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Kennung: 4932

Berlin, 13. Dezember 1896 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie

Inhalt

13.XII.96


Liebe Mama,

wenn du mir wenigstens 20 Mk geschickt hättest! Du kannst dir doch denken, daß ich nicht ohne dringende Notwendigkeit telegraphirteHinweis auf ein nicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 11.12.1896. Der Sohn dürfte um Geld gebeten haben, das seine Mutter ihm offenbar nicht geschickt hat.. Verhungern kann ich ja allerdings nicht, aber wenn ich mich in den nächsten Tagen ums Geld arbeiten muß so ist mir das ein Schaden, der schwerlich je wieder gut zu machen ist. Ich habe am Mittwochder 16.12.1896, an dem Wedekinds „Erdgeist“-Lesung in der Wohnung von Max Liebermann (Pariser Platz 7) stattfand; Max Liebermanns Erinnerung zufolge waren außer ihm selbst bei der Lesung Otto Brahm, Otto Erich Hartleben, Paul Schlenther, Ludwig Fulda, Wilhelm Bölsche, Fritz Mauthner, Heinrich und Julius Hart sowie Walter Leistikow anwesend und es „machte der ‚Der Erdgeist‘ gerade die entgegengesetzte Wirkung, die sich Wedekind versprochen hatte: die tragischen Stellen hatten einen starken Heiterkeitserfolg, und namentlich Otto Erich berstete vor Lachen.“ [Friedenthal 1914, S. 213] hier eine zweistündige Vorlesung zu und/hal/ten und muß bis dahin noch eine Menge Besuche machen. Du hast doch Geld f/F/ällt es dir denn so furchtbar schwer einem in solchem Moment die Situation etwas zu erleichtern? – Für Dich ist jeder schmutzige gemeine Fleischerknecht und jeder schafsköpfige Millionärssohn ein ehrenhafter Mensch. Aber Dein eigener Sohn, der sich einen geachteten Namen in Deutschland gemacht | hat, ist es nicht. Und das ist die Mutter der ersten SängerinErika Wedekind, als Königliche Hofopernsängerin in Dresden [vgl. Neuer Theater-Almanach 1897, S. 329] und anderorts gefeiert, hatte mit Gastspielauftritten bereits während der Gesangsausbildung in kurzer Zeit „eine steile Karriere“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 181] gemacht., die der Himmel mit der Gabe beschenkt hat, in einer halben Stunde 1000 Mark zu verdienen!

Du wirst diesen Brief wieder impertinent nennen. Ich bitte dich nur ihn zu zeigen, wo und wem du willst. Bei anständigen Menschen kann er mir nichts schaden. Du siehst in allem Glück, das du deiner Chamäleonsnatur auf dieser Welt verdankst, dein persönliches Verdienst. Eine Frau, die einen Mann, den sie nicht ausstehen kann und dem sie nichts sein kann, heiratetEmilie Wedekind (geb. Kammerer) hatte Friedrich Wilhelm Wedekind am 28.3.1863 in Kalifornien geheiratet – unter nicht ganz einfachen Umständen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 181]., weil er reich ist, hat noch lange, lange, lange nicht das Recht über meine | Ehrenhaftigkeit abzuurtheilen! Hätte ich meine Naturanlagen in dieser Richtung verwerthen wollen, dann wäre ich heute auch nicht in der Lage dich um etwas Geld zu bitten.

Um etwas mehr als Geld kann ich dich leider nicht bitten, so gern ich es thäte, weil du mir nichts anderes zu geben hast und mir nie was anderes zu geben hattest als ekelhaftes hämisches Nasenrümpfen. Wenn du noch sonst etwas für mich hättest würde das Geld schwerlich eine so gewichtige Rolle spielen. Aber fr es ist damit genau gerade so wie mit etwas Anderem meinem Vater gegenüber.

Ich kann schlechterdings nicht | anders schreiben, als mir’s ums Herz ist. Hoffentlich trifft der Brief dich bei einem gemütlichen Kaffeeklatsch an, bei dem du nicht nötig hast, länger als zwei Minuten über mich und das übrige nachzudenken.

Mit deiner Achtung mir gegenüber halte es bitte ganz wie du willst. Auf die Ehre, von Dir für einen ehrenhaften Menschen gehalten zu werden, verzichte ich mit Freuden, schon der Gesellschaft wegen, in die ich dadurch geriethe. Das hindert mich nicht eine Unterstützung von dir anzunehmen, weil mich der Umstand, daß du die Mutter einer berühmten s Sängerin bist, daran hindert, die Hülfe Anderer in Anspruch zu nehmen. Ich bitte dich darum überzeugt sein zu wollen, daß ich mich nur im alleräußersten Nothfall an dich wende und daß mich kein anderer Schritt so viel Überwindung kostet.

Mit herzlichem Gruß dein treuer Sohn Frank.


[Kuvert:]


Frau Emilie Wedekind
34 Struve Strasse 34.
Dresden.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. 4 Seiten beschrieben. Kuvert: 12 x 9,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 10 Pfennig frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Postausgangsstempel Berlin: „7 – 8 N“ (= 19 bis 20 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel Dresden (Altstadt): „5 – 6 V“ (= 5 bis 6 Uhr).

Erstdruck

Briefwechsel mit den Eltern 1868‒1915. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2021
Seitenangabe:
292-293
Briefnummer:
140
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
Konvolut Burkhardt, Nidderau
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.12.1896. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

29.11.2023 23:17
Kennung: 4932

Berlin, 13. Dezember 1896 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie
 
 

Inhalt

13.XII.96


Liebe Mama,

wenn du mir wenigstens 20 Mk geschickt hättest! Du kannst dir doch denken, daß ich nicht ohne dringende Notwendigkeit telegraphirteHinweis auf ein nicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 11.12.1896. Der Sohn dürfte um Geld gebeten haben, das seine Mutter ihm offenbar nicht geschickt hat.. Verhungern kann ich ja allerdings nicht, aber wenn ich mich in den nächsten Tagen ums Geld arbeiten muß so ist mir das ein Schaden, der schwerlich je wieder gut zu machen ist. Ich habe am Mittwochder 16.12.1896, an dem Wedekinds „Erdgeist“-Lesung in der Wohnung von Max Liebermann (Pariser Platz 7) stattfand; Max Liebermanns Erinnerung zufolge waren außer ihm selbst bei der Lesung Otto Brahm, Otto Erich Hartleben, Paul Schlenther, Ludwig Fulda, Wilhelm Bölsche, Fritz Mauthner, Heinrich und Julius Hart sowie Walter Leistikow anwesend und es „machte der ‚Der Erdgeist‘ gerade die entgegengesetzte Wirkung, die sich Wedekind versprochen hatte: die tragischen Stellen hatten einen starken Heiterkeitserfolg, und namentlich Otto Erich berstete vor Lachen.“ [Friedenthal 1914, S. 213] hier eine zweistündige Vorlesung zu und/hal/ten und muß bis dahin noch eine Menge Besuche machen. Du hast doch Geld f/F/ällt es dir denn so furchtbar schwer einem in solchem Moment die Situation etwas zu erleichtern? – Für Dich ist jeder schmutzige gemeine Fleischerknecht und jeder schafsköpfige Millionärssohn ein ehrenhafter Mensch. Aber Dein eigener Sohn, der sich einen geachteten Namen in Deutschland gemacht | hat, ist es nicht. Und das ist die Mutter der ersten SängerinErika Wedekind, als Königliche Hofopernsängerin in Dresden [vgl. Neuer Theater-Almanach 1897, S. 329] und anderorts gefeiert, hatte mit Gastspielauftritten bereits während der Gesangsausbildung in kurzer Zeit „eine steile Karriere“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 181] gemacht., die der Himmel mit der Gabe beschenkt hat, in einer halben Stunde 1000 Mark zu verdienen!

Du wirst diesen Brief wieder impertinent nennen. Ich bitte dich nur ihn zu zeigen, wo und wem du willst. Bei anständigen Menschen kann er mir nichts schaden. Du siehst in allem Glück, das du deiner Chamäleonsnatur auf dieser Welt verdankst, dein persönliches Verdienst. Eine Frau, die einen Mann, den sie nicht ausstehen kann und dem sie nichts sein kann, heiratetEmilie Wedekind (geb. Kammerer) hatte Friedrich Wilhelm Wedekind am 28.3.1863 in Kalifornien geheiratet – unter nicht ganz einfachen Umständen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 181]., weil er reich ist, hat noch lange, lange, lange nicht das Recht über meine | Ehrenhaftigkeit abzuurtheilen! Hätte ich meine Naturanlagen in dieser Richtung verwerthen wollen, dann wäre ich heute auch nicht in der Lage dich um etwas Geld zu bitten.

Um etwas mehr als Geld kann ich dich leider nicht bitten, so gern ich es thäte, weil du mir nichts anderes zu geben hast und mir nie was anderes zu geben hattest als ekelhaftes hämisches Nasenrümpfen. Wenn du noch sonst etwas für mich hättest würde das Geld schwerlich eine so gewichtige Rolle spielen. Aber fr es ist damit genau gerade so wie mit etwas Anderem meinem Vater gegenüber.

Ich kann schlechterdings nicht | anders schreiben, als mir’s ums Herz ist. Hoffentlich trifft der Brief dich bei einem gemütlichen Kaffeeklatsch an, bei dem du nicht nötig hast, länger als zwei Minuten über mich und das übrige nachzudenken.

Mit deiner Achtung mir gegenüber halte es bitte ganz wie du willst. Auf die Ehre, von Dir für einen ehrenhaften Menschen gehalten zu werden, verzichte ich mit Freuden, schon der Gesellschaft wegen, in die ich dadurch geriethe. Das hindert mich nicht eine Unterstützung von dir anzunehmen, weil mich der Umstand, daß du die Mutter einer berühmten s Sängerin bist, daran hindert, die Hülfe Anderer in Anspruch zu nehmen. Ich bitte dich darum überzeugt sein zu wollen, daß ich mich nur im alleräußersten Nothfall an dich wende und daß mich kein anderer Schritt so viel Überwindung kostet.

Mit herzlichem Gruß dein treuer Sohn Frank.


[Kuvert:]


Frau Emilie Wedekind
34 Struve Strasse 34.
Dresden.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. 4 Seiten beschrieben. Kuvert: 12 x 9,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 10 Pfennig frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Postausgangsstempel Berlin: „7 – 8 N“ (= 19 bis 20 Uhr). Uhrzeit im Posteingangsstempel Dresden (Altstadt): „5 – 6 V“ (= 5 bis 6 Uhr).

Erstdruck

Briefwechsel mit den Eltern 1868‒1915. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2021
Seitenangabe:
292-293
Briefnummer:
140
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
Konvolut Burkhardt, Nidderau
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.12.1896. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (21.11.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

29.11.2023 23:17