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Kennung: 757

Oed bei Beuerberg, 9. Juni 1893 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Bierbaum, Otto Julius

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

OTTO JULIUS BIERBAUM


Lieber Herr Wedekind!

Also: Elins Erweckung ist angekommendas Manuskript der ersten drei Szenen von Wedekinds Verskomödie „Elin’s Erweckung“, deren Empfang Otto Julius Bierbaum bereits auf seiner Postkarte vom selben Tag vermerkt hatte [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind 9.6.1893]..

Ich habe die drei Szenen sofort gelesen, und es war mir ein großer Genuß. Es sind ganz wundervolle Sachen in dem Stücke, Sachen, die sich neben Frühlings Erwachen sehen lassen können. Ich bin sehr glücklich, von Ihnen so was für den M. M. A. 94 erhalten zu haben, nur bin ich noch unschlüssig, was ich wählen sollOtto Julius Bierbaum wählte zum Abdruck im „Modernen Musen-Almanach“ (1893) einen Dialog zwischen Emanuel und Oskar [vgl. KSA 2, S. 507-514], die „Traumerzählung aus der 2. Szene“ [KSA 2, S. 1138], die er auch im Brief erwähnt, im Druck als Bruchstück bezeichnet [vgl. Frank Wedekind: Bruchstück aus der Komödie „Elin’s Erweckung“. In: Moderner Musen-Almanach auf das Jahr 1894. Ein Jahrbuch deutscher Kunst. Hg. von Otto Julius Bierbaum. Zweiter Jahrgang. München (1893), S. 54-61].. Am liebsten ist mir im zweiten Akte, wenn Sie mir die alte Bezeichnung gestatten wollen, die Erzählung des Traumes. Diese Geschichte ist sicher. Aber auch aus der dritten Szene möcht’ ich ich was herausheben, einige Stellen der köstlichen Bemerkungen Oskars über die Kanzelrednerei. Und schließlich juckt es mich auch nach der ersten Szene. Aber das wird zu viel werden.

Heute oder morgen noch sende ich das Mskr. zum Druck. Wollen Sie, bitte, die Freundlichkeit haben und mir recht bald eine AdresseWedekinds Adressen in Zürich und Lenzburg während seines Sommeraufenthalts in der Schweiz. angeben, an die ich die Correktur senden kann. Es wird auch nötig sein, ein paar orientierende WorteWedekinds Vorbemerkung zu dem Bruchstück aus „Elin’s Erweckung“ (siehe oben): „In einer Zeit, in der die weitgehendsten Ausschreitungen der schönen Literatur zum Vorwurf dienen, gelangt die Unschuld kaum in Kammerjungferromanen mehr zu der ihr gebührenden Würdigung. Dem feinen Geschmack dient sie als Geschmacklosigkeit. Wo sie sich nackt präsentirt, gebietet schon die Höflichkeit, sie der Lüge zu zeihen. Um der Höflichkeit zu entgehen, wirft sie den Mantel der Übersättigung um. / Demgemäß sind ihre ungeheuren Domänen zu einer Wildniß geworden, in der Bären und Wölfe hausen, und die seit Cervantes keines Forschers Fuß mehr betreten hat. / Vorliegende Verse sind einer dreiaktigen Komödie entnommen, die, zu keusch um nicht verboten zu werden, seit sieben Jahren in meinem Schreibtisch liegt, und deren Held sich bis zum Vorarbend seiner Verheiratung den Schmuck unverletzter Jungfräulichkeit bewahrt.“ [KSA 2, S. 507] Im Erstdruck ist die Vorbemerkung petit gesetzt zwischen Titel und Textbeginn platziert. dem Abdruck der Bruchstücke voranzusetzen. | Ich bitte Sie, diese Worte abzufassen, sobald Sie die Correktur haben. – Herr LöbellReinhold Loebell (Biedersteinerstraße 2) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1893, Teil I, S. 254] war der kaufmännische Leiter des Verlags Dr. E. Albert & Co. in München (Schwabinger Landstraße 55) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1893, Teil I, S. 4], der Otto Julius Bierbaums „Modernen Musen-Almanach“ verlegte. sprach mir bereits von Ihrem bei ihm liegenden StückHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Reinhold Loebell, 15.5.1893. Es handelte sich um ein Manuskript von Wedekinds noch ungedrucktem Stück „Fritz Schwigerling“ (später: „Der Liebestrank“), für das er auf Verlagssuche war: „Vermutlich auf Empfehlung Otto Julius Bierbaums schickt er es im Mai oder spätestens Anfang Juni an den Münchner Verleger Löbell.“ [KSA 2, S. 997]. Ich werde es mir jetzt zur Lesung ausbitten. Aber warum haben Sie so mörderisch auf uns arme Hühner geschimpftWedekind dürfte sich demnach in seinem nicht überlieferten Brief an Reinhold Loebell (siehe oben) ungehalten über Otto Julius Bierbaum als Herausgeber des „Modernen Musen-Almanach“ geäußert haben., die ihre Eier in den Verlag Löbells legen? Sind wir so verworfen vor Ihren dunkelblauen Augen, die doch so gütig und vergebefreundlich scheinen? Gott, wie man sich in blauen Augen täuschen kann.

In Herzlichkeit
Ihr
Otto Julius Bierbaum


auf der Öd
bei Beuerberg,
Oberbayern.
9.VI.93.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Mischschrift (Kurrent und lateinische Schrift).
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 13,5 x 21 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Oed bei Beuerberg
    9. Juni 1893 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    Beuerberg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Paris
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 16
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Otto Julius Bierbaum an Frank Wedekind, 9.6.1893. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Überarbeitet von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

18.07.2024 16:00
Kennung: 757

Oed bei Beuerberg, 9. Juni 1893 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Bierbaum, Otto Julius

Adressat*in

  • Wedekind, Frank
 
 

Inhalt

OTTO JULIUS BIERBAUM


Lieber Herr Wedekind!

Also: Elins Erweckung ist angekommendas Manuskript der ersten drei Szenen von Wedekinds Verskomödie „Elin’s Erweckung“, deren Empfang Otto Julius Bierbaum bereits auf seiner Postkarte vom selben Tag vermerkt hatte [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind 9.6.1893]..

Ich habe die drei Szenen sofort gelesen, und es war mir ein großer Genuß. Es sind ganz wundervolle Sachen in dem Stücke, Sachen, die sich neben Frühlings Erwachen sehen lassen können. Ich bin sehr glücklich, von Ihnen so was für den M. M. A. 94 erhalten zu haben, nur bin ich noch unschlüssig, was ich wählen sollOtto Julius Bierbaum wählte zum Abdruck im „Modernen Musen-Almanach“ (1893) einen Dialog zwischen Emanuel und Oskar [vgl. KSA 2, S. 507-514], die „Traumerzählung aus der 2. Szene“ [KSA 2, S. 1138], die er auch im Brief erwähnt, im Druck als Bruchstück bezeichnet [vgl. Frank Wedekind: Bruchstück aus der Komödie „Elin’s Erweckung“. In: Moderner Musen-Almanach auf das Jahr 1894. Ein Jahrbuch deutscher Kunst. Hg. von Otto Julius Bierbaum. Zweiter Jahrgang. München (1893), S. 54-61].. Am liebsten ist mir im zweiten Akte, wenn Sie mir die alte Bezeichnung gestatten wollen, die Erzählung des Traumes. Diese Geschichte ist sicher. Aber auch aus der dritten Szene möcht’ ich ich was herausheben, einige Stellen der köstlichen Bemerkungen Oskars über die Kanzelrednerei. Und schließlich juckt es mich auch nach der ersten Szene. Aber das wird zu viel werden.

Heute oder morgen noch sende ich das Mskr. zum Druck. Wollen Sie, bitte, die Freundlichkeit haben und mir recht bald eine AdresseWedekinds Adressen in Zürich und Lenzburg während seines Sommeraufenthalts in der Schweiz. angeben, an die ich die Correktur senden kann. Es wird auch nötig sein, ein paar orientierende WorteWedekinds Vorbemerkung zu dem Bruchstück aus „Elin’s Erweckung“ (siehe oben): „In einer Zeit, in der die weitgehendsten Ausschreitungen der schönen Literatur zum Vorwurf dienen, gelangt die Unschuld kaum in Kammerjungferromanen mehr zu der ihr gebührenden Würdigung. Dem feinen Geschmack dient sie als Geschmacklosigkeit. Wo sie sich nackt präsentirt, gebietet schon die Höflichkeit, sie der Lüge zu zeihen. Um der Höflichkeit zu entgehen, wirft sie den Mantel der Übersättigung um. / Demgemäß sind ihre ungeheuren Domänen zu einer Wildniß geworden, in der Bären und Wölfe hausen, und die seit Cervantes keines Forschers Fuß mehr betreten hat. / Vorliegende Verse sind einer dreiaktigen Komödie entnommen, die, zu keusch um nicht verboten zu werden, seit sieben Jahren in meinem Schreibtisch liegt, und deren Held sich bis zum Vorarbend seiner Verheiratung den Schmuck unverletzter Jungfräulichkeit bewahrt.“ [KSA 2, S. 507] Im Erstdruck ist die Vorbemerkung petit gesetzt zwischen Titel und Textbeginn platziert. dem Abdruck der Bruchstücke voranzusetzen. | Ich bitte Sie, diese Worte abzufassen, sobald Sie die Correktur haben. – Herr LöbellReinhold Loebell (Biedersteinerstraße 2) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1893, Teil I, S. 254] war der kaufmännische Leiter des Verlags Dr. E. Albert & Co. in München (Schwabinger Landstraße 55) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1893, Teil I, S. 4], der Otto Julius Bierbaums „Modernen Musen-Almanach“ verlegte. sprach mir bereits von Ihrem bei ihm liegenden StückHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Reinhold Loebell, 15.5.1893. Es handelte sich um ein Manuskript von Wedekinds noch ungedrucktem Stück „Fritz Schwigerling“ (später: „Der Liebestrank“), für das er auf Verlagssuche war: „Vermutlich auf Empfehlung Otto Julius Bierbaums schickt er es im Mai oder spätestens Anfang Juni an den Münchner Verleger Löbell.“ [KSA 2, S. 997]. Ich werde es mir jetzt zur Lesung ausbitten. Aber warum haben Sie so mörderisch auf uns arme Hühner geschimpftWedekind dürfte sich demnach in seinem nicht überlieferten Brief an Reinhold Loebell (siehe oben) ungehalten über Otto Julius Bierbaum als Herausgeber des „Modernen Musen-Almanach“ geäußert haben., die ihre Eier in den Verlag Löbells legen? Sind wir so verworfen vor Ihren dunkelblauen Augen, die doch so gütig und vergebefreundlich scheinen? Gott, wie man sich in blauen Augen täuschen kann.

In Herzlichkeit
Ihr
Otto Julius Bierbaum


auf der Öd
bei Beuerberg,
Oberbayern.
9.VI.93.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Mischschrift (Kurrent und lateinische Schrift).
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 13,5 x 21 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Oed bei Beuerberg
    9. Juni 1893 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    Beuerberg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Paris
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 16
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Otto Julius Bierbaum an Frank Wedekind, 9.6.1893. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Überarbeitet von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

18.07.2024 16:00