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Kennung: 972

München, 26. August 1900 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Heine, Beate

Inhalt

München, 26.VIII.1900irrtümlich datiert; dem Briefinhalt zufolge ist der 26.9.1900 als Schreibdatum anzunehmen..


Meine liebe Freundin,

eben habe ich meine Bühnenabentheuer wieder aufgenommen in Gestalt von dramatischem Unterricht bei der ersten hiesigen Ballettänzerinwohl die Hofballettmeisterin und Primaballerina Flora Jungmann [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 445], die seit 1890 das Ballett des Münchner Hoftheaters leitete, auch als Tanzlehrerin sehr geschätzt wurde und modernem Tanz gegenüber aufgeschlossen war. Sie hat am Münchner Hoftheater die „neuen Ballets [...] eingeführt und recht geschmackvoll durchgeführt.“ [Otto Julius Bierbaum: Fünfundzwanzig Jahre Münchner Hoftheater-Geschichte. München 1892, S. 49] Die Ballettmeisterin Flora Jungmann (geb. Thieme) wohnte in München (Pilotystraße 9a, 1. Stock rechts) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1901, Teil I, S. 278, 621]. In Frage käme auch die Koryphäe (erste Solotänzerin) Leopoldine Engelhard, weniger die anderen Tänzerinnen des Königlichen Hofballetts, die Solotänzerinnen Sofie Haber, Antonie Habitz und Marietta Olly sowie die Pantomimistin Betty Straß [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 445].. Die Schauspieler, die ich in meinem Fall consultirte, wiesen mir alle diesen eigenartigen Weg, da ich das, was mir fehle, nirgends und von niemandem besser lernen könne. Ich selber fühle, daß es das beste Mittel ist, um rasch wieder in Uebung zu kommen. Uebung ist doch schließlich die Hauptsache, wenigstens wenn man wirklich etwas zu geben hat.

Aber wie geht es Ihnen. Der lange Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Beate Heine an Wedekind, 20.9.1900. ‒ Beate Heine dürfte Wedekind in diesem Brief darüber informiert haben, dass die ihm in einer Postkarte mitgeteilten beruflichen Aussichten Carl Heines [vgl. Wedekind an Beate Heine, 4.9.1900] sich zerschlagen haben., in dem Sie mir so resignirt von Ihren Erwartungen und Aussichten sprachen, machte mir einen erschütternden Eindruck. Trotzdem verlor ich für meinen Theil nicht die Zuversicht, daß es Carl baldmöglichst gelingen werde, einen Ausweg in der Art zu finden, wie er ihn jetzt thatsächlich gefunden hat. Ich gestehe Ihnen auch offen, daß ich zugleich fürchtete, Sie möchten in Ihrem Eifer, zu sparen, sich einzuschränken, sich Entbehrungen aufzuerlegen, zu weit gehen. Das Leben hat es nicht gern und ist einem nicht gnädig und günstig, wenn man es zu ernst nimmt. Das weiß niemand besser als ich, der vor lauter Begriffen, Ideen, Ansichten, Principien, Absichten, Vorsätzen, Befürchtungen und Hoffnungen keinen Augenblick zur Besinnung kommt, nirgends die nöthige Unbefangenheit findet und die schönsten Gelegenheiten; sein Glück zu machen, darüber verpaßt.

Schreiben Sie mir bitte, wie Sie jetzt Ihr Leben eingerichtet haben. Gottlob besitzen Sie ja gute Freunde in großer Anzahl in Berlin und meistens Menschen, die mitten im praktischen Leben stehen, und dabei das Herz auf dem rechten Fleck haben. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich im Laufe der nächsten Monate einmal nach Berlin komme. Von Carl erhielt ich einen sehr lieben Brief aus Rotterdamnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Heine an Wedekind, 21.9.1900. Carl Heine gastierte in Rotterdam am Großen Schauspielhaus (Groote Shouwburg) in der Aert van Nesstraat am 20.9.1900 mit Henrik Ibsens Schauspiel „Gespenster“ – angekündigt: „Erstes Gastspiel des Dr. HEINE-Ensemble Ibsen Theater“ [Rotterdamsche Nieuwsblad, Jg. 23, Nr. 6903, 18.9.1900, S. (4)] – sowie am 22.9.1900 mit Otto Erich Hartlebens Lustspielen „Die sittliche Forderung“ und „Die Erziehung zur Ehe“ – angekündigt: „Zweites Gastspiel des Dr. HEINE-Ensemble Ibsen Theater“ [Rotterdamsche Nieuwsblad, Jg. 23, Nr. 6906, 21.9.1900, S. (4)]. Carl Heine dürfte in Rotterdam den Tag dazwischen, an dem keine Vorstellung stattfand, dazu genutzt haben, den Brief an Wedekind zu schreiben. Das Ensemble Carl Heines trat dann am 23.9.1900 in Arnheim auf, am 29.9.1900 nochmals in Rotterdam.. Ich werde ihm nächster Tage schreiben.

Vergessen Sie mich bitte nicht, meine liebe Freundin, und seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrem Ihnen sehr ergebenen
Frank.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 26.9.1900 ist als Ankerdatum gesetzt – das wahrscheinliche Schreibdatum, orientiert am Briefinhalt (der Aufenthalt Carl Heines vom 20. bis 22.9.1900 in Rotterdam).

  • Schreibort

    München
    26. August 1900 (Sonntag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
50-51
Briefnummer:
177
Kommentar:
Im Erstdruck ist der Brief auf den 26.8.1900 datiert.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Beate Heine, 26.8.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (24.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

17.03.2024 13:16
Kennung: 972

München, 26. August 1900 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Heine, Beate
 
 

Inhalt

München, 26.VIII.1900irrtümlich datiert; dem Briefinhalt zufolge ist der 26.9.1900 als Schreibdatum anzunehmen..


Meine liebe Freundin,

eben habe ich meine Bühnenabentheuer wieder aufgenommen in Gestalt von dramatischem Unterricht bei der ersten hiesigen Ballettänzerinwohl die Hofballettmeisterin und Primaballerina Flora Jungmann [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 445], die seit 1890 das Ballett des Münchner Hoftheaters leitete, auch als Tanzlehrerin sehr geschätzt wurde und modernem Tanz gegenüber aufgeschlossen war. Sie hat am Münchner Hoftheater die „neuen Ballets [...] eingeführt und recht geschmackvoll durchgeführt.“ [Otto Julius Bierbaum: Fünfundzwanzig Jahre Münchner Hoftheater-Geschichte. München 1892, S. 49] Die Ballettmeisterin Flora Jungmann (geb. Thieme) wohnte in München (Pilotystraße 9a, 1. Stock rechts) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1901, Teil I, S. 278, 621]. In Frage käme auch die Koryphäe (erste Solotänzerin) Leopoldine Engelhard, weniger die anderen Tänzerinnen des Königlichen Hofballetts, die Solotänzerinnen Sofie Haber, Antonie Habitz und Marietta Olly sowie die Pantomimistin Betty Straß [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 445].. Die Schauspieler, die ich in meinem Fall consultirte, wiesen mir alle diesen eigenartigen Weg, da ich das, was mir fehle, nirgends und von niemandem besser lernen könne. Ich selber fühle, daß es das beste Mittel ist, um rasch wieder in Uebung zu kommen. Uebung ist doch schließlich die Hauptsache, wenigstens wenn man wirklich etwas zu geben hat.

Aber wie geht es Ihnen. Der lange Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Beate Heine an Wedekind, 20.9.1900. ‒ Beate Heine dürfte Wedekind in diesem Brief darüber informiert haben, dass die ihm in einer Postkarte mitgeteilten beruflichen Aussichten Carl Heines [vgl. Wedekind an Beate Heine, 4.9.1900] sich zerschlagen haben., in dem Sie mir so resignirt von Ihren Erwartungen und Aussichten sprachen, machte mir einen erschütternden Eindruck. Trotzdem verlor ich für meinen Theil nicht die Zuversicht, daß es Carl baldmöglichst gelingen werde, einen Ausweg in der Art zu finden, wie er ihn jetzt thatsächlich gefunden hat. Ich gestehe Ihnen auch offen, daß ich zugleich fürchtete, Sie möchten in Ihrem Eifer, zu sparen, sich einzuschränken, sich Entbehrungen aufzuerlegen, zu weit gehen. Das Leben hat es nicht gern und ist einem nicht gnädig und günstig, wenn man es zu ernst nimmt. Das weiß niemand besser als ich, der vor lauter Begriffen, Ideen, Ansichten, Principien, Absichten, Vorsätzen, Befürchtungen und Hoffnungen keinen Augenblick zur Besinnung kommt, nirgends die nöthige Unbefangenheit findet und die schönsten Gelegenheiten; sein Glück zu machen, darüber verpaßt.

Schreiben Sie mir bitte, wie Sie jetzt Ihr Leben eingerichtet haben. Gottlob besitzen Sie ja gute Freunde in großer Anzahl in Berlin und meistens Menschen, die mitten im praktischen Leben stehen, und dabei das Herz auf dem rechten Fleck haben. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich im Laufe der nächsten Monate einmal nach Berlin komme. Von Carl erhielt ich einen sehr lieben Brief aus Rotterdamnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Heine an Wedekind, 21.9.1900. Carl Heine gastierte in Rotterdam am Großen Schauspielhaus (Groote Shouwburg) in der Aert van Nesstraat am 20.9.1900 mit Henrik Ibsens Schauspiel „Gespenster“ – angekündigt: „Erstes Gastspiel des Dr. HEINE-Ensemble Ibsen Theater“ [Rotterdamsche Nieuwsblad, Jg. 23, Nr. 6903, 18.9.1900, S. (4)] – sowie am 22.9.1900 mit Otto Erich Hartlebens Lustspielen „Die sittliche Forderung“ und „Die Erziehung zur Ehe“ – angekündigt: „Zweites Gastspiel des Dr. HEINE-Ensemble Ibsen Theater“ [Rotterdamsche Nieuwsblad, Jg. 23, Nr. 6906, 21.9.1900, S. (4)]. Carl Heine dürfte in Rotterdam den Tag dazwischen, an dem keine Vorstellung stattfand, dazu genutzt haben, den Brief an Wedekind zu schreiben. Das Ensemble Carl Heines trat dann am 23.9.1900 in Arnheim auf, am 29.9.1900 nochmals in Rotterdam.. Ich werde ihm nächster Tage schreiben.

Vergessen Sie mich bitte nicht, meine liebe Freundin, und seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrem Ihnen sehr ergebenen
Frank.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 26.9.1900 ist als Ankerdatum gesetzt – das wahrscheinliche Schreibdatum, orientiert am Briefinhalt (der Aufenthalt Carl Heines vom 20. bis 22.9.1900 in Rotterdam).

  • Schreibort

    München
    26. August 1900 (Sonntag)
    Ermittelt (sicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
50-51
Briefnummer:
177
Kommentar:
Im Erstdruck ist der Brief auf den 26.8.1900 datiert.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Beate Heine, 26.8.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (24.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

17.03.2024 13:16