Kennung: 107

Schöneberg, 11. Dezember 1904 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Donald (Doda)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Berlin-Schöneberg, d. 11. Dez 04
86. Hauptstraße


Lieber Frank!

Mein Buchvermutlich eine frühe Auslieferung von Donald Wedekinds auf das Jahr 1905 datierten Erzählungsband „Oh, mein Schweizerland! Novellen und Erinnerungen“ (in Berlin bei Lilienthal erschienen), den er ursprünglich im Bruno Cassirer Verlag unterbringen wollte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 15.8.1903] und den der Verlag an Frank Wedekind gesandt haben dürfte. Bereits im Frühjahr als Buch erschienen war die Kombination zweier älterer Novellensammlungen Donald Wedekinds in einem Band [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.4.1904]. wird in deine Hände gelangt seit/n/ und ich setze voraus, daß es dich wenigstens vom Standpunkt einer neuen Leistung aus gefreut haben wird. Die Kritik hat noch nicht viel darüber gesagt, aber ich denke das wird noch kommen. Ich hoffe nunmehr, bis im Frühjahr einen neuen RomanDas Projekt mit dem Titel „Berlin“ blieb Fragment [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.2.1908]. Ein weiterer Roman Donald Wedekinds nach dem 1903 publizierten „Ultra montes“ ist nicht erschienen. wenigstens | druckfertig zu haben und auf diese Weise die Vorwürfe von einer gewissen SeiteHier dürfte Donalds Bruder Armin Wedekind gemeint sein. zu entkräftigen, als lebte ich nur meinem Vergnügen.

Mieze war vor einigen TagenErika Wedekind trat am 8.12.1904 um 20 Uhr beim III. Elite-Konzert in der Berliner Philharmonie zusammen mit Rosa Olitzka, Francesco d’Andrade und Willy Burmester auf [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 33, Nr. 611, 1.12.1904, 3. Beiblatt, S. (2)]. hier und hat in der Philharmonie gesungen: sie war von dem unumgänglichen Monsieur PerréEugène Perré, Wein- und Champagnerhändler aus Neuilly-sur-Seine, der spätere Ehemann von Emilie (Mati) Wedekind, hatte am 22.11.1900 ein Warenzeichen in Berlin angemeldet und war am 23.5.1901 eingetragen worden: „Eugène Perré, Berlin, Hagelsbergerstr. 53/54.“ [Warenzeichenblatt. Hg. vom Deutschen Patentamt, Jg. 8 (1901), S. 478] aus Paris begleitet und man stritt sich darüber, ob ihr Singen oder sein Weinhandel das einträglichere | Geschäft sei. Da ihr die Gabe, Wünsche von den Gesichtern abzulesen, offenbar von jeher versagt geblieben war, so gestaltete sich unser Zusammensein zu einem Sport für mich, denn ich erhielt irgendwelche materielle Förderung nicht und hatte in dieser Hoffnung versäumt, in Gesellschaft eines aktiven Admiralsnicht identifiziert. zu speisen. Dafür machte mich aber Mieze zum Mitwisser der erbauli|lichenSchreibversehen (beim Seitenwechsel), statt: erbaulichen. Geschichtenicht ermittelt., die in der nächsten Verwandtschaft Oschwalds passirt ist, nachdem letzterer bei meinem kurzen Aufenthalt von vor drei oder vier Monaten in Dresden noch die liebenswürdige Bemerkung getan, er pfeife auf unsere, respektive Miezes Verwandtschaft. Nun sind das schließlich Dinge, die uns nicht zu kümmern brauchen, aber ich hatte doch den Eindruck, als ob Mieze unter der Sache | Schaden gelitten hätte und noch leide.

Vor einigen Wochen besuchte ich Karl Henckell, der immer noch dasselbe HeimKarl Henckell wohnte in Charlottenburg (Kantstraße 42, 2. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1903, Teil I, S. 639]. hier bewohnt. Ich mußte ihn in einer Verlagsangelegenheit sprechen und er gab mir verschiedene, ganz wertvolle Ratschläge. Übrigens fällt mir da ein, daß wenn du eine Gedichtsammlung hättest, mir verschiedene, ganz gute Verlagsfirmen hier zur Verfügung ständen | von denen ich die eine oder die andere wohl zu einem günstigen Abschluß bringen könnte; dieses natürlich nur, wenn du es selbst für opportun hältst und weil es mir soeben einfällt. Um was ich dich aber innigst bitten möchte und weshalb ich diese Zeilen eigentlich schreibe, ist, mir doch zu sagen, wie ich aus einer augenblicklichen Bedrängnis, in der ich mich durch den Mangel eines Zwanzigmarkstückes befinde, heraus | komme, ob du mir diese Summe schicken kannst oder ob du einen Rat weißt. Dabei bemerke ich, daß ich das Geld nicht zur Deckung meiner persönlichen Bedürfnisse (dieselbe überlasse ich schon seit Monaten der gütigen Vorsehung und würde, wenn ich meine rückständige Miete in Betracht ziehe, das Zehnfache der notwendigen/verlangten/ Summe ausmachen) brauche, sondern daß es ein ganz exceptioneller Fall ist, den ich unbedingt aus der Welt schaffen | muß. Und das geht eben nur durch das langentbehrte Wiedersehen mit jener lieblichen Münze. Hast du eine solche und kannst du mir eine solche schicken?

Mieze erzählte mir außerdem noch, daß Mati und Mamma zu Weihnachten nach Dresden gehen, daß Mati dann dram. UnterrichtEmilie (Mati) Wedekind hatte im Frühjahr 1904 beschlossen, Schauspielerin zu werden, und absolvierte verschiedene Auftritte im Sommertheater in Baden [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1904] –zum Entsetzen ihres Bruders Armin Wedekind, der dahinter Frank Wedekinds Einfluss vermutete, wie er der Schwester schrieb (undatiert): „Sollte mich das nicht im Innersten kränken, wenn ich sehe wie Du Dich in die Gesellschaft dieses Menschen begiebst der schon Donald zu Grunde gerichtet hat und der mit Donald zusammen den Ruhm geniesst, den Gipfel der Schweinelitteratur im deutschen Sprachgebiet zu repräsentiren. Wenn ich hören musst dass Du in München der Aufführung eines seiner Stücke beiwohnst, das nach der Aussage hiesiger Litteraturkenner das Schweinischste ist, was man auf der Bühne sehen kann. Es ist mir unbegreiflich wie Du dabei sein konntest, dass Du nicht davon gelaufen bist! Und nun soll ich ruhig zusehen, dass Du eine Laufbahn betrittst, die mehr als irgend eine andere geeignet ist Dich in den gleichen Sumpf zu ziehen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.05:102] Er riet ihr daher, wenigstens „1 – 2 Jahre vorbereitendes Studium“ zu absolvieren. Emilie (Mati) Wedekind schrieb ihm daraufhin am 12.8.1904: „Inzwischen haben sich nun auch meine Pläne geläutert. Letzten Samstag trat ich zum dritten mal auf als Mme de Brionne in Cyprienne. Dir. Heinrich vom Stadttheater in Heidelberg, der Vater der hiesigen und Würzburger ersten Liebhaberin war anwesend. Er fand, ich sei talentiert aber noch sehr ungeschickt und müsse eben aus dem Fundamente lernen. Er bot mir an nächsten Winter als Volontärin zu ihm nach Würzburg zu kommen. Ich erkundigte mich nach den näheren Umständen und erfuhr dabei, daß ich sämmtliche Costüme selber stellen muß. Da ich nun zu Anfang alles mögliche ganz Unbedeutende spielen müßte um erstmal die Bewegungen zu lernen, käme mich diese Praxis mindestens ebenso teuer wie ein Geregelter Privatunterricht den ich wohl am vorteilhaftesten in Dresden genießen könnte, da ich da auch gleich den unentgeltlichen Theaterbesuch hätte. So habe ich denn mit Heinrich nicht abgeschlossen sondern mich an Mieze gewandt. So werde ich denn voraussichtlich Mitte September nach Dresden verreisen um meine Studien dort aufzunehmen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.05:113] Das Vorhaben wurde nicht realisiert. nehmen will und des Anderen mehr. Und indem ich dich herzlich grüße und indem ich wenigstens eine möglichst imminentenahe bevorstehende, baldige. Antwort von dir erwarte, damit ich im Nichtfalle auf andere Mittel und Wege sinne, bin ich dein treuer Bruder
Donald

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 8 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Schöneberg
    11. Dezember 1904 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Schöneberg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 304
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Donald (Doda) Wedekind an Frank Wedekind, 11.12.1904. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (03.12.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

27.03.2024 17:22