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Kennung: 678

München, 24. Juli 1916 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Harden, Maximilian

Inhalt

München 24. Juli 1916


Lieber verehrter Herr Harden!

Ein gehöriger Katarrh der mich in den letzten Tagen in Berlin überfiel ließ mich noch nicht dazu gelangen, Ihnen für die Auszeichnung, die Sie mir durch Ihren Besuch im Theater zuteil werden ließen zu danken. Hätte ich an jenem AbendMaximilian Harden sah eine Vorstellung des „Erdgeist“ im Rahmen des dritten Berliner Wedekind-Zyklus (9.6.1916 bis 6.7.1916) in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, wie er Wedekind wissen ließ [vgl. Maximilian Harden an Wedekind, 7.7.1916]; welche, ist nicht ermittelt. eine Ahnung von Ihrer Anwesenheit gehabt, die | Vorstellung wäre mir zu einem Fest geworden. Aber auch so freue ich mich unendlich über die große Freundlichkeit, die Sie für unser Gastspiel übrig hatten.

Jede WocheWedekind las regelmäßig die Wochenschrift „Die Zukunft“. verfolge ich mit heißem Interesse, wie Sie den ganzen Erdball und seine Regierungen im Auge behalten. Unter Ihrer Führerschaft glaubt man in dem grausigen Labyrinth wenigstens das zu sehen, was irgendwo und | irgendwie zu erblicken ist. Und täglich begegne ich mehr Menschen, denen die Zukunft genau ebensoviel bedeutet wie mir. Das traurigste ist wohl daß die KämpfeNachdem die Kämpfe an der Westfront im Stellungskrieg, der zahllose Opfer forderte, erstarrt waren und die Hoffnung auf eine schnelle Beendigung des Krieges enttäuscht war, zeichnete sich im Sommer 1916 eine Radikalisierung der Arbeiterschaft ab. Zugleich wurde von verschiedenen Parteien die Forderung nach stärkerer Mitsprache an der Kriegspolitik laut; die militärische Führung lag in der Hand des Chefs des Generalstabes, nicht bei der Regierung. im Innern mit genau der gleichen Heftigkeit zunehmen wie die an der Westfront. Vor einigen Tagen bat ich den jungen Grafen Keyserlingk, Ihnen ein Echo der „Zukunftnicht ermittelt (wohl eine Bezugnahme auf die Zeitschrift in der russischen Presse oder in einem privaten Dokument). Wedekind hat Paul von Keyserlingk gemeinsam mit Kurt Martens am 17.7.1916 im Café Luitpold getroffen: „C.L. mit Martens und Graf Keyserling“ [Tb]. zuzusenden, das er aus Rußland erhalten hatte. Heute vor zwei JahrenAuftakt des Ersten Weltkriegs: Am 24.7.1914 wurde bekannt, dass die österreichische Regierung als Reaktion auf die Ermordung des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin in Sarajewo am 23.7.1914 ein auf 48 Stunden befristetes Ultimatum an Serbien gerichtet hatte. Obwohl die serbische Antwort im Grunde darauf einging, setzen danach Abbrüche diplomatischer Beziehungen, Kriegserklärungen und Mobilmachungen ein. war einer der | furchtbarsten Tage, den die Geschichte zu verzeichnen hat. Auch die Alldeutschen, Graf DumoulinWedekind hat sich am 23.7.1916 mit Richard Du Moulin-Eckart unterhalten: „Spaziergang mit Dumoulin“ [Tb]. z.B. sind keine Optimisten mehr und rechtfertigen ihren Wahnwitz schon durch die trostloseste Alternative, vor die wir gestellt sind. Hoffentlich bringt der Sommer Ihnen Erholung und die nötige Sammlung zu/fü/r Ihre unermüdliche heroische Arbeit. Herzlichen Dank für alles, was ich Ihnen zu danken habe. Bitte, mich Ihren verehrten Damen ergebenst zu empfehlen. Mit besten Grüßen von meiner Frau und mir
Ihr
Frank Wedekind.


[Kuvert:]


S. H.
Herrn Maximilian Harden
Berlin-Grunewald
Wernerstrasse 16/18. |


Absender: Frank Wedekind
Prinzregentenstraße 50.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 17 cm. 4 Seiten beschrieben. Kuvert. 13,5 x 9 cm. 2 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf dem Kuvert ist die Ecke mit der Briefmarke herausgerissen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Poststempel München: „6 ‒ 7 N“ (= 18 bis 19 Uhr).

  • Schreibort

    München
    24. Juli 1916 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    24. Juli 1916 (Montag)
    Sicher

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Pharus V. Frank Wedekind, Thomas Mann, Heinrich Mann – Briefwechsel mit Maximilian Harden

Herausgeber:
Ariane Martin
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag Jürgen Häusser
Jahrgang:
1996
Seitenangabe:
136-137
Briefnummer:
99
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Bundesarchiv Koblenz

Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Maximilian Harden
Signatur des Dokuments:
Nr. 109
Standort:
Bundesarchiv Koblenz (Koblenz)

Danksagung

Wir danken dem Bundesarchiv Koblenz für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Maximilian Harden, 24.7.1916. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

31.10.2023 23:13
Kennung: 678

München, 24. Juli 1916 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Harden, Maximilian
 
 

Inhalt

München 24. Juli 1916


Lieber verehrter Herr Harden!

Ein gehöriger Katarrh der mich in den letzten Tagen in Berlin überfiel ließ mich noch nicht dazu gelangen, Ihnen für die Auszeichnung, die Sie mir durch Ihren Besuch im Theater zuteil werden ließen zu danken. Hätte ich an jenem AbendMaximilian Harden sah eine Vorstellung des „Erdgeist“ im Rahmen des dritten Berliner Wedekind-Zyklus (9.6.1916 bis 6.7.1916) in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, wie er Wedekind wissen ließ [vgl. Maximilian Harden an Wedekind, 7.7.1916]; welche, ist nicht ermittelt. eine Ahnung von Ihrer Anwesenheit gehabt, die | Vorstellung wäre mir zu einem Fest geworden. Aber auch so freue ich mich unendlich über die große Freundlichkeit, die Sie für unser Gastspiel übrig hatten.

Jede WocheWedekind las regelmäßig die Wochenschrift „Die Zukunft“. verfolge ich mit heißem Interesse, wie Sie den ganzen Erdball und seine Regierungen im Auge behalten. Unter Ihrer Führerschaft glaubt man in dem grausigen Labyrinth wenigstens das zu sehen, was irgendwo und | irgendwie zu erblicken ist. Und täglich begegne ich mehr Menschen, denen die Zukunft genau ebensoviel bedeutet wie mir. Das traurigste ist wohl daß die KämpfeNachdem die Kämpfe an der Westfront im Stellungskrieg, der zahllose Opfer forderte, erstarrt waren und die Hoffnung auf eine schnelle Beendigung des Krieges enttäuscht war, zeichnete sich im Sommer 1916 eine Radikalisierung der Arbeiterschaft ab. Zugleich wurde von verschiedenen Parteien die Forderung nach stärkerer Mitsprache an der Kriegspolitik laut; die militärische Führung lag in der Hand des Chefs des Generalstabes, nicht bei der Regierung. im Innern mit genau der gleichen Heftigkeit zunehmen wie die an der Westfront. Vor einigen Tagen bat ich den jungen Grafen Keyserlingk, Ihnen ein Echo der „Zukunftnicht ermittelt (wohl eine Bezugnahme auf die Zeitschrift in der russischen Presse oder in einem privaten Dokument). Wedekind hat Paul von Keyserlingk gemeinsam mit Kurt Martens am 17.7.1916 im Café Luitpold getroffen: „C.L. mit Martens und Graf Keyserling“ [Tb]. zuzusenden, das er aus Rußland erhalten hatte. Heute vor zwei JahrenAuftakt des Ersten Weltkriegs: Am 24.7.1914 wurde bekannt, dass die österreichische Regierung als Reaktion auf die Ermordung des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin in Sarajewo am 23.7.1914 ein auf 48 Stunden befristetes Ultimatum an Serbien gerichtet hatte. Obwohl die serbische Antwort im Grunde darauf einging, setzen danach Abbrüche diplomatischer Beziehungen, Kriegserklärungen und Mobilmachungen ein. war einer der | furchtbarsten Tage, den die Geschichte zu verzeichnen hat. Auch die Alldeutschen, Graf DumoulinWedekind hat sich am 23.7.1916 mit Richard Du Moulin-Eckart unterhalten: „Spaziergang mit Dumoulin“ [Tb]. z.B. sind keine Optimisten mehr und rechtfertigen ihren Wahnwitz schon durch die trostloseste Alternative, vor die wir gestellt sind. Hoffentlich bringt der Sommer Ihnen Erholung und die nötige Sammlung zu/fü/r Ihre unermüdliche heroische Arbeit. Herzlichen Dank für alles, was ich Ihnen zu danken habe. Bitte, mich Ihren verehrten Damen ergebenst zu empfehlen. Mit besten Grüßen von meiner Frau und mir
Ihr
Frank Wedekind.


[Kuvert:]


S. H.
Herrn Maximilian Harden
Berlin-Grunewald
Wernerstrasse 16/18. |


Absender: Frank Wedekind
Prinzregentenstraße 50.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 17 cm. 4 Seiten beschrieben. Kuvert. 13,5 x 9 cm. 2 Seiten beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf dem Kuvert ist die Ecke mit der Briefmarke herausgerissen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Poststempel München: „6 ‒ 7 N“ (= 18 bis 19 Uhr).

  • Schreibort

    München
    24. Juli 1916 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    24. Juli 1916 (Montag)
    Sicher

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Pharus V. Frank Wedekind, Thomas Mann, Heinrich Mann – Briefwechsel mit Maximilian Harden

Herausgeber:
Ariane Martin
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag Jürgen Häusser
Jahrgang:
1996
Seitenangabe:
136-137
Briefnummer:
99
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Bundesarchiv Koblenz

Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Maximilian Harden
Signatur des Dokuments:
Nr. 109
Standort:
Bundesarchiv Koblenz (Koblenz)

Danksagung

Wir danken dem Bundesarchiv Koblenz für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Maximilian Harden, 24.7.1916. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

31.10.2023 23:13