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Lieber, verehrter Herr
Lieber Freund!
Gestern Abend erfuhr ich die ie/as/ schmachvolle
Erwarten Sie keine tröstenden Worte von mir. Der furchtbare
Schlag läßt mi r/ch/ das Schicksal der Allgemeinheit fast bedauerlicher
erscheinen als das Ihre. Das schlimmste ist, daß ich keinen Trost für Sie oder
für uns finde. Erlauben Sie mir nur, Sie um eines zu bitten: Besonnenheit. In
Ketten | geworfen zu werden ist keine Schande. Der ungeheure Verlust, der Sie
trifft, die scheinbare Vernichtung Ihres Lebenswerkes muß Sie aufs tiefste
verbittern, aber das Höchste und wertvollste, Ihr eigenes Selbst retten Sie
doch am heilsten aus dem Unglück, je mehr Kälte Sie dem Unglück entgegensetzen.
Leicht gesagt! Trotzdem halte ich es für Pflicht, es Ihnen zu sagen, nicht aus
Zweifel an Ihrer Stärke und Widerstandskraft sondern nur, weil es praktisch
jetzt das wichtigste notwendigste ist. Sie danken Ihre Macht keiner Strömung,
keiner Gunst. Wer wie Sie, vor dem Kriege so ganz auf | sich selbst gebaut in
ununterbrochenem Ringen einzig und stark dastand, der wird auch nach dem Kriege,
hoffentlich auch schon vorher wieder der Erste sein. Nach allem was ich von
Kämpfern höre, muß das Verbot einen Rückschlag bewirken, der an Stärke den
erreichten Zweck weit übertrifft und trauriger Weise auf unheilvolle Bahnen
führt. Dies Unheil fällt Ihren Unterdrückern zur Last. Ihr Urteil in
Flugschriften bekannt zu geben kann man Ihnen beschränken aber nicht verbieten,
so | beschämend und erniedrigend das fortwährende Kettenrasseln allerdings auf
den Kämpfenden wirken muß. Trauriger Weise läßt das Verbot ja eine weite
Voraussicht erkennen und entspringt vielleicht mehr der Furcht vor dem was Sie
nach dem Frieden äußern werden als vor Ihrem gegenwärtigen Wirken.
Eben ruft mich Frau Prof. mir/von/
Vielleicht vermag die Thatsache ein/Ihre/ Fassung zu
stärken, daß das Verbot ganz ohne Zweifel die Folge der gewaltigen Wirkung ist,
die „
Nun leben Sie wohl, lieber verehrter Herr Harden. Mit
herzlichen Grüßen an Sie und Ihre Frau
Ihr treuergebener
Bestehend aus 5 Blatt, davon 7 Seiten beschrieben
München
26. Dezember 1915 (Sonntag)
Sicher
München
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Bundesarchiv Koblenz
Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Deutschland
Wir danken dem Bundesarchiv Koblenz für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Frank Wedekind an Maximilian Harden, 26.12.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (10.12.2025).
Ariane Martin