Vergleichsansicht

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Kennung: 575

München, 25. April 1910 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Harden, Maximilian

Inhalt

Sehr verehrter Herr Harden!

Ihrer liebenswürdigen AufforderungMaximilian Harden hatte nach dem Stand der Verhandlungen mit Bruno Cassirer gefragt [vgl. Maximilian Harden an Wedekind, 24.4.1910]. entsprechend erlaube ich mir Ihnen noch einige positive Daten über den augenblicklichen Stand meiner AngelegenheitWedekinds Verlagsangelegenheiten, die Konflikte mit seinem Verleger Bruno Cassirer, die unter dem Stichwort „Contra Cassirer“ auch in Wedekinds Notizbüchern dokumentiert sind [vgl. KSA 5/III, S. 126-141]. zu geben.

Ich muß vorausschicken, daß Herr Bruno Cassirer mit zwei Unwahrheiten arbeitet. Erstens mit der Behauptung, ich hätte ihn zum Ankauf meiner Werke verleitet, während er mir jahrelang die Propaganda die Albert Langen für meine Bücher machte als unzulänglich hinstellte, was ich auch durch Briefe beweisen kann. Zweitens mit der Behauptung, ich hätte mich ihm gegenüber | vor dem Ankauf mündlich verpflichtet, ihm meine zukünftigen übrigen Werke in Verlag zu geben.

Die Unwahrheit dieser letzten Behauptung ist durch einen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 19.11.1909. Wedekind hat am 1.4.1910 im Tagebuch notiert: „Habe die ganze Correspondenz B. Cassirer durchgearbeitet.“ bewiesen, in dem mir Bruno Cassirer selber schreibt: „Sie wünschten damals über diese Bücher keinen Vertrag abzuschließen, sagten mir aber, daß Sie natürlich keine Veranlassung hätten, mir diese künftigen Bücher nicht zu geben.“

Diese Worte entsprechen genau der Thatsache. Wenn ich aber Herrn Cassirer zum Ankauf meiner Werke verleitet hätte, dann müßte er ein Thor sondergleichen gewesen sein, sich meine künftige Produktion nicht durch schriftlichen Vertrag zu sichern. Das wäre doch sicherlich | die erste Antwort auf meine Verleitungsversuche gewesen.

Seit unserer letzten Unterredungam 4.4.1910: „Nachmittag bei Harden“ [Tb]. hat Herr Cassirer seine Verkaufsbedingungen um 8000 Mark erhöht. Angesichts dieser Thatsache schrieb ich die Erklärungdie Beilage zum vorliegenden Brief. nieder die ich am Schluß beilege. Ich habe die Erklärung sonst noch niemandem mitgetheilt. Herr Cassirer will für das Verdienst, daß er mich nicht gänzlich ruinirt, einen glatten Gewinn Verdienst von 20,000 Mark einstreichen. Ich wäre heute schon in Verlegeheit wenn mir die Einnahmen aus meinen Gastspielen nicht zugute kämen. Dabei schreibt Cassirer an seinen RechtsanwaltDer Brief Bruno Cassirers an Oscar Meyer ist nicht ermittelt.:

„Ich bitte Sie jetzt, Herrn Justizrat Jonas den Text für eine möglichst eingehende und umfassende Ehrenerklärung vorlegen zu wollen.“ |

Augenscheinlich erwartet Herr Cassirer, daß ich den Fehlbetrag, den der Käufer nicht bezahlen will, aus eigenen Mitteln erlege. Wenn ich das Geld dazu hätte, dann wäre ich also, abgesehen von dem Schaden, den mir Herr Cassirer bis jetzt zugefügt hat, auch noch um zirka 20,000 Mark geschädigt. DeDemgegenüber drängt sich mir die Frage auf, ob es denn wirklich dem Berliner Großkapital, zu dem Herr Cassirer doch ohne Zweifel gehört, da er sein Geld kaum geschäftlich engagiert, weil er zu seinem Lebensunterhalt darauf angewiesen ist ‒ ob es dem Berliner Großkapital denn wirklich so vollkommen gleichgültig bleiben kann, diese Rollen, erstens des Schädigers, zweitens des Erpressers gegenüber | einem Schriftsteller zu spielen, dem das, was er bisher erreicht hat, nicht gerade leicht ge wurde.

In welchem Maße ich durch Bruno Cassirer bis jetzt geschädigt wurde ergiebt sich aus einer Zusammenstellung meiner Einnahmen aus dem Bücherverkauf seit 1903, wobei ich die Honorare für Neuerscheinungen abziehe, weil solche ja jeweilen mehr von meiner Thätigkeit als vom Geschäftsbetrieb abhängen. Vor 1903 warfen meine Bücher keine Einnahmen ab. Weil Bruno Cassirer meine Bücher am 18. Oktober 1908 übernahm, rechne ich je vom 18. Oktober zu 18. Oktober:

18. Oktober 1903 – 1904 M. 2590

"    "        1904 – 1905  "   2200 |

18 Oktober 1905 – 1906 M. 4600

"         "       1906 – 1907  "   5200

"         "       1907 – 1908  "   5900

"         "       1908 – 1909  "   1650.

Wie dieser Rückgang des Absatzes zustande kam, ist sehr einfach. Nach Erscheinen von „Oaha“ bot der Verlag Albert Langen Cassirer selbst meine Werke zum Kauf an und Bruno Cassirer bezahlte 23,0,00Der auf den 24.10.1908 datierte Vertrag zwischen Albert Langen und Bruno Cassirer nennt einen Kaufpreis von exakt 23.500 Mark [vgl. KSA 5/III, S. 136]. Bruno Cassirer forderte dann nachträglich Unterlagen an, wie sein Brief vom 18.11.1909 an den Verlag Albert Langen dokumentiert: „Da aber, wie das ja vorauszusehen war, mit Herrn Wedekind nicht anders als durch Vermittlung der Gerichte auszukommen ist, so möchte ich für alle Fälle gerüstet sein und gern das gesamte Vertragsmaterial in Händen haben.“ [Koch 1969, S. 142]0 M. dafür, fand aber sehr bald, daß er, wie er selber schreibtnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 20.2.1909., die Bücher viel zu theuer gekauft habe und daß er von Albert Langen „hineingelegt“ worden sei. Derweil hatte er, seiner eigenen Mittheilung nach, die | Exemplare aus dem Buchhandel zurückgezogen, um seine Verlagsfirma darauf drucken la zu lassen. Nun ließ er die neuen Titel aber nicht drucken und erhöhte dafür den Verkaufspreis der mit den alten Titeln versehenen Bücher gegenüber dem Sortimentsbuchhändler. An Propaganda that er gar nichts, während er mir jahrelang die Propaganda, die der Verlag Langen mit HülfeWerbemaßnahmen; in der von Albert Langen verlegten Wochenschrift „Simplicissimus“ wurden Wedekinds Bücher annonciert, die im Albert Langen Verlag erschienen. des „Simplizissimus“ gemacht hatte, als eine für meine Bücher gänzlich unzureichende hingestellt hatte. Cassirer hat bis zum heutigen Tag nicht einmal einen Prospekt über meine Bücher drucken lassen. Er verfolgte nur den einen Zweck, durch Verkaufen der Bestände, also gewissermaßen des geschäftlichen | Handwerkszeugs, wieder zu seinen Auslagen zu kommen. Damit war ein Ertrag für mich auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen.

Wie ich Ihnen, geehrter Herr Harden, schon mittheilteDie Mitteilung erfolgte vermutlich mündlich, dem Tagebuch zufolge entweder am 3.4.1910 („Besuch bei Harden“) oder am 4.4.1910 („Nachmittag bei Harden“)., spielte sich, als ich am 1. Februar zu Herrn Cassirer ins BureauWedekind notierte am 1.2.1910 in Berlin: „Besuch bei Cassirer.“ [Tb] Er hat die im vorliegenden Brief in dramatischer Form geschilderte Begegnung mit seinem Verleger Bruno Cassirer in einem anderen Brief als tätliche Auseinandersetzung beschrieben [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 1.2.1910]. trat, um ihn zu Rede zu stellen folgendes Gespräch zwischen uns ab:

Ich trat mit den Worten ein:
„Warum beantworten Sie meine Briefe nichts?“
Darauf Cassirer:
„Ich verbitte mir diesen Ton von Ihnen!“
Ich: „Ich kämpfe hier um meine gesellschaftliche Stellung!“ |
Er: „Verlassen Sie das Zimmer!“
Ich: „Fällt mir nicht ein, solange Sie mein Lebenswerk zugrunde richten!“
Er: „Machen Sie daß Sie hinauskommen!“
Ich: „Ich gehe nicht eher, als bis ich Antwort von Ihnen habe!“
Er: (drückt auf den elektrischen Knopf auf dem Schreibtisch) „Ich lasse Sie durch meine Leute hinaus werfen!“
Darauf erfolgte die Beleidigung.

Verehrter Herr Harden, da es sich um meine Existenz und die Existenz meines Werkes handelt, schäme ich mich nicht, Ihre Hülfe, die Sie | mir so liebenswürdig anboten mit innigem Dank in Anspruch zu nehmen.

Seien Sie herzlich gegrüßt.
Ihr ergebener
Frank Wedekind.


München, Prinzregentenstraße 50

25.4.10Wedekind notierte am 25.4.1910: „12 seitiger Brief an Harden.“ [Tb].


[Beilage:]


Erklärung.

Herr Bruno Cassirer hat mich durch geschäftliche Unfähigkeit und Untätigkeit um tausende von Mark geschädigt. Solange sich Herr Bruno Cassirer Verleger nennt, ist diese Thatsache jedenfalls keine Ehre sondern höchstens das Gegentheil für ihn. Jetzt geht er darauf aus mit Hülfe dieser Thatsache sich kurzer Hand einen Gewinn von 20,000 Mark zu verschaffen. Für 23,0,000 Mark hat er meine Werke von Albert Langen gekauft und erklärt sich bereit, sie für 2/4/3,000 an einen anderen Verleger abzugeben. Mit Hülfe des Unglücks das er als mein Verleger für mich bedeutet, will er 20,000 Mark verdienen; und da ich, wenn er mein | Verleger bleibt, die nächsten Jahre mit den ärgsten finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben werde, hofft er den Preis auch zu bekommen. Herr Bruno Cassirer wünscht eine Ehrenerklärung von mir. Ich glaube es ruhig dem allgemeinen Sittlichkeitsgefühl überlassen zu können, die richtige Bezeichnung für diese Art von Charakter f/z/u finden.

Oder aber: Herr Bruno Cassirer hat gar nicht die Absicht, den Verlag meiner Werke zu verkaufen und fordert den hohen Preis nur, um keinen Käufer zu finden. In diesem Fall hat er mich dadurch, daß er den Verlag meiner Werke in einem InseratBruno Cassirer hatte folgende Anzeige aufgegeben: „Ich beabsichtige, aus meinem Verlage sämtliche bei mir erschienenen Werke von / FRANK WEDEKIND / zu verkaufen. / Es handelt sich um die Dramen: / TOTENTANZ, 4te Aufl. / BÜCHSE DER PANDORA, 6te Aufl. / ZENSUR / SO IST DAS LEBEN, 2te Aufl. / OAHA, 2te Aufl. / FRÜHLINGS ERWACHEN, 24te Aufl. / DER KAMMERSÄNGER, 4te Aufl. / ERDGEIST, 7te Aufl. / MUSIK, 4te Aufl. / JUNGE WELT, 2te Aufl. / MARQUIS VON KEITH, 2te Aufl. / um den Gedichtband: VIER JAHRESZEITEN, 4te Aufl. / und die Erzählungen: FEUERWERK, 3te Aufl. / Ich bitte die Herren Kollegen, die sich für den Ankauf der Bücher Wedekinds mit allen Vorräten und Rechten für Neuauflagen interessieren, sich mit mir in Verbindung setzen zu wollen. / Hochachtungsvoll / BRUNO CASSIRER, VERLAG. BERLIN W., / Derfflingerstr. 16.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 77, Nr. 56, 10.3.1910, S. 3079] im „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“ öffentlich zum Verkauf ausbot in meinem Ansehen als Schriftsteller mit vollem Bewußtsein in so hohem Maße beleidigt und geschädigt, daß mir dadurch die Beleidigung die ich ihm zufügte reichlich aufgewogen erscheint, und ich keinen Grund einsehe, irgendwelche Erklärung abzugeben.

München April 1910
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 6 Blatt, davon 12 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 20 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat zwei Doppelblätter mit „2.“ (Seite 5) und „3.“ (Seite 11) beziffert (hier nicht wiedergegeben). Die Beilage ist ‒ auf denselben Bogen wie der Brief ‒ auf den Seiten 9 und 10 niedergeschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    25. April 1910 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Pharus V. Frank Wedekind, Thomas Mann, Heinrich Mann – Briefwechsel mit Maximilian Harden

Herausgeber:
Ariane Martin
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag Jürgen Häusser
Jahrgang:
1996
Seitenangabe:
76-78
Briefnummer:
37
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Bundesarchiv Koblenz

Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Maximilian Harden
Signatur des Dokuments:
Nr. 109
Standort:
Bundesarchiv Koblenz (Koblenz)

Danksagung

Wir danken dem Bundesarchiv Koblenz für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Maximilian Harden, 25.4.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

14.10.2023 17:55
Kennung: 575

München, 25. April 1910 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Harden, Maximilian
 
 

Inhalt

Sehr verehrter Herr Harden!

Ihrer liebenswürdigen AufforderungMaximilian Harden hatte nach dem Stand der Verhandlungen mit Bruno Cassirer gefragt [vgl. Maximilian Harden an Wedekind, 24.4.1910]. entsprechend erlaube ich mir Ihnen noch einige positive Daten über den augenblicklichen Stand meiner AngelegenheitWedekinds Verlagsangelegenheiten, die Konflikte mit seinem Verleger Bruno Cassirer, die unter dem Stichwort „Contra Cassirer“ auch in Wedekinds Notizbüchern dokumentiert sind [vgl. KSA 5/III, S. 126-141]. zu geben.

Ich muß vorausschicken, daß Herr Bruno Cassirer mit zwei Unwahrheiten arbeitet. Erstens mit der Behauptung, ich hätte ihn zum Ankauf meiner Werke verleitet, während er mir jahrelang die Propaganda die Albert Langen für meine Bücher machte als unzulänglich hinstellte, was ich auch durch Briefe beweisen kann. Zweitens mit der Behauptung, ich hätte mich ihm gegenüber | vor dem Ankauf mündlich verpflichtet, ihm meine zukünftigen übrigen Werke in Verlag zu geben.

Die Unwahrheit dieser letzten Behauptung ist durch einen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 19.11.1909. Wedekind hat am 1.4.1910 im Tagebuch notiert: „Habe die ganze Correspondenz B. Cassirer durchgearbeitet.“ bewiesen, in dem mir Bruno Cassirer selber schreibt: „Sie wünschten damals über diese Bücher keinen Vertrag abzuschließen, sagten mir aber, daß Sie natürlich keine Veranlassung hätten, mir diese künftigen Bücher nicht zu geben.“

Diese Worte entsprechen genau der Thatsache. Wenn ich aber Herrn Cassirer zum Ankauf meiner Werke verleitet hätte, dann müßte er ein Thor sondergleichen gewesen sein, sich meine künftige Produktion nicht durch schriftlichen Vertrag zu sichern. Das wäre doch sicherlich | die erste Antwort auf meine Verleitungsversuche gewesen.

Seit unserer letzten Unterredungam 4.4.1910: „Nachmittag bei Harden“ [Tb]. hat Herr Cassirer seine Verkaufsbedingungen um 8000 Mark erhöht. Angesichts dieser Thatsache schrieb ich die Erklärungdie Beilage zum vorliegenden Brief. nieder die ich am Schluß beilege. Ich habe die Erklärung sonst noch niemandem mitgetheilt. Herr Cassirer will für das Verdienst, daß er mich nicht gänzlich ruinirt, einen glatten Gewinn Verdienst von 20,000 Mark einstreichen. Ich wäre heute schon in Verlegeheit wenn mir die Einnahmen aus meinen Gastspielen nicht zugute kämen. Dabei schreibt Cassirer an seinen RechtsanwaltDer Brief Bruno Cassirers an Oscar Meyer ist nicht ermittelt.:

„Ich bitte Sie jetzt, Herrn Justizrat Jonas den Text für eine möglichst eingehende und umfassende Ehrenerklärung vorlegen zu wollen.“ |

Augenscheinlich erwartet Herr Cassirer, daß ich den Fehlbetrag, den der Käufer nicht bezahlen will, aus eigenen Mitteln erlege. Wenn ich das Geld dazu hätte, dann wäre ich also, abgesehen von dem Schaden, den mir Herr Cassirer bis jetzt zugefügt hat, auch noch um zirka 20,000 Mark geschädigt. DeDemgegenüber drängt sich mir die Frage auf, ob es denn wirklich dem Berliner Großkapital, zu dem Herr Cassirer doch ohne Zweifel gehört, da er sein Geld kaum geschäftlich engagiert, weil er zu seinem Lebensunterhalt darauf angewiesen ist ‒ ob es dem Berliner Großkapital denn wirklich so vollkommen gleichgültig bleiben kann, diese Rollen, erstens des Schädigers, zweitens des Erpressers gegenüber | einem Schriftsteller zu spielen, dem das, was er bisher erreicht hat, nicht gerade leicht ge wurde.

In welchem Maße ich durch Bruno Cassirer bis jetzt geschädigt wurde ergiebt sich aus einer Zusammenstellung meiner Einnahmen aus dem Bücherverkauf seit 1903, wobei ich die Honorare für Neuerscheinungen abziehe, weil solche ja jeweilen mehr von meiner Thätigkeit als vom Geschäftsbetrieb abhängen. Vor 1903 warfen meine Bücher keine Einnahmen ab. Weil Bruno Cassirer meine Bücher am 18. Oktober 1908 übernahm, rechne ich je vom 18. Oktober zu 18. Oktober:

18. Oktober 1903 – 1904 M. 2590

"    "        1904 – 1905  "   2200 |

18 Oktober 1905 – 1906 M. 4600

"         "       1906 – 1907  "   5200

"         "       1907 – 1908  "   5900

"         "       1908 – 1909  "   1650.

Wie dieser Rückgang des Absatzes zustande kam, ist sehr einfach. Nach Erscheinen von „Oaha“ bot der Verlag Albert Langen Cassirer selbst meine Werke zum Kauf an und Bruno Cassirer bezahlte 23,0,00Der auf den 24.10.1908 datierte Vertrag zwischen Albert Langen und Bruno Cassirer nennt einen Kaufpreis von exakt 23.500 Mark [vgl. KSA 5/III, S. 136]. Bruno Cassirer forderte dann nachträglich Unterlagen an, wie sein Brief vom 18.11.1909 an den Verlag Albert Langen dokumentiert: „Da aber, wie das ja vorauszusehen war, mit Herrn Wedekind nicht anders als durch Vermittlung der Gerichte auszukommen ist, so möchte ich für alle Fälle gerüstet sein und gern das gesamte Vertragsmaterial in Händen haben.“ [Koch 1969, S. 142]0 M. dafür, fand aber sehr bald, daß er, wie er selber schreibtnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer an Wedekind, 20.2.1909., die Bücher viel zu theuer gekauft habe und daß er von Albert Langen „hineingelegt“ worden sei. Derweil hatte er, seiner eigenen Mittheilung nach, die | Exemplare aus dem Buchhandel zurückgezogen, um seine Verlagsfirma darauf drucken la zu lassen. Nun ließ er die neuen Titel aber nicht drucken und erhöhte dafür den Verkaufspreis der mit den alten Titeln versehenen Bücher gegenüber dem Sortimentsbuchhändler. An Propaganda that er gar nichts, während er mir jahrelang die Propaganda, die der Verlag Langen mit HülfeWerbemaßnahmen; in der von Albert Langen verlegten Wochenschrift „Simplicissimus“ wurden Wedekinds Bücher annonciert, die im Albert Langen Verlag erschienen. des „Simplizissimus“ gemacht hatte, als eine für meine Bücher gänzlich unzureichende hingestellt hatte. Cassirer hat bis zum heutigen Tag nicht einmal einen Prospekt über meine Bücher drucken lassen. Er verfolgte nur den einen Zweck, durch Verkaufen der Bestände, also gewissermaßen des geschäftlichen | Handwerkszeugs, wieder zu seinen Auslagen zu kommen. Damit war ein Ertrag für mich auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen.

Wie ich Ihnen, geehrter Herr Harden, schon mittheilteDie Mitteilung erfolgte vermutlich mündlich, dem Tagebuch zufolge entweder am 3.4.1910 („Besuch bei Harden“) oder am 4.4.1910 („Nachmittag bei Harden“)., spielte sich, als ich am 1. Februar zu Herrn Cassirer ins BureauWedekind notierte am 1.2.1910 in Berlin: „Besuch bei Cassirer.“ [Tb] Er hat die im vorliegenden Brief in dramatischer Form geschilderte Begegnung mit seinem Verleger Bruno Cassirer in einem anderen Brief als tätliche Auseinandersetzung beschrieben [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 1.2.1910]. trat, um ihn zu Rede zu stellen folgendes Gespräch zwischen uns ab:

Ich trat mit den Worten ein:
„Warum beantworten Sie meine Briefe nichts?“
Darauf Cassirer:
„Ich verbitte mir diesen Ton von Ihnen!“
Ich: „Ich kämpfe hier um meine gesellschaftliche Stellung!“ |
Er: „Verlassen Sie das Zimmer!“
Ich: „Fällt mir nicht ein, solange Sie mein Lebenswerk zugrunde richten!“
Er: „Machen Sie daß Sie hinauskommen!“
Ich: „Ich gehe nicht eher, als bis ich Antwort von Ihnen habe!“
Er: (drückt auf den elektrischen Knopf auf dem Schreibtisch) „Ich lasse Sie durch meine Leute hinaus werfen!“
Darauf erfolgte die Beleidigung.

Verehrter Herr Harden, da es sich um meine Existenz und die Existenz meines Werkes handelt, schäme ich mich nicht, Ihre Hülfe, die Sie | mir so liebenswürdig anboten mit innigem Dank in Anspruch zu nehmen.

Seien Sie herzlich gegrüßt.
Ihr ergebener
Frank Wedekind.


München, Prinzregentenstraße 50

25.4.10Wedekind notierte am 25.4.1910: „12 seitiger Brief an Harden.“ [Tb].


[Beilage:]


Erklärung.

Herr Bruno Cassirer hat mich durch geschäftliche Unfähigkeit und Untätigkeit um tausende von Mark geschädigt. Solange sich Herr Bruno Cassirer Verleger nennt, ist diese Thatsache jedenfalls keine Ehre sondern höchstens das Gegentheil für ihn. Jetzt geht er darauf aus mit Hülfe dieser Thatsache sich kurzer Hand einen Gewinn von 20,000 Mark zu verschaffen. Für 23,0,000 Mark hat er meine Werke von Albert Langen gekauft und erklärt sich bereit, sie für 2/4/3,000 an einen anderen Verleger abzugeben. Mit Hülfe des Unglücks das er als mein Verleger für mich bedeutet, will er 20,000 Mark verdienen; und da ich, wenn er mein | Verleger bleibt, die nächsten Jahre mit den ärgsten finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben werde, hofft er den Preis auch zu bekommen. Herr Bruno Cassirer wünscht eine Ehrenerklärung von mir. Ich glaube es ruhig dem allgemeinen Sittlichkeitsgefühl überlassen zu können, die richtige Bezeichnung für diese Art von Charakter f/z/u finden.

Oder aber: Herr Bruno Cassirer hat gar nicht die Absicht, den Verlag meiner Werke zu verkaufen und fordert den hohen Preis nur, um keinen Käufer zu finden. In diesem Fall hat er mich dadurch, daß er den Verlag meiner Werke in einem InseratBruno Cassirer hatte folgende Anzeige aufgegeben: „Ich beabsichtige, aus meinem Verlage sämtliche bei mir erschienenen Werke von / FRANK WEDEKIND / zu verkaufen. / Es handelt sich um die Dramen: / TOTENTANZ, 4te Aufl. / BÜCHSE DER PANDORA, 6te Aufl. / ZENSUR / SO IST DAS LEBEN, 2te Aufl. / OAHA, 2te Aufl. / FRÜHLINGS ERWACHEN, 24te Aufl. / DER KAMMERSÄNGER, 4te Aufl. / ERDGEIST, 7te Aufl. / MUSIK, 4te Aufl. / JUNGE WELT, 2te Aufl. / MARQUIS VON KEITH, 2te Aufl. / um den Gedichtband: VIER JAHRESZEITEN, 4te Aufl. / und die Erzählungen: FEUERWERK, 3te Aufl. / Ich bitte die Herren Kollegen, die sich für den Ankauf der Bücher Wedekinds mit allen Vorräten und Rechten für Neuauflagen interessieren, sich mit mir in Verbindung setzen zu wollen. / Hochachtungsvoll / BRUNO CASSIRER, VERLAG. BERLIN W., / Derfflingerstr. 16.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 77, Nr. 56, 10.3.1910, S. 3079] im „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“ öffentlich zum Verkauf ausbot in meinem Ansehen als Schriftsteller mit vollem Bewußtsein in so hohem Maße beleidigt und geschädigt, daß mir dadurch die Beleidigung die ich ihm zufügte reichlich aufgewogen erscheint, und ich keinen Grund einsehe, irgendwelche Erklärung abzugeben.

München April 1910
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 6 Blatt, davon 12 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 20 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Wedekind hat zwei Doppelblätter mit „2.“ (Seite 5) und „3.“ (Seite 11) beziffert (hier nicht wiedergegeben). Die Beilage ist ‒ auf denselben Bogen wie der Brief ‒ auf den Seiten 9 und 10 niedergeschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    25. April 1910 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Pharus V. Frank Wedekind, Thomas Mann, Heinrich Mann – Briefwechsel mit Maximilian Harden

Herausgeber:
Ariane Martin
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag Jürgen Häusser
Jahrgang:
1996
Seitenangabe:
76-78
Briefnummer:
37
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Bundesarchiv Koblenz

Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Maximilian Harden
Signatur des Dokuments:
Nr. 109
Standort:
Bundesarchiv Koblenz (Koblenz)

Danksagung

Wir danken dem Bundesarchiv Koblenz für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Maximilian Harden, 25.4.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (23.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

14.10.2023 17:55