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Kennung: 5106

Zürich, 22. Dezember 1895 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie

Inhalt

Zürich, Festgasse 211 21. I. – 22.12.95.


Liebe Mama,

ich schreibe dir wegen Donald, weil ich mir anders nicht helfen kann. Ich schulde Donald 1400frs. Ich habe Mieze zwei Briefenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Erika Wedekind, 10.12.1895 und 15.12.1895. geschrieben, die einen Stein hätten erweichen können. Sie hat sich nicht einmal die Mühe genommen mir zu antworten. Dann besprach ich mich mit Hammi. Hammi erklärte sich bereit meine Bitte bei Mieze zu unterstützen, wenn ich Mieze notariell meinen Antheil am SteinbrüchliDas Haus Steinbrüchli war nach dem Tod des Vaters, ebenso wie Schloss Lenzburg, an die Kinder und die Mutter gemeinschaftlich vererbt worden. Nach dem Verkauf des Schlosses war Emilie Wedekind in das Haus umgezogen. verpfände. Auch darauf hat Mieze in keiner Weise geantwortet. Es wäre das ein Geschäft | gewesen auf das sich ein Schacherjude eingelassen haben würde. Meine ganze Zuversicht ist nun die, daß Donald in eurer Nähe lebt und ich habe auch vollkommene Gewißheit bei deiner Liebe zu ihm daß es ihm nicht schlecht gehen kann. Mir liegt es schwer auf der Seele, daß ich ihm auf seinen letzten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 7.12.1895. hin keinen Trost bieten kann, da ich außer Stand bin, meine Schuld abzutragen. Ich verdiene so viel wie ich eben zum Leben brauche. Ich habe mich dessen gewiß nicht zu schämen. Hundert und hundert geachtete Schriftsteller in meinem Alter sind noch nicht so weit. Und das Geld das ich verdiene dient mir schließlich nur dazu, um | meine Stücke zur Aufführung zu bringen und auf diese Weise weiter zu kommen. Mit Donald wird es auch daran/fü/r dahin kommen, rascher und früher wahrscheinlich als mit mir, dessen bin ich vollkommen sicher. Anderseits ist Donald gesundheitlich nicht so resistenzfähig wie ich es bin. Das ist es was mir am meisten Sorge macht, ganz abgesehen von seiner hypochondrischen Gemüthsart. Wenn ich nur einen Pfennig übrig hätte, so würde ich ihn ihm schicken. Sobald ich etwas mehr verdiene als ich zum nothwendigsten brauche werde ich das auch thun, obschon ich mein Geld jeden falls zehnmal „saurer“ verdiene als Mieze. Ich beneide Mieze um ihre Hartgesottenheit nicht. Ich habe mich ihr gegenüber stets nur correct benommen. Mein einziges | Vergehen ist, daß ich ihr 1300 frs. schuldig bin. Als sie vor 14 TagenErika Wedekind gastierte am 3.12.1895 in der neuen Zürcher Tonhalle. Die Presse berichtete: „Das nächste Abonnementkonzert vom 3. Dezember bringt uns eine Sängerin, auf deren Auftreten die hiesigen Musikfreunde gespannt sind. Der Fräulein Erika Wedekind geht ein Ruf voraus, der sie neben die größten Namen stellt. Fräulein Wedekind ist in Lenzburg aufgewachsen; ihre Studien machte sie bei Fräulein Orgeni in Dresden. […] Seit dem vorigen Jahr ist sie an dem Hoftheater in Dresden engagiert […] Ihr Ruf breitete sich so schnell aus, daß sie noch in derselben Spielzeit zu Gastspielen an allen bedeutenden deutschen Bühnen eingeladen wurde. […] Die Stimme der Fräulein Wedekind ist ein außerordentlich weicher, biegsamer und in allen Lagen ausgeglichener Sopran. Die brillante Koloratur, der Fräulein Wedekind vor allem ihren Ruf verdankt, wird sie in der bekannten Verdischen Arie aus ‚Ernani‘ zur Geltung bringen, während ihr die Lieder Gelegenheit geben werden, zu zeigen, daß sie auch noch über andere Töne verfügt.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 116, Nr. 333, 1.12.1895, Beilage, S. (2)] Und nach dem Konzert hieß es: „Der Klang ihres bloßen Namens wirkte Wunder; der Zudrang war so außerordentlich groß, daß die Tonhallenverwaltung sich genötigt sah, dem Publikum auch den Verbindungsgang und den kleinen Konzertsaal zu öffnen. Eine festliche Versammlung jubelte der schweizerischen Nachtigall begeistert zu […] Brausende Beifallsstürme und ein reicher Segen von herrlichen Blumenspenden lohnten die liebenswürdige Sängerin.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 116, Nr. 336, 4.12.1895, Morgenblatt, S. (3)] hier in Zürich sang ist es ihr nicht eingefallen mir ein Billet zu schicken, und da ich augenblicklich nicht bei Casse war um mir einen guten Platz zu kaufen, war ich unter meinen sämmtlichen Bekannten der einzige der sie nicht gehört und gesehen. Sie meint wie Hammi mir sagt, ich hätte einfach kommen sollen, nachdem sie meine Briefe in der flegelhaftesten Weise ignorirt, wie sie es nie einem Fremden gegenüber thun würde und wenn es der ausgemachteste Windhund wäre. So kam es, daß ich während sie hier war die drei entsetzlichsten Tage meines Lebens durchgemacht, indem sich natürlich Jedermann bemüssigt | fühlte mir von ihr zu sprechen. Ich beneide Mieze nicht um ein Glück mit dessen Hülfe es ihr gelingt, Anderen solche Stunden zu bereiten. Dieses Erlebniß hat mich dann auch zu einem endgültigen Entschluß gebracht. Vor drei Tagen bekam ich eine BesprechungEine Erwähnung Frank Wedekinds in der „Frankfurter Zeitung“ lässt sich für den Dezember 1895 nicht nachweisen. Auch in den anderen beiden großen Frankfurter Tageszeitungen, dem „Frankfurter Journal“ und der „Kleinen Presse“, findet sich in diesem Zeitraum nichts. Insofern ist Wedekinds Angabe, er habe den Artikel dementiert, zweifelhaft. über mich von der Frankfurter Ztg in der ich wieder als der Bruder der Sängerin erwähnt werde. Ich habe sofort ein Dementi hingeschickt, daß ich weder mit der Sängerin verwandt bin noch sie überhaupt kenne. Ich bin übrigens auch fest überzeugt, daß Mieze nur erleichtert aufathmen wird, wenn sie das liest, indem sie einerseits zu dumm, anderseits zu feige ist, und nebenbei nicht s/S/tolz genug ist m hat um mich jemals | anzuerkennen. Es thut mir furchtbar leid liebe Mama daß ich dir das alles schreiben muß. Aber ich nehme, was diese Gelegenheit Sache, mein Zerwürfniß mit Mieze betrifft principiell niemandem gegenüber ein Blatt vor den Mund, da ich sonst sicher sein kann daß die Sache von der anderen Seite zu meinen Ungunsten entstellt wird. Unter all meinen Bekannten in der weiten Welt, meistens Leuten von Namen, von Auszeichnung, bin ich sicher niemanden zu haben, der nachtheilig von mir denkt ausgenommen meine Schwester. Letzten Winter in DresdenWedekind besuchte vermutlich im Februar 1895 seine Schwester in Dresden [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 174]. hätte sie mir mit einem Wort von größtem Nutzen sein können. Sie war zu feige dazu. Sie | schämte sich nicht, mir das Anerbieten zu machen, mein StückVermutlich hoffte Wedekind auf eine Vermittlung seiner Schwester Erika ans Residenztheater Dresden, um seine vor kurzem fertiggestellte Tragödie „Der Erdgeist“ dort einzureichen. Im Frühjahr 1895 hatte er das Stück (unter dem Titel „Irrlicht“) in Berlin bei Otto Brahm am Deutschen Theater in Berlin eingereicht [vgl. Frank Wedekind an die Direktion des Deutschen Theaters, 17.8.1895]. ohne meinen Namen eiz einzureichen. Pfui Teufel, das habe ich anderswo nicht nöthig.

Ich werde gereizt, wenn ich daran denke. Ich bitte um Verzeihung aber diese Denkungsart ist mir nicht verständlich. Ich würde dich nicht damit behelligen wenn es sich nicht um Donald handelte. Donald hat s alle Ursache empört über mich zu sein, indem er sich immer so anständig gegen mich benommen wie sich nur ein Bruder benehmen kann und ich ihn jetzt sitzen lasse.

Dir, liebe Mama, und Mati wünsche ich von ganzem Herzen fröhliche Feiertage. Was mich betrifft, so habe | ich gerade jetzt sehr viel zu arbeiten und wenn ich Erholung suche, so habe ich Bekannte genug in Zürich denen ich jederzeit willkommen bin, so wie ich bin, ohne daß sie mir Bedingungen über mein Benehmen stellen und mir vorschreiben was ich sagen soll und was nicht, wie Hammi das thut. Übrigens sage ich nichts gegen Hammi. Er ist zurückhaltend aber liebenswürdig und wenigstens anständig. Ich werde nie mit ihm in Streit gerathen können, da immerhin auf beiden Seiten persönliche Achtung vorhanden ist und nicht Dummheit, Beschränktheit, Feigheit und Mangel an Lebensart unser Verhältniß unhaltbar machen können.

Mit den besten Grüßen und Wünschen für dich und Mati dein dankbarer treuer Sohn
Frank.


[Kuvert:]


<lat>Frau Dr. E. Wedekind
5 Piazza di Spagna
Roma.<lat>

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 9 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 17,5 cm. 8 Seiten beschrieben. Kuvert. 12 x 9,5 cm. 1 Seite beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 25 Rappen frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Postausgangsstempel Zürich: „V“ (= 5 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel Rom: „2 S“ (= 2 Uhr).

Erstdruck

Briefwechsel mit den Eltern 1868‒1915. Band 1: Briefe

(Band 1)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2021
Seitenangabe:
278-281
Briefnummer:
134
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Konvolut Burkhardt, Nidderau
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 22.12.1895. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

19.03.2024 16:54
Kennung: 5106

Zürich, 22. Dezember 1895 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie
 
 

Inhalt

Zürich, Festgasse 211 21. I. – 22.12.95.


Liebe Mama,

ich schreibe dir wegen Donald, weil ich mir anders nicht helfen kann. Ich schulde Donald 1400frs. Ich habe Mieze zwei Briefenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Erika Wedekind, 10.12.1895 und 15.12.1895. geschrieben, die einen Stein hätten erweichen können. Sie hat sich nicht einmal die Mühe genommen mir zu antworten. Dann besprach ich mich mit Hammi. Hammi erklärte sich bereit meine Bitte bei Mieze zu unterstützen, wenn ich Mieze notariell meinen Antheil am SteinbrüchliDas Haus Steinbrüchli war nach dem Tod des Vaters, ebenso wie Schloss Lenzburg, an die Kinder und die Mutter gemeinschaftlich vererbt worden. Nach dem Verkauf des Schlosses war Emilie Wedekind in das Haus umgezogen. verpfände. Auch darauf hat Mieze in keiner Weise geantwortet. Es wäre das ein Geschäft | gewesen auf das sich ein Schacherjude eingelassen haben würde. Meine ganze Zuversicht ist nun die, daß Donald in eurer Nähe lebt und ich habe auch vollkommene Gewißheit bei deiner Liebe zu ihm daß es ihm nicht schlecht gehen kann. Mir liegt es schwer auf der Seele, daß ich ihm auf seinen letzten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 7.12.1895. hin keinen Trost bieten kann, da ich außer Stand bin, meine Schuld abzutragen. Ich verdiene so viel wie ich eben zum Leben brauche. Ich habe mich dessen gewiß nicht zu schämen. Hundert und hundert geachtete Schriftsteller in meinem Alter sind noch nicht so weit. Und das Geld das ich verdiene dient mir schließlich nur dazu, um | meine Stücke zur Aufführung zu bringen und auf diese Weise weiter zu kommen. Mit Donald wird es auch daran/fü/r dahin kommen, rascher und früher wahrscheinlich als mit mir, dessen bin ich vollkommen sicher. Anderseits ist Donald gesundheitlich nicht so resistenzfähig wie ich es bin. Das ist es was mir am meisten Sorge macht, ganz abgesehen von seiner hypochondrischen Gemüthsart. Wenn ich nur einen Pfennig übrig hätte, so würde ich ihn ihm schicken. Sobald ich etwas mehr verdiene als ich zum nothwendigsten brauche werde ich das auch thun, obschon ich mein Geld jeden falls zehnmal „saurer“ verdiene als Mieze. Ich beneide Mieze um ihre Hartgesottenheit nicht. Ich habe mich ihr gegenüber stets nur correct benommen. Mein einziges | Vergehen ist, daß ich ihr 1300 frs. schuldig bin. Als sie vor 14 TagenErika Wedekind gastierte am 3.12.1895 in der neuen Zürcher Tonhalle. Die Presse berichtete: „Das nächste Abonnementkonzert vom 3. Dezember bringt uns eine Sängerin, auf deren Auftreten die hiesigen Musikfreunde gespannt sind. Der Fräulein Erika Wedekind geht ein Ruf voraus, der sie neben die größten Namen stellt. Fräulein Wedekind ist in Lenzburg aufgewachsen; ihre Studien machte sie bei Fräulein Orgeni in Dresden. […] Seit dem vorigen Jahr ist sie an dem Hoftheater in Dresden engagiert […] Ihr Ruf breitete sich so schnell aus, daß sie noch in derselben Spielzeit zu Gastspielen an allen bedeutenden deutschen Bühnen eingeladen wurde. […] Die Stimme der Fräulein Wedekind ist ein außerordentlich weicher, biegsamer und in allen Lagen ausgeglichener Sopran. Die brillante Koloratur, der Fräulein Wedekind vor allem ihren Ruf verdankt, wird sie in der bekannten Verdischen Arie aus ‚Ernani‘ zur Geltung bringen, während ihr die Lieder Gelegenheit geben werden, zu zeigen, daß sie auch noch über andere Töne verfügt.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 116, Nr. 333, 1.12.1895, Beilage, S. (2)] Und nach dem Konzert hieß es: „Der Klang ihres bloßen Namens wirkte Wunder; der Zudrang war so außerordentlich groß, daß die Tonhallenverwaltung sich genötigt sah, dem Publikum auch den Verbindungsgang und den kleinen Konzertsaal zu öffnen. Eine festliche Versammlung jubelte der schweizerischen Nachtigall begeistert zu […] Brausende Beifallsstürme und ein reicher Segen von herrlichen Blumenspenden lohnten die liebenswürdige Sängerin.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 116, Nr. 336, 4.12.1895, Morgenblatt, S. (3)] hier in Zürich sang ist es ihr nicht eingefallen mir ein Billet zu schicken, und da ich augenblicklich nicht bei Casse war um mir einen guten Platz zu kaufen, war ich unter meinen sämmtlichen Bekannten der einzige der sie nicht gehört und gesehen. Sie meint wie Hammi mir sagt, ich hätte einfach kommen sollen, nachdem sie meine Briefe in der flegelhaftesten Weise ignorirt, wie sie es nie einem Fremden gegenüber thun würde und wenn es der ausgemachteste Windhund wäre. So kam es, daß ich während sie hier war die drei entsetzlichsten Tage meines Lebens durchgemacht, indem sich natürlich Jedermann bemüssigt | fühlte mir von ihr zu sprechen. Ich beneide Mieze nicht um ein Glück mit dessen Hülfe es ihr gelingt, Anderen solche Stunden zu bereiten. Dieses Erlebniß hat mich dann auch zu einem endgültigen Entschluß gebracht. Vor drei Tagen bekam ich eine BesprechungEine Erwähnung Frank Wedekinds in der „Frankfurter Zeitung“ lässt sich für den Dezember 1895 nicht nachweisen. Auch in den anderen beiden großen Frankfurter Tageszeitungen, dem „Frankfurter Journal“ und der „Kleinen Presse“, findet sich in diesem Zeitraum nichts. Insofern ist Wedekinds Angabe, er habe den Artikel dementiert, zweifelhaft. über mich von der Frankfurter Ztg in der ich wieder als der Bruder der Sängerin erwähnt werde. Ich habe sofort ein Dementi hingeschickt, daß ich weder mit der Sängerin verwandt bin noch sie überhaupt kenne. Ich bin übrigens auch fest überzeugt, daß Mieze nur erleichtert aufathmen wird, wenn sie das liest, indem sie einerseits zu dumm, anderseits zu feige ist, und nebenbei nicht s/S/tolz genug ist m hat um mich jemals | anzuerkennen. Es thut mir furchtbar leid liebe Mama daß ich dir das alles schreiben muß. Aber ich nehme, was diese Gelegenheit Sache, mein Zerwürfniß mit Mieze betrifft principiell niemandem gegenüber ein Blatt vor den Mund, da ich sonst sicher sein kann daß die Sache von der anderen Seite zu meinen Ungunsten entstellt wird. Unter all meinen Bekannten in der weiten Welt, meistens Leuten von Namen, von Auszeichnung, bin ich sicher niemanden zu haben, der nachtheilig von mir denkt ausgenommen meine Schwester. Letzten Winter in DresdenWedekind besuchte vermutlich im Februar 1895 seine Schwester in Dresden [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 174]. hätte sie mir mit einem Wort von größtem Nutzen sein können. Sie war zu feige dazu. Sie | schämte sich nicht, mir das Anerbieten zu machen, mein StückVermutlich hoffte Wedekind auf eine Vermittlung seiner Schwester Erika ans Residenztheater Dresden, um seine vor kurzem fertiggestellte Tragödie „Der Erdgeist“ dort einzureichen. Im Frühjahr 1895 hatte er das Stück (unter dem Titel „Irrlicht“) in Berlin bei Otto Brahm am Deutschen Theater in Berlin eingereicht [vgl. Frank Wedekind an die Direktion des Deutschen Theaters, 17.8.1895]. ohne meinen Namen eiz einzureichen. Pfui Teufel, das habe ich anderswo nicht nöthig.

Ich werde gereizt, wenn ich daran denke. Ich bitte um Verzeihung aber diese Denkungsart ist mir nicht verständlich. Ich würde dich nicht damit behelligen wenn es sich nicht um Donald handelte. Donald hat s alle Ursache empört über mich zu sein, indem er sich immer so anständig gegen mich benommen wie sich nur ein Bruder benehmen kann und ich ihn jetzt sitzen lasse.

Dir, liebe Mama, und Mati wünsche ich von ganzem Herzen fröhliche Feiertage. Was mich betrifft, so habe | ich gerade jetzt sehr viel zu arbeiten und wenn ich Erholung suche, so habe ich Bekannte genug in Zürich denen ich jederzeit willkommen bin, so wie ich bin, ohne daß sie mir Bedingungen über mein Benehmen stellen und mir vorschreiben was ich sagen soll und was nicht, wie Hammi das thut. Übrigens sage ich nichts gegen Hammi. Er ist zurückhaltend aber liebenswürdig und wenigstens anständig. Ich werde nie mit ihm in Streit gerathen können, da immerhin auf beiden Seiten persönliche Achtung vorhanden ist und nicht Dummheit, Beschränktheit, Feigheit und Mangel an Lebensart unser Verhältniß unhaltbar machen können.

Mit den besten Grüßen und Wünschen für dich und Mati dein dankbarer treuer Sohn
Frank.


[Kuvert:]


<lat>Frau Dr. E. Wedekind
5 Piazza di Spagna
Roma.<lat>

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 5 Blatt, davon 9 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 17,5 cm. 8 Seiten beschrieben. Kuvert. 12 x 9,5 cm. 1 Seite beschrieben.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 25 Rappen frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Postausgangsstempel Zürich: „V“ (= 5 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel Rom: „2 S“ (= 2 Uhr).

Erstdruck

Briefwechsel mit den Eltern 1868‒1915. Band 1: Briefe

(Band 1)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2021
Seitenangabe:
278-281
Briefnummer:
134
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Konvolut Burkhardt, Nidderau
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 22.12.1895. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

19.03.2024 16:54