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Kennung: 979

München, 21. Mai 1901 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Heine, Beate

Inhalt

München, 21.V.1901.


Meine liebe verehrte Freundin!

Ich freue mich unendlich, Sie und Ihren lieben Mann wieder an einem Ort der Erholungnicht ermittelt. und der Ruhe zu wissenHinweis auf einen nicht überlieferten Brief [vgl. Wedekind an Carl Heine, 7.8.1901]; erschlossenes Korrespondenzstück: Beate Heine an Wedekind, 20.5.1901. Beate Heine hat Wedekind von den beruflichen Anstrengungen ihres Mannes und der Erholung danach berichtet.. Noch vor einigen Wochen las ich von Gastspielen des Dr. Heine Ensembles, wenn ich mich recht erinnere in EssenCarl Heine gastierte während seiner letzten Tournee mit seinem Ensemble (unter den Schauspielern inzwischen Leopold Jessner) am Stadttheater in Essen zunächst am 13.3.1901: „Mittwoch gastiert in unserem Stadttheater das [...] bekannte Dr. Heine-Ensemble. [...] Das Ensemble des Herrn Dr. Heine genießt hier einen vorzüglichen künstlerischen Ruf“ [Essener Volks-Zeitung, Jg. 34, Nr. 59, 12.3.1901, S. (2)]; angezeigt war: „Stadt-Theater Essen. Direktion: Hans Gelling. [...] Mittwoch, den 13. März [...] Einmaliges Gastspiel des Dr. Heine-Ensemble. Ueber unsere Kraft. Schauspiel von Björnson.“ [Essener Volks-Zeitung, Jg. 34, Nr. 60, 13.3.1901, S. (4)] Ein weiteres Gastspiel am Stadttheater in Essen fand am 2.4.1901 statt, wie angezeigt war: „Dienstag, den 2. April [...]. Einmaliges Gastspiel des Dr. Heine-Ensemble. Gespenster. Schauspiel von Ibsen.“ [Essener Volks-Zeitung, Jg. 34, Nr. 76, 2.4.1901, S. (2)] an der Ruhr. Jedenfalls wird es Herrn Doktor angenehm sein, wenn er das schlechte Sommergeschäft nicht zu machen braucht und dafür Gelegenheit hat, sich auszuruhen und frische Kräfte zu sammeln. Was mich anbetrifft, so bin ich seit einem halben Jahre fortwährend auf dem Sprung, nach Berlin zu fahren, ohne daß jemals Ernst daraus wird. Jetzt steht das dortige Meßthaler GastspielEmil Meßthaler, Direktor des Intimen Theaters in Nürnberg, gastierte vom 15.6.1901 bis 15.8.1901 als Direktor am Neuen Theater in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 461], wo „Marquis von Keith“ uraufgeführt werden sollte; der Plan zerschlug sich., ich weiß nicht mehr in welchem Theater, vor der Thür, wobei mein Marquis v. Keith das Lampenlicht erblicken soll. Jetzt werde ich nun Berlin wol wiedersehen, vorausgesetzt, daß nicht wieder was dazwischen kommt. Vor drei Jahren um diese Zeit saßen wir bei ziemlich trübem Wetter in StettinStettin war im Frühjahr 1898 eine Station der Tournee des Ibsen-Theaters von Carl Heine, dessen Ensemblemitglied Wedekind war. und führten Nora auf; heute singe ich im hiesigen Ueberbrettldie Elf Scharfrichter in München, deren eigentliche Eröffnungsvorstellung am 12.4.1901 stattfand – „Mit der Ehrenexekution des gestrigen Abends hat das sogenannte ‚Ueberbrettl‘ auch in München seinen Einzug gehalten“ [Die elf Scharfrichter. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 104, Nr. 102, 13.4.1901, Abendblatt, S. 1] – und deren offizielle Eröffnungsvorstellung am 13.4.1901 Wedekind besucht hat [vgl. Wedekind an Bertha Doepler, 14.4.1901]. Wedekind war Mitglied der Elf Scharfrichter und trat dann regelmäßig mit seinen Liedern auf: „Das bisher schon so reichhaltige Programm hat durch Anreihung eines ‚inoffiziellen‘ Theiles eine schätzenswerthe Bereicherung erfahren. [...] Wedekind – er gab uns einige echte Wedekinds. Seine ‚Brigitte B.‘ und die ‚Sieben Rappen‘ sind in der Form so vollendet gehalten, daß man es hinnehmen kann, daß der Inhalt ‚jenseits von Dezent und Indezent‘ liegt. Dabei verfügt Herr Wedekind über eine bewunderungswürdige Ruhe im Vortrage, eine Ruhe, die selbst ängstlichen und prüden Gemüthern über etwaige Gewissensbisse leicht hinweghilft.“ [Die Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 195, 26.4.1901, Morgenblatt, S. 3] Inzwischen stand ein neues Programm an: „Die letzte Vorstellung des laufenden Programms findet Mittwoch, 22. Mai statt. [...] Dieses gelangt gleich nach Pfingsten zur ersten Aufführung und wird [...] enthalten [...] neue Solovorträge von [...] Frank Wedekind“ [Die elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 234, 21.5.1901, Vorabendblatt, S. 4]. meine Gedichte und Compositionen und schlage die Guitarre dazu. O quae mutatio rerum(lat.) Oh, dass sich die Dinge ändern.! Unser hiesiges Ueberbrettl ist nach dem allgemeinen Urtheil um vieles geschmackvoller und künstlerischer als das WolzogenscheErnst von Wolzogens Buntes Theater (Überbrettl), das am 18.1.1901 in Berlin eröffnet wurde [vgl. Budzinski/Hippen 1996, S. 437]. in Berlin. In Berlin schießen diese Institute jetzt aber wie die Pilze aus dem Boden. Sämmtliche Nummern und Productionen der hiesigen Scharfrichter sind für den kommenden Winter schon für Berlin gewonnen; und täglich kommen neue Anerbietungen und Werbungen von Berlin. Ich glaube, es wird dort über kurz oder lang eine schwere Krisis über diesen ganzen Plunder hereinbrechen. Aehnlich scheinen die Verhältnisse gegenwärtig in DarmstadtWährend Ernst von Wolzogen mit seinem Bunten Theater (Überbrettl) bereits im Rahmen der am 15.5.1901 eröffneten ersten Ausstellung der Künstlerkolonie in Darmstadt gastierte, traten die Elf Scharfrichter erst vom 26. bis 30.7.1901 dort auf, im Spielhaus der Künstlerkolonie; über den Premierenabend wurde berichtet: „Im Spielhaus begannen gestern abend die ‚Elf Scharfrichter‘ aus München ein auf drei Abende vorgesehenes Gastspiel. [...] Herr Frank Wedekind würde sein Publikum zu Dank verpflichten, wenn er künftig die [...] Balladen, die sich durch eine tadelnswerte Rücksichtslosigkeit gegen das Schicklichkeitsgefühl auszeichnen, aus der Liste seiner Darbietungen für Darmstadt streichen würde.“ [Darmstädter Zeitung, Jg. 125, Nr. 348, 27.7.1901, Nachmittags-Blatt, S. 1497] Das Gastspiel in Darmstadt wurde verlängert und anschließend in Kreuznach und Ems fortgesetzt. zu liegen, wo das erste Programm schon mit Pauken und Trompeten ins Wasser gefallen ist. Vorgestern war ein Mannnicht identifiziert. hier, um Productionen für den Monat August zusammenzusuchen, und zwar das allerexzentrischste. Ich habe ihm meine Kaiserin von Neufundland mitgegeben. Jetzt wird sie dem GroßherzogErnst Ludwig von Hessen hatte die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt 1899 initiiert. zur Begutachtung vorgelegt. Nimmt mich Wunder, was daraus wird. Diesen Frühling, als die ersten schönen Tage kamen, begann ich wieder einmal an einem Stück„Blanka Burkhart“ [vgl. KSA 4, S. 317-319] blieb Fragment. zu schreiben; ich habe die Arbeit aber bald wieder beiseite gelegt. Ich weiß augenblicklich nicht, nach welcher Richtung ich mich wenden soll; ich muß erst wissen, wie der Marquis von Keith aufgenommen wird, um mir darüber klar zu sein, ob ich einen Schritt vorwärts gehen darf oder noch einmal zurückdämmen muß. So beschäftige ich mich denn hauptsächlich damit, für meine Gedichte aus der „Fürstin Russalka“ Melodien zu finden, die ich selber harmonisire so gut ich das eben kann. Es ist keine übermäßig anstrengende Arbeit. Daneben sorgt Max Halbe ununterbrochen für die nöthige UnterhaltungAnspielung auf Max Halbes Unterströmung [vgl. Gräbner/Lauinger 2021, S. 536f.] – „Der Geselligkeit diente Max Halbes zur Kegelbahn gewordene ‚Unterströmung‘“ [Kutscher 2, S. 74] – und auf die „kleine Tafelrunde, zu der Wedekind, Graf Keyserling, Halbe [...] gehörten. [...] Oft, wenn wir, Wedekind, Martens und ich, nachts den Heimweg antraten, und Keyserling [...] einen Wagen bestieg und seine Zigarette zwischen den dünnen Lippen, mit seitwärts und uns Fußgängern abgewandtem Gesicht in dem nächtlichen Einspänner vorbeifuhr, sagten wir uns: ‚Seht ihr – das ist der innere Zusammenhang!‘“ [Holitscher 1924, S. 192] ; immer muß etwas los sein. Der Wahlspruch dieser Gesellschaft, in der der Graf KeyserlingMax Halbes Freund Eduard von Keyserling, dessen Stück „Ein Frühlingsopfer“ (1900) am 23.8.1900 am Münchner Schauspielhaus Premiere gehabt hatte, nachdem es am 12.11.1899 im Berliner Lessingtheater durch die Freie Bühne öffentlich uraufgeführt worden war, zählte wie Max Halbe zu Wedekinds engerem Münchner Freundeskreis. „Näher standen ihm – außer Weinhöppel – wohl nur Halbe und Keyserling. Es verging keine Münchner Woche, in der er nicht wenigstens 3–4mal mit diesen zusammenkam in harmloser, genußfroher Stunde.“ [Kutscher 2, S. 74], der Verfasser von Frühlingsopfer, eine führende Rolle spielt, lautet: Man muß die Feste feiern wie sie fallen, und da so ziemlich auf jeden Tag ein Fest fällt, kommt man nur mit größter Mühe einmal aus dem Feiern heraus. Uebrigens würden Sie sich meiner Ueberzeugung nach unendlich wohl unter diesen Leuten fühlen. Vielleicht überlegt Carl sich die Frage, ob es nicht vielleicht geschäftlich von Vortheil wäre, auf einige Wochen nach München zu kommen. München ist, nächst dem Westen Berlins, um diese Zeit entschieden die schönste Stadt Deutschlands. Das wäre herrlich, wenn wir hier in dieser behaglichen Münchener Stimmung die Abende zusammen auf den Kellernin den Biergärten. verbringen könnten. Ich lege mein Bildnicht überliefert (ein wohl aktuelles Foto Wedekinds). bei, nicht aus Eitelkeit, es ist das erste und einzige seit zehn Jahren; aber ich möchte um alles nicht, daß Sie es zuerst bei jemand anders sehen, bevor Sie es aus eigener Anschauung kennen.

Ich bitte Sie, meine liebe Freundin, Karl auf das allerherzlichste von mir zu grüßen. Mit den besten Grüßen und aufrichtigsten Wünschen bin ich Ihr Ihnen stets ergebener
Frank.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der Empfangsort ist nicht ermittelt.

  • Schreibort

    München
    21. Mai 1901 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort


    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
72-74
Briefnummer:
191
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Beate Heine, 21.5.1901. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (22.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

18.03.2024 12:57
Kennung: 979

München, 21. Mai 1901 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Heine, Beate
 
 

Inhalt

München, 21.V.1901.


Meine liebe verehrte Freundin!

Ich freue mich unendlich, Sie und Ihren lieben Mann wieder an einem Ort der Erholungnicht ermittelt. und der Ruhe zu wissenHinweis auf einen nicht überlieferten Brief [vgl. Wedekind an Carl Heine, 7.8.1901]; erschlossenes Korrespondenzstück: Beate Heine an Wedekind, 20.5.1901. Beate Heine hat Wedekind von den beruflichen Anstrengungen ihres Mannes und der Erholung danach berichtet.. Noch vor einigen Wochen las ich von Gastspielen des Dr. Heine Ensembles, wenn ich mich recht erinnere in EssenCarl Heine gastierte während seiner letzten Tournee mit seinem Ensemble (unter den Schauspielern inzwischen Leopold Jessner) am Stadttheater in Essen zunächst am 13.3.1901: „Mittwoch gastiert in unserem Stadttheater das [...] bekannte Dr. Heine-Ensemble. [...] Das Ensemble des Herrn Dr. Heine genießt hier einen vorzüglichen künstlerischen Ruf“ [Essener Volks-Zeitung, Jg. 34, Nr. 59, 12.3.1901, S. (2)]; angezeigt war: „Stadt-Theater Essen. Direktion: Hans Gelling. [...] Mittwoch, den 13. März [...] Einmaliges Gastspiel des Dr. Heine-Ensemble. Ueber unsere Kraft. Schauspiel von Björnson.“ [Essener Volks-Zeitung, Jg. 34, Nr. 60, 13.3.1901, S. (4)] Ein weiteres Gastspiel am Stadttheater in Essen fand am 2.4.1901 statt, wie angezeigt war: „Dienstag, den 2. April [...]. Einmaliges Gastspiel des Dr. Heine-Ensemble. Gespenster. Schauspiel von Ibsen.“ [Essener Volks-Zeitung, Jg. 34, Nr. 76, 2.4.1901, S. (2)] an der Ruhr. Jedenfalls wird es Herrn Doktor angenehm sein, wenn er das schlechte Sommergeschäft nicht zu machen braucht und dafür Gelegenheit hat, sich auszuruhen und frische Kräfte zu sammeln. Was mich anbetrifft, so bin ich seit einem halben Jahre fortwährend auf dem Sprung, nach Berlin zu fahren, ohne daß jemals Ernst daraus wird. Jetzt steht das dortige Meßthaler GastspielEmil Meßthaler, Direktor des Intimen Theaters in Nürnberg, gastierte vom 15.6.1901 bis 15.8.1901 als Direktor am Neuen Theater in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 461], wo „Marquis von Keith“ uraufgeführt werden sollte; der Plan zerschlug sich., ich weiß nicht mehr in welchem Theater, vor der Thür, wobei mein Marquis v. Keith das Lampenlicht erblicken soll. Jetzt werde ich nun Berlin wol wiedersehen, vorausgesetzt, daß nicht wieder was dazwischen kommt. Vor drei Jahren um diese Zeit saßen wir bei ziemlich trübem Wetter in StettinStettin war im Frühjahr 1898 eine Station der Tournee des Ibsen-Theaters von Carl Heine, dessen Ensemblemitglied Wedekind war. und führten Nora auf; heute singe ich im hiesigen Ueberbrettldie Elf Scharfrichter in München, deren eigentliche Eröffnungsvorstellung am 12.4.1901 stattfand – „Mit der Ehrenexekution des gestrigen Abends hat das sogenannte ‚Ueberbrettl‘ auch in München seinen Einzug gehalten“ [Die elf Scharfrichter. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 104, Nr. 102, 13.4.1901, Abendblatt, S. 1] – und deren offizielle Eröffnungsvorstellung am 13.4.1901 Wedekind besucht hat [vgl. Wedekind an Bertha Doepler, 14.4.1901]. Wedekind war Mitglied der Elf Scharfrichter und trat dann regelmäßig mit seinen Liedern auf: „Das bisher schon so reichhaltige Programm hat durch Anreihung eines ‚inoffiziellen‘ Theiles eine schätzenswerthe Bereicherung erfahren. [...] Wedekind – er gab uns einige echte Wedekinds. Seine ‚Brigitte B.‘ und die ‚Sieben Rappen‘ sind in der Form so vollendet gehalten, daß man es hinnehmen kann, daß der Inhalt ‚jenseits von Dezent und Indezent‘ liegt. Dabei verfügt Herr Wedekind über eine bewunderungswürdige Ruhe im Vortrage, eine Ruhe, die selbst ängstlichen und prüden Gemüthern über etwaige Gewissensbisse leicht hinweghilft.“ [Die Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 195, 26.4.1901, Morgenblatt, S. 3] Inzwischen stand ein neues Programm an: „Die letzte Vorstellung des laufenden Programms findet Mittwoch, 22. Mai statt. [...] Dieses gelangt gleich nach Pfingsten zur ersten Aufführung und wird [...] enthalten [...] neue Solovorträge von [...] Frank Wedekind“ [Die elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 234, 21.5.1901, Vorabendblatt, S. 4]. meine Gedichte und Compositionen und schlage die Guitarre dazu. O quae mutatio rerum(lat.) Oh, dass sich die Dinge ändern.! Unser hiesiges Ueberbrettl ist nach dem allgemeinen Urtheil um vieles geschmackvoller und künstlerischer als das WolzogenscheErnst von Wolzogens Buntes Theater (Überbrettl), das am 18.1.1901 in Berlin eröffnet wurde [vgl. Budzinski/Hippen 1996, S. 437]. in Berlin. In Berlin schießen diese Institute jetzt aber wie die Pilze aus dem Boden. Sämmtliche Nummern und Productionen der hiesigen Scharfrichter sind für den kommenden Winter schon für Berlin gewonnen; und täglich kommen neue Anerbietungen und Werbungen von Berlin. Ich glaube, es wird dort über kurz oder lang eine schwere Krisis über diesen ganzen Plunder hereinbrechen. Aehnlich scheinen die Verhältnisse gegenwärtig in DarmstadtWährend Ernst von Wolzogen mit seinem Bunten Theater (Überbrettl) bereits im Rahmen der am 15.5.1901 eröffneten ersten Ausstellung der Künstlerkolonie in Darmstadt gastierte, traten die Elf Scharfrichter erst vom 26. bis 30.7.1901 dort auf, im Spielhaus der Künstlerkolonie; über den Premierenabend wurde berichtet: „Im Spielhaus begannen gestern abend die ‚Elf Scharfrichter‘ aus München ein auf drei Abende vorgesehenes Gastspiel. [...] Herr Frank Wedekind würde sein Publikum zu Dank verpflichten, wenn er künftig die [...] Balladen, die sich durch eine tadelnswerte Rücksichtslosigkeit gegen das Schicklichkeitsgefühl auszeichnen, aus der Liste seiner Darbietungen für Darmstadt streichen würde.“ [Darmstädter Zeitung, Jg. 125, Nr. 348, 27.7.1901, Nachmittags-Blatt, S. 1497] Das Gastspiel in Darmstadt wurde verlängert und anschließend in Kreuznach und Ems fortgesetzt. zu liegen, wo das erste Programm schon mit Pauken und Trompeten ins Wasser gefallen ist. Vorgestern war ein Mannnicht identifiziert. hier, um Productionen für den Monat August zusammenzusuchen, und zwar das allerexzentrischste. Ich habe ihm meine Kaiserin von Neufundland mitgegeben. Jetzt wird sie dem GroßherzogErnst Ludwig von Hessen hatte die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt 1899 initiiert. zur Begutachtung vorgelegt. Nimmt mich Wunder, was daraus wird. Diesen Frühling, als die ersten schönen Tage kamen, begann ich wieder einmal an einem Stück„Blanka Burkhart“ [vgl. KSA 4, S. 317-319] blieb Fragment. zu schreiben; ich habe die Arbeit aber bald wieder beiseite gelegt. Ich weiß augenblicklich nicht, nach welcher Richtung ich mich wenden soll; ich muß erst wissen, wie der Marquis von Keith aufgenommen wird, um mir darüber klar zu sein, ob ich einen Schritt vorwärts gehen darf oder noch einmal zurückdämmen muß. So beschäftige ich mich denn hauptsächlich damit, für meine Gedichte aus der „Fürstin Russalka“ Melodien zu finden, die ich selber harmonisire so gut ich das eben kann. Es ist keine übermäßig anstrengende Arbeit. Daneben sorgt Max Halbe ununterbrochen für die nöthige UnterhaltungAnspielung auf Max Halbes Unterströmung [vgl. Gräbner/Lauinger 2021, S. 536f.] – „Der Geselligkeit diente Max Halbes zur Kegelbahn gewordene ‚Unterströmung‘“ [Kutscher 2, S. 74] – und auf die „kleine Tafelrunde, zu der Wedekind, Graf Keyserling, Halbe [...] gehörten. [...] Oft, wenn wir, Wedekind, Martens und ich, nachts den Heimweg antraten, und Keyserling [...] einen Wagen bestieg und seine Zigarette zwischen den dünnen Lippen, mit seitwärts und uns Fußgängern abgewandtem Gesicht in dem nächtlichen Einspänner vorbeifuhr, sagten wir uns: ‚Seht ihr – das ist der innere Zusammenhang!‘“ [Holitscher 1924, S. 192] ; immer muß etwas los sein. Der Wahlspruch dieser Gesellschaft, in der der Graf KeyserlingMax Halbes Freund Eduard von Keyserling, dessen Stück „Ein Frühlingsopfer“ (1900) am 23.8.1900 am Münchner Schauspielhaus Premiere gehabt hatte, nachdem es am 12.11.1899 im Berliner Lessingtheater durch die Freie Bühne öffentlich uraufgeführt worden war, zählte wie Max Halbe zu Wedekinds engerem Münchner Freundeskreis. „Näher standen ihm – außer Weinhöppel – wohl nur Halbe und Keyserling. Es verging keine Münchner Woche, in der er nicht wenigstens 3–4mal mit diesen zusammenkam in harmloser, genußfroher Stunde.“ [Kutscher 2, S. 74], der Verfasser von Frühlingsopfer, eine führende Rolle spielt, lautet: Man muß die Feste feiern wie sie fallen, und da so ziemlich auf jeden Tag ein Fest fällt, kommt man nur mit größter Mühe einmal aus dem Feiern heraus. Uebrigens würden Sie sich meiner Ueberzeugung nach unendlich wohl unter diesen Leuten fühlen. Vielleicht überlegt Carl sich die Frage, ob es nicht vielleicht geschäftlich von Vortheil wäre, auf einige Wochen nach München zu kommen. München ist, nächst dem Westen Berlins, um diese Zeit entschieden die schönste Stadt Deutschlands. Das wäre herrlich, wenn wir hier in dieser behaglichen Münchener Stimmung die Abende zusammen auf den Kellernin den Biergärten. verbringen könnten. Ich lege mein Bildnicht überliefert (ein wohl aktuelles Foto Wedekinds). bei, nicht aus Eitelkeit, es ist das erste und einzige seit zehn Jahren; aber ich möchte um alles nicht, daß Sie es zuerst bei jemand anders sehen, bevor Sie es aus eigener Anschauung kennen.

Ich bitte Sie, meine liebe Freundin, Karl auf das allerherzlichste von mir zu grüßen. Mit den besten Grüßen und aufrichtigsten Wünschen bin ich Ihr Ihnen stets ergebener
Frank.

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Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der Empfangsort ist nicht ermittelt.

  • Schreibort

    München
    21. Mai 1901 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort


    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
72-74
Briefnummer:
191
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Beate Heine, 21.5.1901. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (22.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
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Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

18.03.2024 12:57