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Bellemaison
Höllriegelskreuth bei München.
den
22. Dezember 1911.
Sehr geehrter Herr.
In Anbetracht dern Schreibversehen, statt: der. ungeheuren Wichtigkeit und Dringlichkeit
der SaheSchreibversehen, statt: Sache. hoffen wir, Sie werden möglichst umgehend dem Unterzeichneten Ihre
ZustimmungArthur Schnitzler hat nicht zugestimmt; er schrieb am 27.12.1911 an Carl Sternheim (und sprach in seinem Brief die drei weiteren Herren an): „Der Aufruf, den Sie im Namen von Wedekind, Eulenberg, Borngräber und in Ihrem eigenem mir zur Unterzeichnung zuzusenden so freundlich sind, widerspricht meinen Erfahrungen, meinen Ansichten und meinem Gefühl vom Verhältnis des Dichters zum Publikum so sehr, daß ich mich außerstande erklären muß, ihn zu unterschreiben, trotzdem ich mich in meinem Widerwillen gegen die Zensur und gegen deren wahrhaft aufreizende Übergriffe, insbesondere in der letzten Zeit, mit Ihnen allen, meine Herren, völlig eines Sinnes weiß.“ [Arthur Schnitzler: Briefe. 1875-1912. Hg. von Therese Nickl und Heinrich Schnitzler. Frankfurt am Main 1981, S. 687]
Ihr sehr ergebener
Aufgefordert
wurden folgende Autoren:
Otto Borngräber
Herbert Eulenburg Schreibversehen, statt: Eulenberg.
Arthur Schnitzler
Carl Sternheim
Frank Wedekind
Sie sind gebeten, über Vorstehendendes vorläufig
Verschwiegenheit zu wahren.
[Beilage:]
Aus
der Mitte des Publikums kommt Anfrage auf Anfrage an uns: Es fühle sich durch
die fortwährenden Polizeiverbote in seinem Empfinden, seinem Urteil auf’s
höchste verwirrt und beunruhigt. Der Gatte wisse nicht mehr, was er seiner Frau,
der Erzieher nicht, was er den Zöglingen von unseren Büchern anbieten dürfe.
Sei denn wirklich aus dem Geist unserer Schriften die
Polizei zu ihrem Vorgehen gegen uns nicht befugt? Könnten wir Autoren auf
unsere Ehre versichern, wir stellten in unseren Dichtungen dem sittlichen
Gefühl einer großen Nation, deren geistiges Wohl uns anvertraut ist, keine
Falle?
Nun denn im Bewußtsein unserer unendlichen Verantwortung auf
Manneswort für jetzt und alle Zukunft: Mit Andacht und Demut hören wir auf die
Empfindungen der Kinder unserer Zeit. Keine irdische Macht, aber die Stimme
Gottes aus der Brust des Menschen diktiert uns die Forderungen der Vernunft,
Schönheit und Sittlichkeit. Ihr Leser, nicht wir Schreibenden (die wir ja nur
Euer geheimstes Sprachrohr in die Welt sind) prägt diese neuen Wahrheiten, die
den Hütern der alten bequemen Formeln ein Entsetzen sind, und die sie im Keim
zu vernichten trachten.
Ihr Leser selbst seid in Eurem Willen zu heutiger Wahrheit
aufs heftigste angegriffen. Helft Euch, indem Ihr zum Kampf entschlossen, einem
geharnischten Proteste beitretet. Helft endlich uns mit der Tat gegen Willkür
und Verwaltigung. wir gehen
gemeinsam in neue Zeiten hinein!
Bestehend aus 2 Blatt, davon 1 Seite beschrieben
Höllriegelskreuth
22. Dezember 1911 (Freitag)
Sicher
Höllriegelskreuth
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Deutsches Literaturarchiv Marbach
Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach am Neckar
Deutschland
Wir danken dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Carl Sternheim, Herbert Eulenberg, Frank Wedekind, Otto Borngräber an Arthur Schnitzler, 22.12.1911. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (28.10.2025).
Ariane Martin