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Kennung: 5324

Zürich, 4. Juli 1887 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie

Inhalt

Zürich 4.VII.87.


Liebe Mama,

herzlichen Dank für Deine freundliche und rasche HülfeHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der zuletzt erbetenen Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 30.6.1887.. Immerhin werd’ ich mir alle Mühe geben, mich ihr würdig zu zeigen, d. h. dafür zu sorgen, daß solch ein Fall so bad/l/d nicht wieder eintritt. Von Armin hab’ ich dir nur Gutes Erfreuliches zu melden. Er arbeitet nach wie vor fleißig drauf los und erndtet bei jeder | ExaminirungArmin Wedekind absolvierte zum zweiten Mal die Abschlussprüfung seines Medizinstudiums an der Universität Zürich. die Früchte ein. Bis jetzt ist es ihm in allem gut gegangen und mehr als die Hälfte hat er bereits wieder hinter sich.

Karl war einige Tage krank; er hatte sich den Fuß übertreten. Da er sich aber daraufhin sehr schonte so ist er nun wieder vollständig hergestellt. Gestern und Vorgesternam Sonntag den 3. und Samstag den 2.7.1887. waren hier große FestlichkeitenDie Presse berichtete: „Zürich. 2. Juli. Zürich schwimmt heute im Festjubel. Die Quaieinweihung wird gefeiert, heute mit einem Kinderfest. Alle Primaner und Sekundarschüler und Schülerinnen der drei Quaigemeinden Zürich, Riesbach und Enge, 6000 an der Zahl, ziehen festlich geschmückt unter dem Geläute aller Glocken, mit 10 Musikkapellen, durch die Straßen der Stadt. Jedes Haus ist beflaggt, bewimpelt, alle Fenster sind dicht besezt. Der unermeßliche Zug der fröhlichen, tanzenden, singenden Kinder dauert über 1 Stunde, er marschirt an die Seeufer, und den ebenso festlich geschmückten, herrlichen Quai, der von einem Kranz von Villen umgeben ist, im Hintergrund thronen die Alpen, vom Glärnisch bis zum Rigi. Am Quai spielen die Kinder in den Wiesen und erhalten einen bescheidenen Imbiß. Morgen den ganzen Tag Regatten aller Nationalitäten: Engländer, Franzosen, Skandinavier, Schweizer, Rumänen, Polen, Deutsche und Abends großes Feuerwerk, Seekampf, Schiffbombardement, Villenbeleuchtung, Illumination der Seeufer und venetianische Nacht.“ [Schwäbischer Merkur, Nr. 156, 5.7.1887, S. 1186]. Der Kinderumzug am Samstag war ganz reizend und das Feuerwerk gestern Abend großartiger als ich je eins gesehen. Gestern Morgen traf ich Frau | LemannEmilie Leemann (geb. Kammerer) aus Riesbach (Seefeldstraße 174) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1887, Teil I, S. 201], Witwe von Gustav Leemann, war eine Cousine von Emilie Wedekind (geb. Kammerer). in den Anlagendie zwischen 1881 und 1887 neu gebauten Quaianlagen am Seeufer in Zürich, Örtlichkeit des genannten Festes.. Sie läßt dich freundlich grüßen und bat mich in den nächsten Tagen mal zu ihr zu kommen.

Auf Miezes HeimkehrErika Wedekind besuchte nach ihrem bestandenen Lehrerinnenexamen in Aarau im Frühjahr und Sommer 1887 das von Louise Duplan (geb. Gaudard) nach dem Tod ihres Mannes (einem Pfarrer) 1870 gegründete und seitdem von ihr geleitete Mädchenpensionat in der Villa „Le Verger“ in Lausanne [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 30]. bin ich sehr gespannt und ein andererKarl Henckell, mit dem sich Erika Wedekind am 29.5.1887 verlobt hatte. natürlich nicht weniger. Es nimmt mich wunder ob und in wie fern sie sich verändert hat.

Indessen arbeite ich munter fort. Das herrliche Wetter trägt nicht wenig zur Bewahrung des theuern unentbehrlichen guten Humors bei. Durch diese und jene | Mißerfolge lasse ich mich weder abschrecken noch entmuthigen. Ich trage für meine Jahre verhältnismäßig vielerlei Stoff mit mir herum und der braucht natürlich längere Zeit zum Ausreifen und Abklären als das bei concentrirteren Naturen der Fall ist.

Frau Jahn schulde ich seit geraumer Zeit einen Brief. Wenn du sie siehst, bitte, grüße sie von mir. Sie hat mir ihr Bild geschicktvgl. Bertha Jahn an Frank Wedekind, 22.6.1887. Das Foto Bertha Jahns ist abgebildet in Vinçon 2014, S. 24..

Und nun leb wohl, liebe Mama. Noch mal herzlichen Dank und sei gegrüßt und geküßt von deinem treuen Sohn Franklin.


Gruß von Karl.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Zürich
    4. Juli 1887 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Zürich
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

(Band 1)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
170-171
Briefnummer:
54
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2021, Bd. 1, S. 204 (Nr. 82).
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 191
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.7.1887. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

28.05.2024 14:45
Kennung: 5324

Zürich, 4. Juli 1887 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie
 
 

Inhalt

Zürich 4.VII.87.


Liebe Mama,

herzlichen Dank für Deine freundliche und rasche HülfeHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der zuletzt erbetenen Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 30.6.1887.. Immerhin werd’ ich mir alle Mühe geben, mich ihr würdig zu zeigen, d. h. dafür zu sorgen, daß solch ein Fall so bad/l/d nicht wieder eintritt. Von Armin hab’ ich dir nur Gutes Erfreuliches zu melden. Er arbeitet nach wie vor fleißig drauf los und erndtet bei jeder | ExaminirungArmin Wedekind absolvierte zum zweiten Mal die Abschlussprüfung seines Medizinstudiums an der Universität Zürich. die Früchte ein. Bis jetzt ist es ihm in allem gut gegangen und mehr als die Hälfte hat er bereits wieder hinter sich.

Karl war einige Tage krank; er hatte sich den Fuß übertreten. Da er sich aber daraufhin sehr schonte so ist er nun wieder vollständig hergestellt. Gestern und Vorgesternam Sonntag den 3. und Samstag den 2.7.1887. waren hier große FestlichkeitenDie Presse berichtete: „Zürich. 2. Juli. Zürich schwimmt heute im Festjubel. Die Quaieinweihung wird gefeiert, heute mit einem Kinderfest. Alle Primaner und Sekundarschüler und Schülerinnen der drei Quaigemeinden Zürich, Riesbach und Enge, 6000 an der Zahl, ziehen festlich geschmückt unter dem Geläute aller Glocken, mit 10 Musikkapellen, durch die Straßen der Stadt. Jedes Haus ist beflaggt, bewimpelt, alle Fenster sind dicht besezt. Der unermeßliche Zug der fröhlichen, tanzenden, singenden Kinder dauert über 1 Stunde, er marschirt an die Seeufer, und den ebenso festlich geschmückten, herrlichen Quai, der von einem Kranz von Villen umgeben ist, im Hintergrund thronen die Alpen, vom Glärnisch bis zum Rigi. Am Quai spielen die Kinder in den Wiesen und erhalten einen bescheidenen Imbiß. Morgen den ganzen Tag Regatten aller Nationalitäten: Engländer, Franzosen, Skandinavier, Schweizer, Rumänen, Polen, Deutsche und Abends großes Feuerwerk, Seekampf, Schiffbombardement, Villenbeleuchtung, Illumination der Seeufer und venetianische Nacht.“ [Schwäbischer Merkur, Nr. 156, 5.7.1887, S. 1186]. Der Kinderumzug am Samstag war ganz reizend und das Feuerwerk gestern Abend großartiger als ich je eins gesehen. Gestern Morgen traf ich Frau | LemannEmilie Leemann (geb. Kammerer) aus Riesbach (Seefeldstraße 174) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1887, Teil I, S. 201], Witwe von Gustav Leemann, war eine Cousine von Emilie Wedekind (geb. Kammerer). in den Anlagendie zwischen 1881 und 1887 neu gebauten Quaianlagen am Seeufer in Zürich, Örtlichkeit des genannten Festes.. Sie läßt dich freundlich grüßen und bat mich in den nächsten Tagen mal zu ihr zu kommen.

Auf Miezes HeimkehrErika Wedekind besuchte nach ihrem bestandenen Lehrerinnenexamen in Aarau im Frühjahr und Sommer 1887 das von Louise Duplan (geb. Gaudard) nach dem Tod ihres Mannes (einem Pfarrer) 1870 gegründete und seitdem von ihr geleitete Mädchenpensionat in der Villa „Le Verger“ in Lausanne [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 30]. bin ich sehr gespannt und ein andererKarl Henckell, mit dem sich Erika Wedekind am 29.5.1887 verlobt hatte. natürlich nicht weniger. Es nimmt mich wunder ob und in wie fern sie sich verändert hat.

Indessen arbeite ich munter fort. Das herrliche Wetter trägt nicht wenig zur Bewahrung des theuern unentbehrlichen guten Humors bei. Durch diese und jene | Mißerfolge lasse ich mich weder abschrecken noch entmuthigen. Ich trage für meine Jahre verhältnismäßig vielerlei Stoff mit mir herum und der braucht natürlich längere Zeit zum Ausreifen und Abklären als das bei concentrirteren Naturen der Fall ist.

Frau Jahn schulde ich seit geraumer Zeit einen Brief. Wenn du sie siehst, bitte, grüße sie von mir. Sie hat mir ihr Bild geschicktvgl. Bertha Jahn an Frank Wedekind, 22.6.1887. Das Foto Bertha Jahns ist abgebildet in Vinçon 2014, S. 24..

Und nun leb wohl, liebe Mama. Noch mal herzlichen Dank und sei gegrüßt und geküßt von deinem treuen Sohn Franklin.


Gruß von Karl.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Zürich
    4. Juli 1887 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Zürich
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

(Band 1)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
170-171
Briefnummer:
54
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2021, Bd. 1, S. 204 (Nr. 82).
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 191
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.7.1887. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

28.05.2024 14:45