes Korrespondenzstück Otto Erich Hartleben, Max Bernstein, Thomas Theodor Heine an Wedekind, 24.10.1899., mitten darauf, möglichst groß, Otto Erich Hartleben, darüber Heine, darunter Dr. Bernstein, dann noch einige langweilige Zöpfe und Zubehör. Der ganze Ausgang der Campagnehier im Sinne von: Feldzug. hängt für mich von meiner Arbeit die Arbeit an seinem Dramas „Ein gefallener Teufel“ [vgl. KSA 4, S. 413], das dann zu dem Stück „Marquis von Keith“ (1901) umgearbeitet wurde.ab. Wenn die das wird, was sie werden soll, dann will ich alles alles alles segnen. Wenn nicht, dann habe ich eben wieder ein Jahr verplempert und dann ist es ja gleichgültig auf welche Weise.
Sei herzlich gegrüßt und im Voraus bedankt. Mit den besten Wünschen für Dein Wohlergehen bleibe ich Dein getreuer
Frank.
10 Päckchen französisch Cigaretten Caporal Élégantes roseseine französische Zigarettenmarke aus schwerem, dunklem Tabak (= Caporal); die blaue Papiersorte entsprach normaler, die rote gehobener Qualität..
3 Pakete guten feingeschnittenen Varinas-Kanasterbesonders feiner Rauchtabak, der ursprünglich aus der Region Varinas in Bolivien importiert wurde. für kurze Pfeife.
2. Bündel Oesterreichische Virginiadünne Zigarre aus Virginia-Tabak, in Österreich lange unter Monopol der Österreichischen Tabakregie hergestellt und vertrieben..
bitte gegen Nachnahme zu senden an
Herrn Frank Wedekind,
Festungsgefangener
Festung Königstein
Sachsen.