Frkft a. M.
Fichardstr. 21Beate und Carl Heine wohnten nun in Frankfurt am Main (Fichardstraße 21, 2. Stock) [vgl. Adreßbuch für Frankfurt am Main 1907, Teil I, S. 129]..
II.
Mein lieber Freund ‒ es ist Ewigkeiten her, daß ich nichts von Ihnen gehört
habe, u. heute stehn Sie mir (durch einen besonderen Anlaß) so lebendig vor,
daß ich mich sofort an den Schreibtisch setze, um Ihnen einen Gruß zu senden.
Wir sahen uns das letzte MalBeate und Carl Heine hatten Theaterkarten für die Berliner Premiere von „Hidalla“ [vgl. Wedekind an Beate Heine, 14.9.1905], haben aber wahrscheinlich erst am 24.10.1905 die 25. Vorstellung von „Hidalla“ am Kleinen Theater in Berlin (Premiere: 26.9.1905) besucht und waren anschließend in größerer Gesellschaft mit Wedekind zusammen; er notierte: „25. Aufführung von Hidalla in Berlin. Ich gebe ein Banket im Restaurant Astoria. Nachher geht die ganze Gesellschaft zu Stallmann. Es wird viel gesungen. Dr. Heine.“ [Tb] in Hidallah, aber so auskömmlich gesprochen, wie
früher, haben wir uns natürlich nicht. Und so kommt’s, daß ich garnicht recht
Bescheid weiß ‒ wie Sie leben,
wo Sie fest engagirt sind ‒ wo Ihr
Domizil ist ‒ u. vor
Allem ‒ wie es Ihnen als jungem
Ehemanne ergeht u. zu Muthe ist. Als ich von Ihrer Heirath zuerst hörte, habe
ich’s nicht geglaubt ‒ erst als
ich Ihr gemeinsames Bild in der WocheDas Foto von Frank und Tilly Wedekind (Heirat: 1.5.1906) in der Berliner Illustrierten „Die Woche“ zeigt das frisch verheiratete Ehepaar an einem gedeckten Kaffeetisch sitzend (sie schenkt ihm eine Tasse Kaffee ein); Bildunterschrift: „Frank Wedekind als Ehemann: Der Dichter und Schauspieler mit seiner jungen Frau (Tilly Niemann-Newes).“ [Die Woche. Moderne illustrierte Zeitschrift, Jg. 8, Nr. 18, 5.5.1906, S. 772] Im selben Heft ist (mit irrtümlicher Seitenangabe) auf das Foto hingewiesen: „Frank Wedekind (Abb. S. 771) wird als Schauspieler fast noch mehr wie als Dichter angegriffen, aber niemand wird ihm bestreiten, daß er eine interessante Persönlichkeit ist. Der Künstler hat sich dieser Tage in Berlin mit Tilly Niemann-Newes vermählt.“ [Die Woche, Jg. 8, Nr. 18, 5.5.1906, S. 764] sah ‒ da habe ich das merkwürdige Faktum als Wahrheit ansehen gelernt. Ihre
Frau ist bild|hübsch u. sieht sehr liebreizend aus nach meinem Geschmack ‒ aber Sie können sich wohl denken, daß ich gern
noch mehr von ihr wüßte ‒ u. der
Zweck dieses Briefs ist eigentlich nur ‒ Sie zu bitten, mir einmal wieder zu schreiben ‒ es ist doch schade, wenn man sich so ganz
verliert u. Sie glauben nicht, wie oft wir Ihrer denken u. von Ihnen sprechen.
Für uns sind auch wichtige VeränderungenCarl Heine, seit 1901 Regisseur am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg (Direktion: Alfred von Berger), wechselte 1906 zum Schauspielhaus in Frankfurt am Main (Intendant: Emil Claar), wo er als Oberregisseur und Dramaturg tätig war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 400]. eingetreten. In Hamburg ging’s für
Carl nicht mehr. Berger war so eifersüchtig, daß er ihm schließlich kaum noch
etwas Anständiges, d.h. Lohnendes zum Inszeniren gab. Der „Brand“ war wohl im
letzten Jahre das EinzigeHenrik Ibsens Drama „Brand“ (1866) hatte unter der Regie von Carl Heine am 21.3.1906 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Premiere. Bald darauf meldete die Presse: „Dr. Carl Heine, der ausgezeichnete Regisseur des Deutschen Schauspielhauses, ist zum Oberregisseur des Schauspielhauses in Frankfurt a.M. erwählt worden und verläßt mit Ablauf dieser Saison Hamburg. Hamburgs Kunstleben erleidet dadurch einen herben Verlust.“ [Altonaer Nachrichten, Jg. 56, Nr. 173, 12.4.1906, Abend-Ausgabe, S. (7)]. Ich sah, wie unglücklich sich Carl fühlte, die
besten Schauspieler waren auch fort ‒ u. so kam uns die Frankfurter Sache sehr gelegen.
Zwar, es war uns trotz Allem nicht leicht, von Hamburg fortzugehn. Wir hatten
dort sehr gute Freunde, u. Kritik u. Publikum war so für | meinen Mann
eingenommen, daß man das doch nicht so ganz leichten Sinnes aufgab. Indessen ‒ wir gaben es auf u. sind seit August
hier. September begann Carls Thätigkeit. Welchen Schlendrian er hier fand, das ist unbeschreiblich. Aber es scheint,
daß man ihm seine Reformen dankt ‒ der
IntendantEmil Claar, Intendant des Schauspielhauses in Frankfurt am Main [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 400]. ist reizend zu ihm u. das Personal folgt ihm mit Freuden, er hat ‒ für die kurze Zeit, ‒ schon viel Gutes geschaffen, u. wir hören aus
dem Publikum, wie sehr man Carls Hand fühlt u. wie man seine Thätigkeit zu
würdigen versteht. So kann ich eigentlich sagen, daß Carl sich sehr
glücklich in seiner Stellung fühlt ‒ nur die Presse enttäuscht uns, sie ist entsetzlich lauwarm u.
unfreundlich. Aber ‒ das soll
hier Usus sein. Wir müssen eben Geduld haben. Sehr glücklich waren wir über das
Klima ‒ der schwere hamburgische
Himmel drückte auf die Stimmung u. man war immer erkältet ‒ | hier ist man viel heiterer. Von den
Frankfurtern selbst weiß ich noch nicht viel, wir leben noch recht still. ‒ Was haben Sie denn voriges Jahr zu dem großen
Erfolge meines WeihnachtsmährchensDie erfolgreiche Uraufführung des Weihnachtsmärchens „Prinzessin Tausendschön“ (Verfasserin: Beate Heine, Pseudonym: Charlotte Graef) fand am 9.12.1905 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg statt [vgl. Hamburger Echo, Jg. 19, Nr. 287, 8.12.1905, S. (8)]; ihr folgten weitere Vorstellungen, wie die Presse meldete: „Das sensationell ausgestattete neue Weihnachtsmärchen ‚Prinzessin Tausendschön‘ geht allabendlich in Szene. Die bisherigen zwei Aufführungen desselben fanden stürmischen Beifall.“ [Deutsches Schauspielhaus. In: Hamburger Fremden-Blatt, Jg. 77, Nr. 291, 12.12.1905, 2. Beilage, S. (2)]. gesagt? Ich sage Ihnen, das war eine große,
große Freude für mich ‒ ich hatte es unter falschem Namenunter dem Pseudonym Charlotte Graef; die Presse meldete, „daß sich als Verfasserin der Weihnachtsmärchen- Novität ‚Prinzessin Tausendschön‘ hinter dem Pseudonym Charlotte Graef eine Dame aus der Hamburger Gesellschaft verbirgt ‒: Frau Beate Heine, die Gattin des bekannten Schauspielhaus Regisseurs. Was anfänglich als strenges Geheimnis gehütet wurde, ist gegen den Willen der Verfasserin durch Indiskretion bekannt geworden.“ [Neue Hamburger Zeitung, Jg. 10, Nr. 580, 11.12.1905, Abend-Ausgabe, 1. Beilage, S. (1)] v. Berlin
eingereicht, es wurde einstimmig gewählt, u. erst 5 Tage vorher erfuhr
man, daß ich die Attentäterin war ‒ Tableau!(frz.) Bild; Ausruf des Erstaunens, der Überraschung, der Verblüffung. Es ist 25 Mal gegeben, 2000
TextbücherBeate Heines Kinderstück „Prinzessin Tausendschön“ (1905) ist nicht im Buchhandel erschienen, sondern lediglich als Bühnenmanuskript reproduziert worden. sind davon verkauft ‒ u.
sämmtliche Kritiken waren ideal! Wie stehe ich nun da?? Uebermorgenam 14.12.1906, an dem nicht nur die Premiere von Beate Heines Märchenstück „Prinzessin Tausendschön“ (1905) im Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater in Mannheim (Intendant: Carl Hagemann) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 496] stattfand (Beginn: 19 Uhr, Ende gegen 21.30 Uhr): „Freitag, den 14. Dezember 1906. [...] Zum ersten Male: Prinzessin Tausendschön. Weihnachtsmärchen in 6 Bildern von Beate Heine. Musik von Carl Krüger. In Szene gesetzt von Karl Neumann-Hobitz“ [General-Anzeiger der Stadt Mannheim, Nr. 582, 14.12.1906, 2. Mittagblatt, S. 4], sondern auch die Premiere im Stadttheater in Köln (Direktion: Max Martersteig) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 353] und zwar im Alten Stadttheater (Beginn: 19 Uhr, Ende gegen 22 Uhr): „Zum ersten Male: Prinzessin Tausendschön. Weihnachtsmärchen in 6 Bildern von Beate Heine. Musik von Karl Krüger. [...] Inszeniert von Max Reitz.“ [Kölner Local-Anzeiger, Jg. 20, Nr. 341, 13.12.1906, S. 3; vgl. Kölnische Zeitung, Nr. 1330, 14.12.1906, 1. Morgen-Ausgabe, S. (4)] wird’s
inSchreibversehen, statt: im. Mannheimer Hoftheater u. am selben Tage im Cölner Stadttheater zum 1sten Mal
aufgeführt. Schrieb Ihnen Carl, daß er Ihr: „So ist das Leben“ bringen willCarl Heine inszenierte „König Nicolo oder So ist das Leben“ am Schauspielhaus in Frankfurt am Main, Premiere war am 5.3.1907: „Zum ersten Male: So ist das Leben. Schauspiel in 5 Akten von Frank Wedekind.“ [Almanach des Frankfurter Opernhauses und Schauspielhauses 1908, S. 105] Wedekind in Berlin notierte am 5.3.1907: „Aufführung von ‚So ist das Leben‘ in Frankfurt a.M.“ [Tb] Weitere Vorstellungen fanden am 8. und 10.3.1907 sowie am 18.3.1907 statt. Carl Heine inszenierte am Schauspielhaus in Frankfurt am Main auch „Erdgeist“ (Premiere: 24.8.1907; danach noch sieben weitere Vorstellungen vom 25.8.1907 bis 26.9.1907).?
Dazu müssen Sie herkommen ‒ u. dann wollen wir mal in alter Art plaudern. Wir haben uns sehr über „Frühlings-Erwachen“
gefreutüber den großen Erfolg von Max Reinhardts Inszenierung von „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ (1891), am 20.11.1906 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zu Berlin uraufgeführt. ‒ wie war die Aufführung? Und
nun für heut addio. Nicht wahr, Sie schreiben mir bald malWedekind sah Beate und Carl Heine bald im neuen Jahr in Berlin, am 13.1.1907, wie er festhielt: „Heines [...] kommen zum Kaffée. Abends mit Heines bei Töpfer“ [Tb]. ‒ Carl grüßt Sie mit mir herzlich u. ich bin, in
stets gleicher Freundschaft
Ihre
Beate Heine.
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Grad gedreht:]
Wenn Ihre Frau Gemahlin etwas von mir weiß, empfehlen Sie
mich Ihr bitte, freundlichst.