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Kennung: 5218

München, 4. Juni 1904 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie

Inhalt

Liebe Mama,

ich kann mit dem besten Willen nicht einsehen was du Schreckliches an Matis PlanEmilie (Mati) Wedekind hatte nach ihrer Rückkehr von München und Pettighofen beschlossen, Schauspielerin zu werden, was in der Familie auf wenig Begeisterung stieß. Armin Wedekind vermutete dahinter Frank Wedekinds Einfluss und schrieb seiner Schwester: „Sollte mich das nicht im Innersten kränken, wenn ich sehe wie Du Dich in die Gesellschaft dieses Menschen begiebst der schon Donald zu Grunde gerichtet hat und der mit Donald zusammen den Ruhm geniesst, den Gipfel der Schweinelitteratur im deutschen Sprachgebiet zu repräsentiren. Wenn ich hören musst dass Du in München der Aufführung eines seiner Stücke beiwohnst, das nach der Aussage hiesiger Litteraturkenner das Schweinischste ist, was man auf der Bühne sehen kann. Es ist mir unbegreiflich wie Du dabei sein konntest, dass Du nicht davon gelaufen bist! Und nun soll ich ruhig zusehen, dass Du eine Laufbahn betrittst, die mehr als irgend eine andere geeignet ist Dich in den gleichen Sumpf zu ziehen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:102 (undatiert)] Darauf versicherte ihm Mati: „Mama hat wirklich ihr möglichstes getan, um mich von meinem Plane abzubringen. Du mußt ihr wirklich keine Vorwürfe über mein Tun und Lassen machen. […] und Franks Einfluß überschätzest Du wirklich auch. Er hat mit meinem Entschluß zur Bühne zu gehen nicht das geringste zu schaffen. Im Gegenteil sagte er mir, wenn ich je daran rührte, daß ich zu alt dazu sei.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:103 (undatiert)] oder Entschluß findest. Ich bin fest überzeugt daß du ihn vor zehn oder zwanzig Jahren sehr vernünftig gefunden hättest. Daß es dir jetzt schwer fällt, dich hineinzufinden wäre schließlich be|greiflich, wenn Du nicht selber Schauspielerin gewesen wärest und zwei Kinder beim TheaterWedekind meint sich selbst und seine Schwester Erika, die am Hoftheater Dresden als Sängerin engagiert war. hättest, die sich sehr wol dabei befinden. Was kann Mati denn Schlimmes passieren. Kommt sie vorwärts, dann soll es mich ungeheuer freuen. Ich fürchte nur sehr, daß sie zu faul ist. Ich halte den Plan sogar für viel besser als wenn sie nach Dresden ginge und noch einmal mit Studieren begänneArmin Wedekind hatte seiner Schwester geraten, wenigstens „1 – 2 Jahre vorbereitendes Studium“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:102] zu absolvieren, ein Plan, den Mati zunächst auch verfolgte, wie sie ihm am 12.8.1904 schrieb: „So werde ich denn voraussichtlich Mitte September nach Dresden verreisen um meine Studien dort aufzunehmen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.05:113] – vor Ort dann jedoch fallen ließ.. | Oder nimmst du an dem Rang des Badener SommertheatersMati absolvierte verschiedene Auftritte im Sommertheater des Stadt- und Casinotheaters in Baden [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1904] unter der Direktion von Heinrich Hagin, zugleich Direktor des Stadttheaters in Würzburg und der Sommertheater in Baden-Baden und Karlsruhe [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266] und dessen Regisseur und Stellvertreter Max Engelhardt aus Würzburg [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Armin Wedekind (undatiert), AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:103]. Anstoß? Ich selbst werde im Juli am Sommertheater in Tölz gastierenmit dem Einakter „Der Kammersänger“ am 15.7.1904: „Mittags 2 Uhr mit Frau Gerhäuser Langheinrich und Frau Rosenthal nach Tölz gefahren. Probe. Kammersängervorstellung. Eingenommen M. 50.“ [Tb] Die Spielzeit des Kurtheaters Bad Tölz (Direktion: Kurdirektor Freiherr von Wening) dauerte vom 5.6.1904 bis zum 11.9.1904, unter den Gästen waren Frank Wedekind und Ottilie Gerhäuser verzeichnet [vgl. Neuer Theater-Alamanch 1905, S. 580]. und zwar mit Ottilie Gerhäuser zusammen über deren künstlerische Qualitäten Dir Mati berichten kannEmilie (Mati) Wedekind besuchte am 8.4.1904 eine Aufführung von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ am Münchner Schauspielhaus [vgl. Tb] mit der dort engagierten Schauspielerin Ottilie Gerhäuser [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441] in der Rolle der Frau Marowa [vgl. General Anzeiger der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr. 165, 8.4.1904, S. (1)].. Das Sommertheater in Baden steht aber ohne zweifel auf einer höheren Stufe als das in Bad Tölz. Was bleibt also nun noch zu fürchten übrig! | Daß Mati ein Kind kriegt? Das wäre weiß Gott nicht das Schlimmste für sie, denn dann hörte sie vielleicht endlich mal auf eins zu sein.

Seid also Beide herzlichst gegrüßt und sag Mati daß ich mich sehr darüber freuen werde wenn Sie esSchreibversehen, statt: wenn sie es. zu etwas bringt, sei es nun dies oder jenes.

Mit den besten Grüßen
Dein getreuer Sohn
Frank.


4 VI 04.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    4. Juni 1904 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

(Band 2)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
122-123
Briefnummer:
228
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2021, Bd. 1, S. 340-341 (Nr. 172).
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 191
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.6.1904. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

09.04.2024 16:49
Kennung: 5218

München, 4. Juni 1904 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie
 
 

Inhalt

Liebe Mama,

ich kann mit dem besten Willen nicht einsehen was du Schreckliches an Matis PlanEmilie (Mati) Wedekind hatte nach ihrer Rückkehr von München und Pettighofen beschlossen, Schauspielerin zu werden, was in der Familie auf wenig Begeisterung stieß. Armin Wedekind vermutete dahinter Frank Wedekinds Einfluss und schrieb seiner Schwester: „Sollte mich das nicht im Innersten kränken, wenn ich sehe wie Du Dich in die Gesellschaft dieses Menschen begiebst der schon Donald zu Grunde gerichtet hat und der mit Donald zusammen den Ruhm geniesst, den Gipfel der Schweinelitteratur im deutschen Sprachgebiet zu repräsentiren. Wenn ich hören musst dass Du in München der Aufführung eines seiner Stücke beiwohnst, das nach der Aussage hiesiger Litteraturkenner das Schweinischste ist, was man auf der Bühne sehen kann. Es ist mir unbegreiflich wie Du dabei sein konntest, dass Du nicht davon gelaufen bist! Und nun soll ich ruhig zusehen, dass Du eine Laufbahn betrittst, die mehr als irgend eine andere geeignet ist Dich in den gleichen Sumpf zu ziehen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:102 (undatiert)] Darauf versicherte ihm Mati: „Mama hat wirklich ihr möglichstes getan, um mich von meinem Plane abzubringen. Du mußt ihr wirklich keine Vorwürfe über mein Tun und Lassen machen. […] und Franks Einfluß überschätzest Du wirklich auch. Er hat mit meinem Entschluß zur Bühne zu gehen nicht das geringste zu schaffen. Im Gegenteil sagte er mir, wenn ich je daran rührte, daß ich zu alt dazu sei.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:103 (undatiert)] oder Entschluß findest. Ich bin fest überzeugt daß du ihn vor zehn oder zwanzig Jahren sehr vernünftig gefunden hättest. Daß es dir jetzt schwer fällt, dich hineinzufinden wäre schließlich be|greiflich, wenn Du nicht selber Schauspielerin gewesen wärest und zwei Kinder beim TheaterWedekind meint sich selbst und seine Schwester Erika, die am Hoftheater Dresden als Sängerin engagiert war. hättest, die sich sehr wol dabei befinden. Was kann Mati denn Schlimmes passieren. Kommt sie vorwärts, dann soll es mich ungeheuer freuen. Ich fürchte nur sehr, daß sie zu faul ist. Ich halte den Plan sogar für viel besser als wenn sie nach Dresden ginge und noch einmal mit Studieren begänneArmin Wedekind hatte seiner Schwester geraten, wenigstens „1 – 2 Jahre vorbereitendes Studium“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:102] zu absolvieren, ein Plan, den Mati zunächst auch verfolgte, wie sie ihm am 12.8.1904 schrieb: „So werde ich denn voraussichtlich Mitte September nach Dresden verreisen um meine Studien dort aufzunehmen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.05:113] – vor Ort dann jedoch fallen ließ.. | Oder nimmst du an dem Rang des Badener SommertheatersMati absolvierte verschiedene Auftritte im Sommertheater des Stadt- und Casinotheaters in Baden [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1904] unter der Direktion von Heinrich Hagin, zugleich Direktor des Stadttheaters in Würzburg und der Sommertheater in Baden-Baden und Karlsruhe [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266] und dessen Regisseur und Stellvertreter Max Engelhardt aus Würzburg [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Armin Wedekind (undatiert), AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.5:103]. Anstoß? Ich selbst werde im Juli am Sommertheater in Tölz gastierenmit dem Einakter „Der Kammersänger“ am 15.7.1904: „Mittags 2 Uhr mit Frau Gerhäuser Langheinrich und Frau Rosenthal nach Tölz gefahren. Probe. Kammersängervorstellung. Eingenommen M. 50.“ [Tb] Die Spielzeit des Kurtheaters Bad Tölz (Direktion: Kurdirektor Freiherr von Wening) dauerte vom 5.6.1904 bis zum 11.9.1904, unter den Gästen waren Frank Wedekind und Ottilie Gerhäuser verzeichnet [vgl. Neuer Theater-Alamanch 1905, S. 580]. und zwar mit Ottilie Gerhäuser zusammen über deren künstlerische Qualitäten Dir Mati berichten kannEmilie (Mati) Wedekind besuchte am 8.4.1904 eine Aufführung von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ am Münchner Schauspielhaus [vgl. Tb] mit der dort engagierten Schauspielerin Ottilie Gerhäuser [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441] in der Rolle der Frau Marowa [vgl. General Anzeiger der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr. 165, 8.4.1904, S. (1)].. Das Sommertheater in Baden steht aber ohne zweifel auf einer höheren Stufe als das in Bad Tölz. Was bleibt also nun noch zu fürchten übrig! | Daß Mati ein Kind kriegt? Das wäre weiß Gott nicht das Schlimmste für sie, denn dann hörte sie vielleicht endlich mal auf eins zu sein.

Seid also Beide herzlichst gegrüßt und sag Mati daß ich mich sehr darüber freuen werde wenn Sie esSchreibversehen, statt: wenn sie es. zu etwas bringt, sei es nun dies oder jenes.

Mit den besten Grüßen
Dein getreuer Sohn
Frank.


4 VI 04.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 12,5 x 20 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    4. Juni 1904 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

(Band 2)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
122-123
Briefnummer:
228
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2021, Bd. 1, S. 340-341 (Nr. 172).
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 191
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.6.1904. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

09.04.2024 16:49